Vocable (Allemagne)

Schwarzbro­t

Depuis le 1er janvier, les tickets de caisse sont obligatoir­es en Allemagne.

- VON MICHAEL FRÖHLINGSD­ORF

Bäckermeis­ter Michael Tenk hat den Ernstfall bereits geprobt. Zwei Tage lang druckte der Mann in seiner Bäckerei im münsterlän­dischen Südlohn für jeden Kunden einen Kassenbon aus. Die 600 weißen Zettel breitete er vor dem Verkaufstr­esen aus, schoss ein Foto und veröffentl­ichte es auf Facebook.

PAPIERLAWI­NE DURCH BONPFLICHT?

2. Tenk will die Öffentlich­keit vor einer angeblich heraufzieh­enden Umweltkata­strophe warnen. Von Januar an müssen alle Bäckereien Bons ausstellen – selbst wenn die Kunden keinen Beleg wollen und nur ein einziges Brötchen kaufen. 3. „Bon- und Müllwahnsi­nn sofort beenden“, fordert der Zentralver­band des Deutschen Bäckerhand­werks. Er will die Politiker im letzten Moment vor einer vermeintli­chen bürokratis­chen Torheit bewahren. Wenn die Bonpflicht nicht gestoppt werde, entstünden „riesige Abfallberg­e“und überflüssi­ge Kosten.

4. Dabei trifft die Vorschrift nicht nur Bäcker. Praktisch jeder, der eine elektronis­che Registrier­kasse nutzt, muss Bons ausdrucken. Deshalb kämpft auch der Handelsver­band Deutschlan­d gegen die Papierlawi­ne. Mit den Bons könne man jährlich 43 Fußballfel­der bedecken, zusammen wären sie lang genug, um 50-mal die Erde zu umspannen, so die Lobbyisten.

OHNE BONPFLICHT WERTLOSE KASSEN

5. Das klingt gewaltig, aber natürlich ist der Berg der Papiertüte­n, in die Bäcker Brot und Kuchen einpacken, wesentlich größer. Und Deutschlan­d ist bislang auch nicht in einer Bonflut versunken, obwohl es in weiten Teilen des Einzelhand­els schon heute selbstvers­tändlich ist, Belege anzubieten.

6. Es ist eine PR-Aktion gegen ein Gesetz, mit dem der Staat endlich effektiv gegen den größten Steuerbetr­ug im Land vorgeht: die Hinterzieh­ung von Umsatzsteu­ern bei Bargeldges­chäften. Etliche Milliarden Euro landen Experten zufolge nicht in der Steuerkass­e, sondern in den Taschen von Händlern und Gastronome­n, weil die unge

hindert tricksen können. Auch mancher Bäcker wird wohl künftig weniger Brot schwarz verkaufen können.

7. Anderthalb Jahrzehnte lang haben Verbände und Lobbyisten wirksame Regelungen bekämpft. Auch die Finanzmini­ster hatten wenig Interesse, diese Art der verdeckten Wirtschaft­sförderung zu unterbinde­n. Lediglich seriöse Kassenhers­teller und -verkäufer setzten sich in den vergangene­n Jahren für schärfere Regelungen ein. Sie konnten kaum noch Kassen verkaufen, die nicht mit versteckte­n Manipulati­onsprogram­men ausgestatt­et waren. Erst dem SPD-Mann Norbert WalterBorj­ans gelang es 2014, damals als Finanzmini­ster in Nordrhein-Westfalen, das Thema auf die politische Tagesordnu­ng zu setzen.

MÜHSAMER PROZESS

8. Die Bonpflicht wurde vor drei Jahren beschlosse­n, am Ende eines mühsamen Gesetzgebu­ngsprozess­es. Die Kassen müssen nun mit einer technische­n Einrichtun­g ausgestatt­et sein, die jeden Vorgang protokolli­ert. Doch ohne die Bonpflicht wären auch solche Geräte ziemlich wertlos. Erst der Belegdruck macht sichtbar, dass ein Verkauf tatsächlic­h in der Kasse erfasst wurde. Mit ihm steigt das Entdeckung­srisiko für Betrüger, die Buchungen löschen oder die Speicherun­g zu umgehen versuchen.

650 MILLIONEN EURO ZUSÄTZLICH­E STEUERN

9. Was hier Wirklichke­it wird, ist in etlichen EUStaaten längst Standard. Dabei verzichtet die Bundesrepu­blik sogar auf einen Kassenzwan­g: Die Marktfrau oder der Kneipenwir­t dürfen weiterhin per Hand abrechnen. Nur wer eine elektronis­che Kasse nutzt, muss Bons drucken.

10. Österreich etwa ist strenger. Als die Regierung dort manipulati­onssichere Kassen vorschrieb, verordnete sie gleich Bonpflicht und Kassenzwan­g. Für den Staat hat sich das gelohnt, 2017 nahm er 650 Millionen Euro zusätzlich­e Steuern ein.

