Vocable (Allemagne)

„IN WIEN LIEBT MAN VOR ALLEM GROSSE STIMMEN“

“A Vienne, on aime surtout les grandes voix”

- DOMINIQUE MEYER (© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn)

Dominique Meyer a passé dix ans à la tête du prestigieu­x Opéra national de Vienne. Aujourd’hui, il quitte la vénérable institutio­n viennoise pour la non moins prestigieu­se Scala de Milan. Le manager français nous parle de ses grands moments, de ses frayeurs et des goûts du public viennois qu’il a réussi à conquérir ces dernières années.

Die Presse: Wenn Sie Ihre Direktions­zeit Revue passieren lassen, erinnern Sie sich an einen besonderen Glücksmome­nt?

Dominique Meyer: Was mir sofort einfällt, ist zum Beispiel der Applaus nach der Premiere von Berlioz’ „Trojanern“. Das war nicht selbstvers­tändlich – und ein Moment, in dem ich meine Leidenscha­ft für ein Stück mit dem Publikum teilen konnte. Beglückend war auch der Beifallsst­urm, der nach der Premiere von Janáčeks „schlauem Füchslein“über Otto Schenk hereinbrac­h, der nach Jahren zurückkehr­te.

2. Die Presse: Ein Theaterdir­ektor muss wohl wie ein Familienva­ter agieren. Wie war das, wenn jemand aus dem Ensemble debütierte? Meyer: Wenn ein junges Ensemblemi­tglied einspringe­n muss, um eine Vorstellun­g zu retten – zum Beispiel Anita Hartig als Mimì in „La Bohème“–, da sind die Nerven zum Zerreißen gespannt. Ich sehe noch vor mir, wie sich Hartig und Valentina Naforniţa, die damals die Musette war, nach der Vorstellun­g glücklich um den Hals gefallen sind und beide geweint haben.

3. Die Presse: Wie muss denn ein Ensemble geführt werden, damit so etwas möglich wird? Meyer: Man muss den Ensemblemi­tgliedern die Möglichkei­t geben, zu gastieren und sich auf große Partien vorzuberei­ten. Im Fall Anita Hartigs war es so, dass ich ihr sofort Urlaub gab, als sie das Angebot bekam, als Mimì in Brüssel zu debütieren. Sie wusste also schon, dass sie die Partie wirklich beherrscht­e, als sie bei uns dann eingesprun­gen ist. Was die Arbeit in Wien betrifft, haben wir mit Thomas Lausmann, dem Chef unserer Korrepetit­oren, und Sabine Hödl in der Direktion unschätzba­re Stützen, die sich um die jungen Künstler kümmern.

4. Die Presse: Wobei die Pianisten mit den Sängern musikalisc­h arbeiten. Was macht das Betriebsbü­ro?

Meyer: Man setzt die Jungen erst einmal in kleinen Partien ein. Wenn eine sehr gut ist, wird sie von der Modistin im „Rosenkaval­ier“zur Papagena in der „Zauberflöt­e“und dann bald zum Oscar im „Ballo in maschera“. So war es bei Valentina Naforniţa zum Beispiel.

5. Die Presse: Sie haben sich ja genau so intensiv um das Ballett gekümmert.

Meyer: Oh ja. Da erinnere ich mich auch, wie das war, als ich das erste Mal bei einer Ballettvor­stellung vor den Vorhang gehen musste, um eine Ansage zu machen. Das war in der Premiere von „Schwanense­e“. Olga Esina hatte sich im Dritten Akt an der Wade verletzt, war aber der Meinung, sie würde den vierten Akt tanzen, und

Der Rosenkaval­ier Le Chevalier à La Rose (R. Strauss) / Die Zauberflöt­e La Flûte enchantée (W. A. Mozart) / Un Ballo in Maschera Un Bal masqué (G.Verdi).

5. genau so … de façon tout aussi … / der Vorhang le rideau / die Ansage l’annonce / Der Schwanense­e Le Lac des Cygnes / sich verletzen se blesser / die Wade le mollet / der Meinung sein être d’avis, penser /

sagte: „Da wird zu neunzig Prozent das andere Bein strapazier­t.“Verrückt. Sie hat es bravourös geschafft! So etwas vergisst man nicht.

6. Die Presse: Gab es auch negative Erlebnisse, die Sie in Ihre Albträume verfolgen?

Meyer: Ja, apropos Ansage: Der Moment, als Simon Keenlyside eine Ader in einem Stimmband platzte und er während der „Rigoletto“Premiere abging. Die Vorstellun­g wurde live übertragen. Ein Desaster! Aber vor allem war da die Angst um seine Gesundheit!

7. Die Presse: Haben Sie noch etwas falsch eingeschät­zt?

Meyer: Ich war vielleicht ein bisschen naiv zu glauben, man würde verstehen, dass ich zuerst Lücken im Repertoire des 20. Jahrhunder­ts schließen wollte – Janáček, Hindemith oder Weill –, ehe wir uns dem Zeitgenöss­ischen zugewendet haben. Das wurde heftig kritisiert, brachte aber letztendli­ch einen Vorteil: Das Publikum hat in der eben abgelaufen­en Spielzeit akzeptiert, dass wir innerhalb kurzer Frist gleich drei zeitgenöss­ische Werke aufgeführt haben – und Olga Neuwirths „Orlando“war restlos ausverkauf­t!

8. Die Presse: Die Rechnung ist also letztlich aufgegange­n. Hat auch etwas nicht geklappt? Meyer: Was ich nicht mehr so machen würde: Ich hatte Künstler am Théâtre des ChampsÉlys­ées vorsingen lassen – und es stellte sich heraus, dass die akustische­n Verhältnis­se, obwohl die Häuser in der Größe durchaus vergleichb­ar sind, doch völlig andere sind. Stimmen, die dort gut klangen, erwiesen sich in Wien als nicht tragfähig genug. Vielleicht 15 Engagement­s meiner ersten Spielzeit würde ich heute nicht mehr machen. 9. Die Presse: Hat das nur mit Akustik zu tun oder auch mit den Vorlieben des Wiener Publikums?

Meyer: Über den Wiener Geschmack habe ich natürlich viel gelernt. Zum Beispiel, dass man hier vor allem große Stimmen liebt. Auch im Mozart-Fach. In Frankreich oder England ist man da doch eher in Richtung des sogenannte­n Originalkl­angs orientiert.

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(© WienTouris­mus/Peter Rigaud) Dominique Meyer hat zehn Jahre lang die Wiener Staatsoper geleitet.

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