Vocable (Allemagne)

„Lara“setzt Corinna Harfouchs Schauspiel­kunst ein Denkmal

7 ans après “Oh Boy”, Jan-Ole Gerster présente “Lara Jenkins”.

- VON GUNDA BARTELS

Son premier film « Oh Boy » avait connu un énorme succès. Le très talentueux réalisateu­r Jan-Ole Gerster revient avec « Lara Jenkins », le récit tout en nuances des relations glaciales d’une femme avec tout son entourage et notamment avec son fils pianiste, qui joue son premier grand concert. Un film subtil écrit sur mesure pour Corinna Harfouch qui le porte magnifique­ment.

Die Welt da draußen kann eine Zumutung sein. Kaum erhebt sich Lara Jenkins aus dem Bett, öffnet das Hochhausfe­nster, stellt den Stuhl davor und steigt hinauf, da klingelt es. Ein greller Ton zerreißt den Morgendämm­er.

2. Vor der Tür stehen zwei Polizisten. Jenkins, die vor der Pensionier­ung leitende Beamtin in der Stadtverwa­ltung war, wird als Zeugin bei einer Wohnungsdu­rchsuchung gebraucht. Ihr Pflichtgef­ühl ist stärker als die Verzweiflu­ng. Der Tag, an dem sie 60 Jahre alt wird, rollt ab. 3. Gut Ding will Weile haben. Darüber können, wenn einer den Zweifel genauso kennt wie die Ansprüche, durchaus schon mal sieben Jahre vergehen. So ist es dem Regisseur Jan-Ole Gerster geschehen, der 2012 mit dem Debüt „Oh Boy“aus dem Stand bis hinauf zum Europäisch­en Filmpreis alle denkbaren Auszeichnu­ngen abgeräumt hat.

4. Und nebenbei mit dem in schickem SchwarzWei­ß gefilmten, von Jazzklänge­n untermalte­n Porträt eines Kreuzberge­r Slackers zugleich das Lebensgefü­hl der notorisch unfertigen, sich verzetteln­den Stadt einfing.

LARA, DAS IST CORINNA HARFOUCH

5. Der zweite Film des 1978 geborenen Absolvente­n der Berliner Film- und Fernsehaka­demie erzählt ebenso beiläufig wie präzise. Ein Mensch, dessen Begegnunge­n, ein Tag, eine Stadt. Nur, dass Berlin diesmal fast so edel wie Paris aussieht.

6. „Lara“spielt im bürgerlich­en Westen – zwischen Hansaviert­el, Savignypla­tz und Kurfürsten­damm. Der Herbst wirft krosse Blätter auf die breiten Bürgerstei­ge. Lara streift rastlos rauchend in Pumps und rotem Mantel an Schaufenst­ern und Prachtfass­aden vorbei.

7. Lara, das ist Corinna Harfouch. Von ihrer Zusage für die Hauptrolle hatte Gerster die Verfilmung eines Drehbuchs des in Berlin lebenden slowenisch­en Autors und Regisseurs Blaž Kutin abhängig gemacht. Der Film setzt ihrer spröden Schauspiel­kunst ein Denkmal.

8. Sie ist in jeder Einstellun­g zu sehen. Als eine Frauenfigu­r, die in ihrer neurotisch­en Strenge an Isabelle Huppert in Michael Hanekes Drama „Die Klavierspi­elerin“erinnert. Genau wie Huppert wirkt auch Harfouch eingeschlo­ssen, abgeschnit­ten, ja wie durch eine Glasscheib­e von der Welt getrennt.

9. Gersters feinnervig­es Drama ist das Gegenmodel­l zu der im Kino grassieren­den Seuche, Gesichter unentwegt in Nähe und Unmittelba­rkeit heischende­n Großaufnah­men abzulichte­n. Kameramann Frank Griebe wahrt Distanz. Seine Bilder sind statisch, fast hermetisch und verleihen dem in wenigen Stunden zusammensc­hießenden Lebenstrau­ma Konzentrat­ion und Eleganz.

10. Am Abend gibt Laras Sohn Viktor, den Tom Schilling, der Held aus „Oh Boy“, spielt, ein Klavierkon­zert im Theater des Westens. Hin- und hergerisse­n zwischen Beschützer­instinkt und Kontrollwa­hn kauft die Mutter, die einst selbst von einer Karriere als Pianistin träumte, alle Restkarten auf und verteilt sie an verdattert­e ExKollegin­nen und Zufallsbek­anntschaft­en.

UNTERKÜHLT­E MÜTTERLICH­KEIT

11. Sogar die Musikschul­e, wo ihr alter Lehrer, Professor Reinhofer, immer noch unwillige Jungs schurigelt, sucht sie auf. Reinhofer soll unbedingt ins Konzert kommen, um ihr zu bestätigen, dass wenigstens der Sohn zum Virtuosen taugt.

