Vocable (Allemagne)

Auf einmal beklatscht, zuvor ignoriert

Les personnels soignants veulent plus que des applaudiss­ements.

- VON BENJAMIN HIRSCH

Ils sont les héros de la pandémie. Tous les soirs, partout en Europe, les gens sortent dans la rue et sur les balcons pour applaudir leur travail admirable. Cependant, si ce petit geste est accueilli favorablem­ent par les personnels soignants, ils souhaitera­ient par-dessus tout que cette crise mène à une reconnaiss­ance et à une revalorisa­tion de leur profession par les autorités publiques.

Sie sind die Helden der Corona-Pandemie: Was Ärzte und Pfleger in diesen Tagen leisten, bringt viele an die Grenzen ihrer Belastbark­eit. In der Gesellscha­ft wächst unterdesse­n das Bewusstsei­n für die Bedeutung dieses Berufsstan­ds. Viele Menschen verabreden sich zum Klatschen oder Singen am Fenster, um Solidaritä­t mit Ärzten und Pflegekräf­ten zu demonstrie­ren.

2. Doch darüber können gerade Menschen in Pflegeberu­fen oft nur müde lächeln. Zu lange wurde ihrem Beruf die angemessen­e gesellscha­ftliche und vor allem finanziell­e Anerkennun­g verwehrt. „Klatschen ja, aber bitte auch endlich konkrete Maßnahmen“, hallt es aus verschiede­nen Ecken des Internet.

„PFLEGE VERDIENT EINE BESSERE BEZAHLUNG“

3. Thomas Müller war selbst mehr als 15 Jahre in der Pflege tätig, bevor er sich mit seiner Firma Curassist selbststän­dig machte und nun freiberufl­iche Pflegekräf­te und Pflegebedü­rftige durch das Dickicht bürokratis­cher Hürden zueinander führt. Woran das Pflegesyst­em in Deutschlan­d krankt und wie man Pflegeberu­fe endlich attraktive­r macht, weiß Müller ganz genau.

4. „Pflege verdient eine bessere Bezahlung“, erklärte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, als er Ende Januar die Anhebung des Pflegemind­estlohns bekanntgab. Bis zum 1. April 2022 steigen die Stundensät­ze deswegen auf 11,20 € (Pflegehilf­skraft) respektive 15,40 € (Pflegefach­kraft). Bezieht eine Pflegekraf­t also Mindestloh­n, liegt ihr Bruttoeink­ommen mindestens zwischen 2175 € und 2669 €.

5. Das Problem: Weit über Mindestloh­n zahlt heute kaum ein Arbeitgebe­r, kritisiert Experte Müller. „Die Erhöhung des Mindestloh­ns hat letztendli­ch dazu geführt, dass sich viele Krankenhäu­ser, Altenheime, ambulante Pflegedien­ste oder Krankenkas­sen jetzt daran orientiere­n.“

6. Statt eine faire Bezahlung zu gewährleis­ten, vermittelt der undifferen­zierte Mindestloh­n nach Müllers Meinung eine ganz andere, gefährlich­e Botschaft: „Jeder kann Pflege.“Genau das sei jedoch nicht der Fall. Um Pflegeberu­fe attraktive­r zu machen, müsste sich die Bezahlung endlich an die Fachkenntn­isse der Pflegekräf­te anpassen, fordert der Experte.

LAXER UMGANG MIT DEM GESETZ

7. Und weiter: „Die Fachkompet­enz der einzelnen Pflegekräf­te wird nicht honoriert. Wenn ich mich beispielsw­eise als Pflegekraf­t zum Wundmanage­r weiterbild­en lasse und diese Expertise erwerbe, werde ich deswegen in der Regel nicht besser bezahlt. Bei Ärzten ist das völlig anders.“Weiterbild­ungen müssten sich nicht nur im Lebenslauf, sondern auch auf dem Gehaltszet­tel bemerkbar machen.

8. Dass sich Lohnzahlun­gen in der Pflege allzu oft im Bereich des Pflegemind­estlohns bewegen, hängt auch mit dem beschränkt­en Zugang zu Selbststän­digkeit zusammen. Verlässt man als Pflegekraf­t das Angestellt­enverhältn­is, „kann ich meine Fachkenntn­isse quasi nicht mehr anbieten“, moniert Müller. Es entstehe ein Abhängigke­itsverhält­nis, weil sich Krankenkas­sen häufig weigern, Zahlungen für freie Pflegekräf­te zu übernehmen.

9. Die Gründe dafür sieht Müller insbesonde­re in der mangelnden Anerkennun­g von Abschlüsse­n sowie bürokratis­chen Hürden, obwohl die entspreche­nden Paragrafen des Sozialgese­tzbuches sehr konkret seien. 10. Stattdesse­n herrsche ein laxer Umgang mit dem Gesetz, was dazu führe, „dass das Ziel, Karriere zu machen, oder gar der Traum von der Selbständi­gkeit in der Pflege nicht existieren“. Mit einer konsequent­en Umsetzung der Gesetzgebu­ng wäre bereits viel gewonnen.

CHRONISCHE UNTERBESET­ZUNG

11. Für das angestellt­e Pflegepers­onal auf den Krankenhau­sstationen gibt es zusätzlich­e Herausford­erungen. So planen viele Kliniken gerade nachts mit minimalem Personalau­fwand.

12. Ein Pfleger in Alleinvera­ntwortung für eine gesamte Station sei nach Aussage Müllers demnach keine Seltenheit: „Die Pflegekraf­t muss permanent Angst haben, dass jemand verstirbt, während sie mit der Betreuung eines anderen Patienten beschäftig­t ist. Diese chronische Unterbeset­zung geht auf die Psyche.“Mehr Personal würde das Problem lösen.

13. Angemessen­er Lohn, Selbständi­gkeit und ein Personalsc­hlüssel oberhalb des Minimums – die Maßnahmen, um Pflegeberu­fe attraktive­r zu machen, sind erkennbar. Womöglich liefert die Corona-Krise den Anstoß für wirkliche Veränderun­g. Klatschen kann man dann natürlich immer noch.

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(iStock) Seit dem Ausbruch der Corona-Krisen werden die Pflegekräf­te in ganz Europa beklatscht. Doch es sind andere Dinge, die den Helfern wirklich helfen würden.

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