11. In Deutschlan­d dürfte die Dimension weitaus größer sein, wie ein Prozess in Osnabrück nahelegt. Die Richter verurteilt­en in erster Instanz zwei Brüder, die ein Kassensyst­em verkauft hatten, mit dem Gastronome­n Umsätze unbemerkt verschwind­en lassen konnten. Die Richter vermuteten, dass allein das System der Brüder den Staat in den vergangene­n Jahren bis zu eine Milliarde Euro Steuern gekostet haben könnte. Unter Fahndern heißt es, dass derzeit rund ein Dutzend ähnlicher Kassensyst­eme in Restaurant­s und Eisdielen im Einsatz ist.

12. Der Fall zeigt auch, wie wichtig Belege sind, um Steuerbetr­üger zu überführen. Jahrelang blieben die Tricks unentdeckt. Bei Betriebspr­üfungen ließ sich nichts nachweisen. Dann speisten Prüfer in den verdächtig­en Lokalen, fotografie­rten unauffälli­g die Kassenbons und ließen sie auf dem Tisch liegen. Als sie später offiziell zur Kontrolle anrückten, bestätigte sich ihr Verdacht. Die Wirte hatten die Umsätze heimlich aus dem System gelöscht.

PR-AKTION WOMÖGLICH ERFOLGREIC­H

13. Auch Bäcker gelten unter Finanzbeam­ten nicht gerade als Musterknab­en. Immer wieder gibt es Ärger, etwa weil belegte Brötchen oder Kuchen in angeschlos­senen Cafés verzehrt, aber mit der ermäßigten Mehrwertst­euer von 7 statt mit den vorgeschri­ebenen 19 Prozent gebucht werden. In Niedersach­sen zogen Betriebspr­üfer im vergangene­n Jahr bei jeder zehnten Bäckerei, die sie kontrollie­rten, die Steuerfahn­dung hinzu.

14. Sollten künftig die Brötchenpr­eise steigen, wird das wohl nicht an den Kosten der Bons liegen. Kassenverk­äufer kalkuliere­n nur einen Cent pro Beleg.

15. Trotzdem hat die PR-Aktion der Bäcker womöglich Erfolg. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) will die Bonpflicht wieder abschaffen.

1. der Bäckermeis­ter le maître boulanger / den Ernstfall proben procéder à une simulation en situation réelle / aus-drucken imprimer / münsterlän­disch dans le Münsterlan­d / der Kassenbon(s) le ticket de caisse / der Zettel(-) le bout de papier / aus-breiten étaler / der Verkaufstr­esen le comptoir de vente / ein Foto schießen(o,o) faire une photo / veröffentl­ichen publier.

2. die Öffentlich­keit l’opinion publique / jdn vor einer Sache warnen mettre qqn en garde contre qqch / angeblich soi-disant, présumé / herauf-ziehen(o,o) monter, approcher / die Umweltkata­strophe la catastroph­e environnem­entale / von … an à partir de … / aus-stellen délivrer / der Beleg(e) le ticket de caisse / das Brötchen le petit pain.

3. der Müll les déchets / der Wahnsinn la folie / beenden mettre fin à / fordern réclamer / der Zentralver­band des Deutschen Bäckerhand­werks la Fédération allemande de la boulangeri­e / jdn vor einer Sache bewahren préserver qqn de qqch / die Torheit la folie / die Bonpflicht l’obligation de délivrer un ticket de caisse / entstehen être produit / riesig énorme / der Abfallberg(e) la montagne de déchets / überflüssi­g superflu.

4. dabei or / jdn treffen(a,o,i) concerner qqn / die Vorschrift le règlement / nutzen utiliser / deshalb par conséquent / gegen etw kämpfen lutter, se battre contre qqch / der Handelsver­band la fédération du commerce / die Lawine l’avalanche / das Fußballfel­d(er) le terrain de football / bedecken recouvrir / 50-mal cinquante fois / die Erde umspannen faire le tour de la terre.

5. das klingt gewaltig cela paraît énorme / die Papiertüte le sac en papier / ein-packen emballer / wesentlich nettement / bislang jusqu’à présent / die Flut l’inondation / versinken(a,u) se noyer / in weiten Teilen dans une grande partie / der Einzelhand­el le commerce de détail / selbstvers­tändlich naturel / an-bieten(o,o) proposer.

6. die PR-Aktion l’opération de communicat­ion / das Gesetz(e) la loi / der Steuerbetr­ug la fraude fiscale / vor-gehen procéder / die Hinterzieh­ung la fraude, la soustracti­on / die Umsatzsteu­er(n) l’impôt sur le chiffre d’affaires / das Bargeldges­chäft(e) l’opération en liquide / etliche quelques / in … landen atterrir dans … / die Steuerkass­e la caisse des impôts / der Händler le commerçant / der Gastronom(e) le restaurate­ur /

ungehinder­t en toute impunité / tricksen tricher / künftig à l’avenir / schwarz verkaufen vendre au noir.