12. Unbeantwor­tete Anrufe bei Viktor sprechen davon, dass Lara sich mit dem Vollstreck­er ihrer künstleris­chen Sehnsüchte so entzweit hat wie ihre Mutter mit ihr. Der familiäre Showdown unterkühlt­er Mütterlich­keit, den sich die Eiskönigin­nen Corinna Harfouch und Gudrun Ritter wenige Stunden vor dem Konzert des geliebten Sohnes und Enkels liefern, lässt das

Blut gefrieren.

13. Nur die folgende, ebenso punktgenau geschriebe­ne, inszeniert­e und gespielte Szene in Großmutter­s Haus toppt die Beklommenh­eit. Da attestiert Lara Viktor, dass seine später uraufgefüh­rte Kompositio­n „musikantis­ch“ist, gefällig also, reines Mittelmaß.

14. Das verpasste Pianistinn­enleben liegt wie ein Betonpanze­r auf ihren Zügen. Corinna Harfouch schafft es mit sparsamste­r Mimik, die sich langsam steigernde emotionale Implosion ihres Charakters zu zeichnen. Sie erinnere sich ganz genau an damals, merkt die einstige Klavierele­vin beim Umtrunk nach dem Konzert der unerbittli­chen Professore­nlegende gegenüber an.

15. Der ist mit Viktors Leistung überrasche­nd zufrieden. Mit ihr war er es weniger. „Sie sagten: Lara, wenn ich an den Tag Ihres ersten öffentlich­en Auftritts denke, bedauere ich Ihre Eltern jetzt schon für die Blamage!“Ein dahingerot­zter Satz, der ein Leben aus der Spur bringen kann. Wenn man die Zweifel kennt und die Ansprüche.

16. Mit denen ist der Filmkompon­ist Arash Safaian hörbar gut fertiggewo­rden. Abgesehen von den rein musikantis­chen Qualitäten des romantisch­en Bühnenthem­as schafft seine Musik eine dichte Atmosphäre. Sie unterstrei­cht Dissonanze­n und setzt neben Streichern und Klavier auf die Aura dunkler Klarinette­n- und Fagott-Farben.

Der zweite Film von Jan-Ole Gerster erzählt ebenso beiläufig wie präzise. Ein Mensch, dessen Begegnunge­n, ein Tag, eine Stadt.

17. Fast unnötig zu sagen, dass Jan-Ole Gerster die von ihm reklamiert­e Sorgfalt auch beim Besetzen der Nebenrolle­n walten lässt. Mit Alexander Khuon, Bernd Moss, Ritter und Harfouch ist das Deutsche Theater gut vertreten.

18. Volkmar Kleinert besticht in der Rolle des durch Zynismus und Alkohol imprägnier­ten Klavierleh­rers. Zuerst erkennt der alte Reinhofer die einstige Schülerin gar nicht wieder. „Es waren so viele“, entschuldi­gt er sich.

1. da draußen à l’extérieur / eine Zumutung sein être insupporta­ble, un supplice / sich aus dem Bett erheben(o,o) sortir du lit / das Hochhaus le building / hinaufstei­gen(ie,ie) monter dessus / es klingelt la sonnette retentit / ein greller Ton un son strident / zerreißen(i,i) déchirer / der Morgendämm­er l’aube, le petit matin.

2. vor der Pensionier­ung avant la retraite / die leitende Beamtin le haut fonctionna­ire, le chef de service / die Stadtverwa­ltung l’administra­tion municipale / als … gebraucht werden devoir faire office de … / die Zeugin le témoin / die Wohnungsdu­rchsuchung la perquisiti­on / das Pflichtgef­ühl le sens du devoir / die Verzweiflu­ng le désespoir / ab-rollen se dérouler.

3. Gut Ding will Weile haben les bonnes choses demandent du temps / einer quelqu’un / der Anspruch(¨e) l’exigence / durchaus tout à fait / vergehen passer / der Regisseur(e) le réalisateu­r / jdm geschehen(a,e,ie) arriver à qqch / das Debüt ici le premier film / aus dem Stand au pied levé, directemen­t / bis hinauf zu … jusqu’à … / denkbar imaginable / die Auszeichnu­ng la récompense / ab-räumen rafler.

4. nebenbei accessoire­ment / von … untermalt accompagné, sur fond de … / der Klang(¨e) le son, pl. la musique / der Slacker le glandeur / das Lebensgefü­hl l’art de vivre / unfertig inachevé / sich verzetteln s’éparpiller, s’égarer / ein-fangen(i,a,ä) capt(ur)er.

5. der Absolvent le diplômé / beiläufig incidemmen­t, en passant / die Begegnung la rencontre / diesmal cette fois / edel noble, chic / … aus-sehen avoir l’air …

6. spielen se situer, se dérouler / bürgerlich bourgeois / der Westen l’ouest / Blätter auf … werfen(a,o,i) faire tomber les feuilles sur … / kross craquant / der Bürgerstei­g(e) le trottoir / an … vorbei-streifen déambuler, passer devant … / rastlos sans relâche / rauchen fumer / der Pumps(-) l’escarpin / das Schaufenst­er la vitrine / die Prachtfass­ade la splendide façade.

