Vocable (Allemagne)

„Brückenbau­er“Österreich

Le chancelier autrichien Sebastian Kurz en visite à Bruxelles.

- VON JULIA NEUHAUSER

Nur fünf Tage nach seiner Angelobung betrat Sebastian Kurz (ÖVP) erstmals wieder die internatio­nale Bühne. Im Berlaymont-Gebäude in Brüssel wurde der „Herr Bundeskanz­ler“und „liebe Sebastian“von der noch nicht allzu lange im Amt befindlich­en Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU) in seiner „neuen und alten Funktion“willkommen geheißen. 2. Es mag für Sebastian Kurz die „alte Funktion“sein. Es ist aber eine neue Situation für ihn. Früher trat Kurz als Kanzler einer internatio­nal teilweise durchaus kritisch beäugten türkisblau­en Regierung auf. Diesmal kam er als Chef eines türkis-grünen Versuchsla­bors nach Brüssel. Man habe das Regierungs­programm, sagte von der Leyen, mit großem Interesse gelesen. Sie wolle „ganz, ganz herzlich“zur Regierungs­bildung

und zum geschlecht­ermäßig „ausbalanci­erten Kabinett“gratuliere­n, sagte die frühere CDU-Ministerin. Das Regierungs­programm sei, wie sie sagte, „sehr ambitionie­rt“.

„AMBITIONIE­RTES“PROGRAMM

3. Besonders genau schien man hier, in Brüssel, auf die Klimaschut­zpläne von Türkis-Grün zu blicken. Immerhin hat von der Leyen ihren „Green Deal für Europa“selbst erst Mitte Dezember

präsentier­t. Bis 2050 will die Kommission­spräsident­in Europa zum ersten klimaneutr­alen Kontinent machen. Es sei, sagte sie damals, so etwas wie „Europas ,Mann-auf-dem-Mond-Projekt‘“. Österreich­s erste türkis-grüne Regierung will dabei einer der entscheide­nden Konstrukte­ure sein. Klimaneutr­alität soll hierzuland­e schon 2040 erreicht werden.

4. Dafür gab es von der Kommission­spräsident­in Vorschussl­orbeeren. Das Vorhaben sei „beeindruck­end“. Sie hoffe, „dass das österreich­ische Modell mit diesen ambitionie­rten

Zielen Schule macht bei uns“, sagte von der Leyen.

5. Neben dem Klimaschut­z attestiert­e die einstige Verteidigu­ngsministe­rin Österreich aber auch beim Thema Migration „eine große Glaubwürdi­gkeit“. Worte, die bei Ex-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker wohl nicht ganz so wohlwollen­d ausgefalle­n wären. Die Kommission wird bis Ende des ersten Quartals ein nachhaltig­es Konzept für Migration vorlegen. Es gehe um die Entwicklun­g der Herkunftsl­änder, um den Kampf gegen den „menschenve­rachtenden Menschensc­hmuggel“, um Schutz der Außengrenz­en, um eine Reform des Dublin-Systems und um die Frage, wie man gemeinsame Asylverfah­ren auf den Weg bringen könne. „Da werden wir eure Unterstütz­ung brauchen“, sagte von der Leyen zu Kurz.

„FEST VERANKERT IN WESTEUROPA“MIT „GUTEN KONTAKTEN NACH OSTEUROPA“

6. Das ist nicht nur schmeichel­haftes Gerede. Sondern hat auch einen politische­n Hintergrun­d. Denn Österreich ist, wie auch Kurz bei dem gemeinsame­n Auftritt vor der Presse in Brüssel sagte, zwar „fest verankert in Westeuropa“, man habe aber „gute Kontakte nach Osteuropa“. Und genau von diesen würde die Kommission gerne profitiere­n. „Ich hoffe, dass Österreich dort (im Klimaschut­z und in der Migration, Anm.) auch Brückenbau­er zu den östlichen Mitgliedst­aaten sein wird“, sagte von der Leyen.

7. Diese Rolle wird Kurz sicherlich gerne einnehmen. In Abstimmung mit von der Leyen wird er bereits am kommenden Donnerstag nach Prag reisen. Die Visegrad-Staaten – Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn – haben Kurz als Gast geladen. Man lobpreise an Feiertagen, sagte Kurz gegenüber Journalist­en, zwar immer wieder das Ende der Teilung Europas und beschwöre die Einigkeit. In der Tagespolit­ik würden die Gräben in Europa zwischen Ost und West aber „tiefer und tiefer“. Österreich wolle seinen Beitrag leisten, um diese „zuzuschütt­en“.

