Vocable (Allemagne)

Das Gefühl, nicht dazuzugehö­ren

Le sentiment de non-appartenan­ce

- VON JULIA ANTON

En Allemagne aussi le racisme anti-noir est un problème latent, mais peu abordé

Après la mort de George Floyd le 25 mai dernier, le mouvement BlackLives­Matter a gagné l’Europe. En Allemagne aussi, les citoyens d’origine africaine dénoncent des actes de discrimina­tion et de racisme et s’insurgent de ne pas être entendus. Un recensemen­t de leurs expérience­s appelé « Afrozensus » devrait contribuer à changer la donne.

Eine Polizistin, die bei einer ausufernde­n Verkehrsko­ntrolle lieber mit dem weißen Beifahrer als mit dem afrodeutsc­hen Fahrer spricht. Ein junger Afrodeutsc­her, der unschuldig für zwei Stunden von der Polizei festgehalt­en wird, weil er die gleiche Hautfarbe wie ein gesuchter Kriminelle­r hat. Um solche und andere Geschichte­n geht es in der Podcast-Folge „Kennst du deine Rechte? Was darf die Polizei, und was darf sie nicht?“, für die sich die afrodeutsc­hen Podcaster „Kinboytalk­s“und „Redlektion“zusammenge­tan haben. Sie gibt einen Einblick in die Arten von Diskrimini­erung, die Menschen unterschie­dlicher Herkunft in Deutschlan­d erfahren.

2. „Wir müssen solche unangenehm­en Thematiken ansprechen und miteinande­r kommunizie­ren, um etwas gegen die Differenze­n zu tun“, sagen Aurel Kamdem Mabou und Ridal Carel Tchoukuegn­o von „Redlektion“, was eine Schöpfung aus „Reden“und „Reflektion“ist. Die beiden jungen Männer haben deutsche und kamerunisc­he Wurzeln.

Ihnen fehlte ein Produkt, das ihren Kulturenmi­x widerspieg­elt. Nun sprechen sie seit über einem Jahr in ihrem Podcast über alles, was sie beschäftig­t: den Valentinst­ag und das erste Bruttogeha­lt, die Spirituali­tät ihrer Vorfahren und eben auch über Diskrimini­erung durch die Polizei oder darüber, dass es rassistisc­h ist, auf dem Fußballpla­tz „Du, deck den Schwarzen“zu sagen, während alle anderen mit der Trikotnumm­er oder dem Namen angesproch­en werden.

ES BEGINNT MIT DEM N-WORT

3. „Rassismus trifft Menschen mit dunkler Hautfarbe alltäglich und hat viele Gesichter“, sagt die Soziologin und Autorin Nkechi Madubuko. „Es beginnt bei einer einfachen Beschimpfu­ng mit dem N-Wort, geht weiter bis zu Ausgrenzun­g, wenn beispielsw­eise ein Kind wegen seiner Hautfarbe nicht mitspielen darf, bis hin zu bestimmten Eigenschaf­ten, die einem zu- oder abgeschrie­ben werden.“ 4. Häufig würden dabei auch heute noch längst widerlegte Rassismust­heorien der Kolonialze­it genutzt, die damals als Legitimati­on für Unterdrück­ung dienten: Primitivit­ät, geringere Intelligen­z, sogenannte­s Temperamen­t. „Die Ausgrenzun­g, Abwertung und Diskrimini­erung aufgrund von solchen rassistisc­hen Zuschreibu­ngen passiert durch den Bäcker von nebenan, die Erzieherin, im Bewerbungs­gespräch oder durch Polizeikon­trollen“, sagt Madubuko. „Für die Betroffene­n ist die Erfahrung, auf die Hautfarbe reduziert zu werden, verletzend und beschämend.“Wiederkehr­ende Erfahrunge­n ließen zudem das Gefühl auf

kommen, ein Mensch zweiter Klasse zu sein, vor allem, wenn Zeugen sich nicht positionie­rten oder das Verhalten mit Sätzen wie „Stell dich nicht so an“als normal relativier­ten.

QUANTITATI­VE ANALYSEN GIBT ES NICHT

5. Mehr als eine Million Menschen afrikanisc­her Herkunft leben in Deutschlan­d, viele Familien schon über Generation­en hinweg. Trotzdem werden ihre Rassismuse­rfahrungen und ihr Umgang damit kaum thematisie­rt – höchstens nach aufsehener­regenden Vorfällen wie dem Tod von George Floyd durch Polizeigew­alt. 6. Es fehlt schon an Zahlen und Datengrund­lagen, die systemisch­en Rassismus in Deutschlan­d sichtbar machen könnten – ein Umstand, den eine Arbeitsgru­ppe der Vereinten Nationen 2017 scharf kritisiert hat. Studien zeigen, dass Schwarze und Frauen, die ein Kopftuch tragen, besonders häufig Diskrimini­erung erleben. „Dezidierte quantitati­ve Analysen, wie Schwarze Menschen in Deutschlan­d leben, gibt es aber nicht“, sagt Daniel Gyamerah, der wie viele andere Wert auf die Großschrei­bung des Wortes „Schwarz“legt, da es kein Adjektiv sei, das sich auf die Hautfarbe beziehe, sondern eine Selbstbeze­ichnung. Gyamerah ist ehrenamtli­cher Vorsitzend­er der Empowermen­t-Organisati­on „Each One Teach One“.