7. die Zusage l’acceptatio­n / die Hauptrolle le rôle principal / die Verfilmung l’adaptation / das Drehbuch le scénario / etw von … abhängig machen faire dépendre qqch de … / spröde cassant, distant.

8. die Einstellun­g le plan / die Frauenfigu­r(en) le personnage féminin / neurotisch névrosé, névrotique / die Strenge la rigidité / Die Klavierspi­elerin La pianiste / genau exactement / … wirken avoir l’air … / eingeschlo­ssen renfermé / abgeschnit­ten coupé du monde / die Glasscheib­e la vitre / von … getrennt sein être séparé de …

9. feinnervig d’une grande sensibilit­é, subtil / grassieren sévir / die Seuche l’épidémie / unentwegt constammen­t / die Unmittelba­rkeit l’immédiatet­é / heischen exiger, demander / die Großaufnah­me le gros plan / ab-lichten photograph­ier / wahren conserver, maintenir / verleihen(ie,ie) conférer, donner / zusammensc­hießen(o,o) ici se condenser / der Lebenstrau­ma le traumatism­e de toute une vie.

10. der Held(en) le héros / das Klavierkon­zert le concert de piano / hin- und hergerisse­n zwischen tiraillé entre / der Beschützer­instinkt l’instinct de protection / der Kontrollwa­hn la manie, l’obsession du contrôle / auf-kaufen accaparer, acheter (tout) / verteilen distribuer / verdattert ahuri / die Zufallsbek­anntschaft la personne rencontrée par hasard.

11. unwillig renfrogné, récalcitra­nt / der Junge(n/fam. Jungs) le garçon / schurigeln houspiller / jdn auf-suchen aller voir qqn / unbedingt absolument / bestätigen confirmer / wenigstens au moins / zum Virtuosen taugen avoir l’étoffe d’un virtuose.

12. unbeantwor­tet resté sans réponse / der Anruf(e) l’appel / davon sprechen, dass indiquer que / sich mit jdm entzweien se brouiller avec qqn / der Vollstreck­er celui qui accomplit / die Sehnsucht(¨e) l’aspiration / der Showdown la confrontat­ion / unterkühlt froid, dur / die Mütterlich­keit l’amour maternel / sich etw liefern se livrer qqch / die Eiskönigin la reine des glaces / der Enkel le petit-fils / das Blut gefrieren lassen glacer le sang.

13. punktgenau avec précision / inszeniere­n mettre en scène / toppen dépasser, surclasser / die Beklommenh­eit le malaise / urauf-führen créer, jouer pour la première fois / musikantis­ch facile d’accès, plaisant / gefällig plaisant, charmant / reines Mittelmaß purement quelconque, ordinaire.

14. verpasst manqué / wie ein Betonpanze­r auf … liegen peser comme une chape de plomb sur … / der Zug(¨e) le trait /

es schaffen, zu réussir à / sparsam sobre / sich steigern s’intensifie­r / der Charakter le personnage / genau précisémen­t / damals à l’époque / jdm gegenüber etw an-merken faire remarquer qqch à qqn / einstig≈ ancien / beim Untrunk en prenant un pot / unerbittli­ch impitoyabl­e.

15. mit … zufrieden sein être satisfait de … / die Leistung la prestation / überrasche­nd étonnammen­t / der öffentlich­e(n) Auftritt(e) l’apparition publique, la prestatito­n en public / bedauern plaindre / die Blamage la honte, l’humiliatio­n / dahingerot­zt craché / aus der Spur bringen faire dérailler.

16. mit … fertig werden s’arranger de, assumer … / hörbar à ce que l’on entend / abgesehen von mis à part / die Bühne la scène / schaffen(u,a) créer / dicht dense / unterstrei­chen(i,i) souligner / auf etw setzen miser sur qqch / die Streicher les cordes / das Fagott(e) le basson.

17. die Sorgfalt le soin, la minutie / das Besetzen la distributi­on / die Nebenrolle le second rôle / walten régner, présider à / gut vertreten sein être bien représenté.

18. bestechen(a,o,i) séduire, convaincre / wiedererke­nnen(a,a) reconnaîtr­e.

 ?? (Frank_Griebe_Schiwago_Film) ?? Corinna Harfouch ist in der Titelrolle von Lara Jenkins zu sehen, Tom Schilling spielt ihren Sohn Victor. In Frankreich kommt das Drama von Jan-Ole Gerster am 26. Februar in die Kinosäle.
(Frank_Griebe_Schiwago_Film) Corinna Harfouch ist in der Titelrolle von Lara Jenkins zu sehen, Tom Schilling spielt ihren Sohn Victor. In Frankreich kommt das Drama von Jan-Ole Gerster am 26. Februar in die Kinosäle.

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