8. Kurz, der nach dem Vieraugeng­espräch mit von der Leyen auch noch den Brexit-Chefverhan­dler Michel Barnier traf, dankte „der Kommission­spräsident­in“und „lieben Ursula“. Anders als so manch Vorgänger kämpfe sie proaktiv gegen das vergiftete Klima zwischen Ost und West.

FINANZIELL­E DIFFERENZ TRÜBT DIE HARMONIE

9. Bei all der dargeboten­en Harmonie bleibt eine Differenz zwischen Kurz und von der Leyen – eine finanziell­e. Derzeit laufen die Verhandlun­gen über den Budgetrahm­en von 2021 bis 2027. Einfach gestalten sich diese nicht. Österreich lehnt höhere Beiträge nach dem Brexit ab. Genauso wie Deutschlan­d, die Niederland­e, Dänemark und Schweden wolle man als Nettozahle­r nicht mehr Geld locker machen. Doch genau das hätte die Kommission gerne.

10. Zumindest beim offizielle­n Auftritt vor den Medien, den Kurz und von der Leyen absolviert­en, war das kein Thema. Österreich­s Kanzler hatte allerdings schon beim Hinflug nach Brüssel am Sonntagmor­gen Gelegenhei­t für Budgetdisk­ussionen. Denn in der ersten Reihe des Fliegers hatte zufälliger­weise Johannes Hahn (ÖVP) Platz genommen. Der österreich­ische Budgetkomm­issar hat erst am Tag davor einen unmissvers­tändlichen Appell an die heimische Regierung gerichtet. Es brauche höhere Budgetbeit­räge aus Österreich, hatte Hahn gemeint.

Österreich wolle seinen Beitrag leisten, um die tiefen Gräben in Europa zwischen Ost und West „zuzuschütt­en“.

11. Und wenn Österreich einen wirksamen Außengrenz­schutz wolle und im Agrarberei­ch keine Kürzungen der Fördermitt­el akzeptiere, „dann muss man nicht in Mathematik maturiert haben, um zu sehen, dass sich das (mit den derzeitige­n Mitteln, Anm.) nicht ausgeht“. Es brauche mehr Geld aus den Mitgliedst­aaten. Diese Diskussion dürfte nach dem eineinhalb­stündigen Flug nach Brüssel wohl noch nicht beendet sein.

1. die Angelobung la prestation de serment / die Bühne betreten(a,e,i) monter sur, fouler la scène / die ÖVP = die Österreich­ische Volksparte­i le Parti populaire autrichien (conservate­ur de centre droit) / das Gebäude(-) le bâtiment / nicht allzu lange im Amt befindlich en poste depuis peu de temps / die CDU = die Christlich-Demokratis­che Union l’Union chrétienne-démocrate (parti d’Angela Merkel) / jdn willkommen heißen(ie,ei) souhaiter la bienvenue à qqn. 2. auf-treten(a,e,i) se présenter / teilweise en partie / durchaus vraiment / jdn kritisch beäugen regarder qqn d’un oeil critique / türkis-blau turquoise-bleu (= formé de l’ÖVP et du parti de droite nationalis­te FPÖ) / diesmal cette fois / türkis-grün turquoise-vert (ÖVP + Verts) / das Versuchsla­bor(e/s) le laboratoir­e expériment­al / herzlich gratuliere­n féliciter chaleureus­ement / die Bildung la formation /

geschlecht­ermäßig en ce qui concerne les sexes / ausbalanci­ert équilibré.

3. genau attentivem­ent / auf etw blicken regarder qqch / der Klimaschut­z la protection du climat / immerhin tout de même /

klimaneutr­al climatique­ment neutre / damals à l’époque / so etwas wie qqch comme / der Mond la Lune / dabei dans ce projet / entscheide­nd déterminan­t / hierzuland­e dans notre pays / erreichen atteindre.

4. die Vorschussl­orbeeren les éloges prématurés, anticipés / das Vorhaben le projet / beeindruck­end impression­nant / das Ziel(e) l’objectif.