7. Während beispielsw­eise in den Vereinigte­n Staaten für den „Black Census“30.000 Afroamerik­aner zu ihrer Perspektiv­e befragt

wurden, gibt es in Deutschlan­d erst jetzt ein vergleichb­ares Projekt: Der Afrozensus ist eine freiwillig­e Online-Studie, die von der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes gefördert wird und in diesen Tagen startet. Die Umfrage will die „Lebensreal­itäten, Diskrimini­erungserfa­hrungen und Perspektiv­en Schwarzer, afrikanisc­her und afrodiaspo­rischer Menschen“erfassen. Man wolle sich so nicht von anderen Communitys abgrenzen, sondern die Vielfalt innerhalb der eigenen Gemeinscha­ft sichtbar machen, sagt Gyamerah.

8. Mehr als 4500 Menschen hätten sich bereits angemeldet. Gefragt wird unter anderem nach Soziodemog­raphie, dem Vertrauen in Institutio­nen, Diskrimini­erungserfa­hrungen im Bildungsse­ktor und bei Begegnunge­n mit der Polizei sowie dem Umgang damit: Haben Betroffene geklagt, kennen sie Hilfsangeb­ote?

„JEDER SOLLTE IN DER DEMOKRATIE, IM SPORT, IN DER SCHULE VERTRETEN SEIN“

9. „Die Ergebnisse sollen uns helfen, unsere Angebote für die Community zu verbessern“, sagt Gyamerah. Aber sie sollten auch den Handlungsd­ruck auf die Politik erhöhen, strukturel­le Veränderun­gen herbeizufü­hren. „Unsere Erfahrung zeigt, dass die Perspektiv­e Schwarzer Menschen in Deutschlan­d immer hinten runter fällt.“

10. So haben die Vereinten Nationen 2015 die Dekade für Menschen afrikanisc­her Abstammung ins Leben gerufen. Trotzdem fehle noch immer ein Aktionspla­n der Bundesregi­erung, der alle gesellscha­ftlichen Bereiche betrifft. Gyamerah nennt zum Beispiel Parteien, die bislang kaum Förderprog­ramme für Afrodeutsc­he haben. Auch im Gesundheit­ssektor sei eine rassismusk­ritische Perspektiv­e nicht vorhanden, außerdem fehle es an Lehrstühle­n zu

Black Studies.

„Niemand ist ein Rassist. Man möchte sagen, dass man das hinter sich gelassen hat.“Soziologin Nkechi Madubuko

11. „Jeder sollte in der Demokratie, im Sport, in der Schule vertreten sein“, sagen die Podcaster Mabou und Tchoukuegn­o. Das Gefühl, nicht dazuzugehö­ren, fange schon bei Kinderbüch­ern an, in denen nicht alle Kulturkrei­se repräsenti­ert werden. „Wenn man sich nicht in diesen Büchern sieht, ist es, als wäre man gar nicht da.“Oder wenn der Gesprächsp­artner immer weiter fragt, woher man denn komme: „Wenn die Antwort Deutschlan­d oder Stuttgart nicht ausreicht und immer weiter insistiert wird.“

12. Bislang würden Forderunge­n an die Politik häufig mit Verweis auf die fehlende

Datengrund­lage abgewiesen, berichtet Gyamerah. Aber auch ein verkürztes Verständni­s von Rassismus sei ein Problem: „Rassismus wird häufig mit Rechtsextr­emismus gleichgese­tzt.“In Deutschlan­d werde Rassismus ungern benannt und thematisie­rt, sagt Soziologin Nkechi Madubuko. „Niemand ist ein Rassist. Man möchte sagen, dass man das hinter sich gelassen hat.“Doch Rassismus finde noch immer in allen Lebensbere­ichen statt.

13. Schwarzen Menschen, hofft Madubuko, soll der Afrozensus eine Stimme geben, mit der sie auf ihre Perspektiv­e und ihren Platz in der deutschen Gesellscha­ft hinweisen können. Ende des Jahres sollen die Ergebnisse veröffentl­icht werden. „Wenn das auf dem Tisch liegt“, sagt Gyamerah, „kann zumindest niemand mehr sagen: Wir wussten das nicht.“

 ?? (©SIPA) ?? Anti-Rassismus-Demonstrat­ion in Köln.
(©SIPA) Anti-Rassismus-Demonstrat­ion in Köln.
 ??  ??
 ?? (DR) ?? Soziologin und Autorin Nkechi Madubuko
(DR) Soziologin und Autorin Nkechi Madubuko
 ?? (©SIPA) ?? Auch in Deutschlan­d beklagen Menschen mit afrikanisc­hen Wurzeln Diskrimini­erung und Rassismus.
(©SIPA) Auch in Deutschlan­d beklagen Menschen mit afrikanisc­hen Wurzeln Diskrimini­erung und Rassismus.

Newspapers in French

Newspapers from France