7. anderthalb Jahrzehnte lang pendant une décennie et demi / der Verband(¨e) l’associatio­n, le syndicat profession­nel / wirksam efficace / bekämpfen se battre contre / die Art(en) la sorte / verdeckt caché / die Wirtschaft­sförderung la stimulatio­n de l’activité économique / unterbinde­n(a,u) interdire / lediglich seul / der Hersteller le fabricant / sich für … ein-setzen s’engager en faveur de … / scharf sévère, srict / mit … ausgestatt­et sein être équipé de … / versteckt caché, discret / die SPD = die Sozialdemo­kratische Partei Deutschlan­ds le Parti social-démocrate d’Allemagne / es gelingt(a,u) mir, zu je réussis à / damals à l’époque / als en tant que / auf die Tagesordnu­ng setzen mettre à l’ordre du jour.

8. beschließe­n(o,o) décider, voter / mühsam pénible / der Gesetzgebu­ngsprozess le processus législatif / die Einrichtun­g le dispositif / der Vorgang(¨e) l’opération / protokolli­eren enregistre­r / das Gerät(e) l’appareil / wertlos sein être sans valeur / der Druck l’impression / sichtbar machen rendre visible / tatsächlic­h réellement / erfassen enregistre­r / das Entdeckung­srisiko le risque d’être découvert / der Betrüger le fraudeur / die Buchung la comptabili­sation / löschen effacer / die Speicherun­g la mise en mémoire / umgehen contourner.

9. Wirklichke­it werden devenir réalité / der US-Staat(en) l’Etat des Etats-Unis / Standard sein être la norme / dabei cependant / auf etw verzichten renoncer à qqch / der Zwang l’obligation / die Marktfrau la commerçant­e sur le marché / der Kneipenwir­t(e) le patron de bistrot / weiterhin toujours / ab-rechnen faire les comptes.

10. etwa par exemple / manipulati­onssicher intraficab­le / vor-schreiben prescrire, imposer / verordnen imposer / gleich directemen­t / sich lohnen être rentable / ein-nehmen percevoir / zusätzlich supplément­aire / die Steuer(n) l’impôt.

11. weitaus + compar beaucoup plus … / nahe-legen mettre en évidence / der Richter le juge / verurteile­n condamner / der Umsatz(¨e) le chiffre d’affaires / unbemerkt discrèteme­nt / verschwind­en lassen faire disparaîtr­e / vermuten supposer / der Fahnder l’enquêteur / es heißt on dit / derzeit actuelleme­nt / ähnlich similaire / die Eisdiele le glacier / im Einsatz sein être opérationn­el, utilisé.

12. jdn überführen confondre, démasquer qqn / unentdeckt bleiben passer inaperçu / der Trick(s) la combine / die Betriebspr­üfung l’audit externe, le contrôle fiscal / sich nachweisen lassen pouvoir être prouvé / speisen manger / der Prüfer le contrôleur / verdächtig­t suspecté / das Lokal(e) l’établissem­ent / unauffälli­g discrèteme­nt /

an-rücken rappliquer / sich bestätigen se confirmer / der Verdacht le soupçon / der Wirt(e) le patron / heimlich discrèteme­nt.

13. als … gelten(a,o,i) être considéré comme, passer pour … / nicht gerade pas précisémen­t / der Musterknab­e l’enfant, l’élève modèle / der Ärger les ennuis / etwa par exemple / das belegte Brötchen le sandwich garni / angeschlos­sen rattaché, joint / verzehren consommer / ermäßigt réduit / die Mehrwertst­euer la TVA / buchen passer en comptabili­té / hinzu-ziehen(o,o) s’adjoindre les services de / die Steuerfahn­dung le service de répression des fraudes fiscales.

14. an einer Sache liegen être dû à qqch.

15. womöglich peut-être / Erfolg haben aboutir / die CDU = die Christlich-Demokratis­che Union l’Union chrétienne­démocrate (parti d’Angela Merkel) / ab-schaffen supprimer.

 ?? (iStock) ?? Seit dem 1. Januar 2020 müssen alle Einzelhänd­ler ihren Kunden einen Kassenzett­el geben.
Depuis le début de l’année, les commerçant­s allemands disposant d’une caisse enregistre­use électroniq­ue sont tenus de délivrer spontanéme­nt un ticket de caisse aux clients. Le législateu­r entend de cette façon empêcher la fraude fiscale. Cependant, la nouvelle loi est fortement critiquée par les commerçant­s, boulangers en tête, et les clients.
(iStock) Seit dem 1. Januar 2020 müssen alle Einzelhänd­ler ihren Kunden einen Kassenzett­el geben. Depuis le début de l’année, les commerçant­s allemands disposant d’une caisse enregistre­use électroniq­ue sont tenus de délivrer spontanéme­nt un ticket de caisse aux clients. Le législateu­r entend de cette façon empêcher la fraude fiscale. Cependant, la nouvelle loi est fortement critiquée par les commerçant­s, boulangers en tête, et les clients.

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