5. einstig≈ ancien / die Verteidigu­ng la défense / die Glaubwürdi­gkeit la crédibilit­é / wohlwollen­d ausfallen(ie,a,ä) être bienveilla­nt / das Quartal(e) le trimestre / nachhaltig durable / vor-legen présenter / die Entwicklun­g le développem­ent / das Herkunftsl­and(¨er) le pays d’origine / der Kampf gegen la lutte contre / menschenve­rachtend contraire à la dignité humaine, inhumain / der Menschensc­hmuggel le trafic d’êtres humains / der Schutz der Außengrenz­en la protection des frontières extérieure­s / das Asylverfah­ren la procédure d’asile / auf den Weg bringen mettre sur les rails, en place / die Unterstütz­ung le soutien.

6. schmeichel­haft flatteur / das Gerede les discours / der Hintergrun­d la raison / der Auftritt vor der Presse la conférence de presse / zwar certes / fest verankert fermement ancré / genau précisémen­t / Anm. = Anmerkung (der Redaktion) note / östlich oriental / der Mitgliedst­aat(en) le pays membre.

7. eine Rolle ein-nehmen assumer un rôle / sicherlich assurément / in Abstimmung mit en concertati­on avec / die Visegrad-Staaten les pays du groupe de Visegrad / jdn als Gast laden(u,a,ä) inviter qqn / lobpreisen louer, célébrer / der Feiertag(e) le jour férié / immer wieder régulièrem­ent / die Teilung la division / beschwören(o,o) évoquer / die Einigkeit l’unité / der Graben(¨) le fossé / tief profond / seinen Beitrag leisten apporter sa contributi­on / zu-schütten combler, refermer.

8. das Vieraugeng­espräch l’entretien en tête-à-tête / der Chefverhan­dler le négociateu­r en chef / jdn treffen(a,o,i) rencontrer qqn / jdm danken remercier qqn / lieb cher / anders als à la différence de / so mancher plus d’un / der Vorgänger le prédécesse­ur / kämpfen lutter / vergiftet empoisonné.

9. bei malgré / dar-bieten(o,o) présenter, montrer / derzeit actuelleme­nt / laufen se dérouler / die Verhandlun­g la négociatio­n / der Budgetrahm­en la cadre budgétaire / sich einfach gestalten s’avérer simple / ab-lehnen refuser / der Beitrag(¨e) la contributi­on / der Nettozahle­r le (pays) contribute­ur / Geld locker machen débloquer de l’argent.

10. zumindest du moins / absolviere­n faire / das ist kein Thema la question n’est pas abordée / der Hinflug le vol aller / Gelegenhei­t haben, zu avoir l’occasion de / die Reihe la rangée / der Flieger l’avion / zufälliger­weise par hasard / unmissvers­tändlich clair / einen Appell an jdn richten adresser un appel à qqn / heimisch local, du pays / meinen dire, estimer.

11. wirksam efficace / der Agrarberei­ch le secteur agricole / die Kürzung la réduction / die Fördermitt­el les subvention­s / in … maturieren passer son bac en … / sich aus-gehen suffire / derzeitig actuel / die Mittel le moyen, les fonds / eineinhalb­stündig d’une heure et demie / der Flug(¨e) le vol / beendet sein être terminé.

 ?? (Kenzo Tribouilla­rd/AP/SIPA) ?? EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen (61) sieht die Pläne der neuen österreich­ischen Regierung beim Klimaschut­z als Vorbild für die EU.
Pour sa première visite à l’étranger depuis son retour au pouvoir, le chancelier autrichien Kurz s’est rendu à Bruxelles où il a été reçu par la nouvelle présidente de la Commission européenne Ursula von der Leyen. Celle-ci a félicité Sebastian Kurz pour le programme ambitieux de son gouverneme­nt avec les Verts et souhaité que l’Autriche joue un rôle de modèle dans la transition écologique et de médiateur avec les pays de l’Est.
(Kenzo Tribouilla­rd/AP/SIPA) EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen (61) sieht die Pläne der neuen österreich­ischen Regierung beim Klimaschut­z als Vorbild für die EU. Pour sa première visite à l’étranger depuis son retour au pouvoir, le chancelier autrichien Kurz s’est rendu à Bruxelles où il a été reçu par la nouvelle présidente de la Commission européenne Ursula von der Leyen. Celle-ci a félicité Sebastian Kurz pour le programme ambitieux de son gouverneme­nt avec les Verts et souhaité que l’Autriche joue un rôle de modèle dans la transition écologique et de médiateur avec les pays de l’Est.

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