„IN WIEN LIEBT MAN VOR ALLEM GROSSE STIMMEN“
“A Vienne, on aime surtout les grandes voix”
Dominique Meyer a passé dix ans à la tête du prestigieux Opéra national de Vienne. Aujourd’hui, il quitte la vénérable institution viennoise pour la non moins prestigieuse Scala de Milan. Le manager français nous parle de ses grands moments, de ses frayeurs et des goûts du public viennois qu’il a réussi à conquérir ces dernières années.
Die Presse: Wenn Sie Ihre Direktionszeit Revue passieren lassen, erinnern Sie sich an einen besonderen Glücksmoment?
Dominique Meyer: Was mir sofort einfällt, ist zum Beispiel der Applaus nach der Premiere von Berlioz’ „Trojanern“. Das war nicht selbstverständlich – und ein Moment, in dem ich meine Leidenschaft für ein Stück mit dem Publikum teilen konnte. Beglückend war auch der Beifallssturm, der nach der Premiere von Janáčeks „schlauem Füchslein“über Otto Schenk hereinbrach, der nach Jahren zurückkehrte.
2. Die Presse: Ein Theaterdirektor muss wohl wie ein Familienvater agieren. Wie war das, wenn jemand aus dem Ensemble debütierte? Meyer: Wenn ein junges Ensemblemitglied einspringen muss, um eine Vorstellung zu retten – zum Beispiel Anita Hartig als Mimì in „La Bohème“–, da sind die Nerven zum Zerreißen gespannt. Ich sehe noch vor mir, wie sich Hartig und Valentina Naforniţa, die damals die Musette war, nach der Vorstellung glücklich um den Hals gefallen sind und beide geweint haben.
3. Die Presse: Wie muss denn ein Ensemble geführt werden, damit so etwas möglich wird? Meyer: Man muss den Ensemblemitgliedern die Möglichkeit geben, zu gastieren und sich auf große Partien vorzubereiten. Im Fall Anita Hartigs war es so, dass ich ihr sofort Urlaub gab, als sie das Angebot bekam, als Mimì in Brüssel zu debütieren. Sie wusste also schon, dass sie die Partie wirklich beherrschte, als sie bei uns dann eingesprungen ist. Was die Arbeit in Wien betrifft, haben wir mit Thomas Lausmann, dem Chef unserer Korrepetitoren, und Sabine Hödl in der Direktion unschätzbare Stützen, die sich um die jungen Künstler kümmern.
4. Die Presse: Wobei die Pianisten mit den Sängern musikalisch arbeiten. Was macht das Betriebsbüro?
Meyer: Man setzt die Jungen erst einmal in kleinen Partien ein. Wenn eine sehr gut ist, wird sie von der Modistin im „Rosenkavalier“zur Papagena in der „Zauberflöte“und dann bald zum Oscar im „Ballo in maschera“. So war es bei Valentina Naforniţa zum Beispiel.
5. Die Presse: Sie haben sich ja genau so intensiv um das Ballett gekümmert.
Meyer: Oh ja. Da erinnere ich mich auch, wie das war, als ich das erste Mal bei einer Ballettvorstellung vor den Vorhang gehen musste, um eine Ansage zu machen. Das war in der Premiere von „Schwanensee“. Olga Esina hatte sich im Dritten Akt an der Wade verletzt, war aber der Meinung, sie würde den vierten Akt tanzen, und
Der Rosenkavalier Le Chevalier à La Rose (R. Strauss) / Die Zauberflöte La Flûte enchantée (W. A. Mozart) / Un Ballo in Maschera Un Bal masqué (G.Verdi).
5. genau so … de façon tout aussi … / der Vorhang le rideau / die Ansage l’annonce / Der Schwanensee Le Lac des Cygnes / sich verletzen se blesser / die Wade le mollet / der Meinung sein être d’avis, penser /
sagte: „Da wird zu neunzig Prozent das andere Bein strapaziert.“Verrückt. Sie hat es bravourös geschafft! So etwas vergisst man nicht.
6. Die Presse: Gab es auch negative Erlebnisse, die Sie in Ihre Albträume verfolgen?
Meyer: Ja, apropos Ansage: Der Moment, als Simon Keenlyside eine Ader in einem Stimmband platzte und er während der „Rigoletto“Premiere abging. Die Vorstellung wurde live übertragen. Ein Desaster! Aber vor allem war da die Angst um seine Gesundheit!
7. Die Presse: Haben Sie noch etwas falsch eingeschätzt?
Meyer: Ich war vielleicht ein bisschen naiv zu glauben, man würde verstehen, dass ich zuerst Lücken im Repertoire des 20. Jahrhunderts schließen wollte – Janáček, Hindemith oder Weill –, ehe wir uns dem Zeitgenössischen zugewendet haben. Das wurde heftig kritisiert, brachte aber letztendlich einen Vorteil: Das Publikum hat in der eben abgelaufenen Spielzeit akzeptiert, dass wir innerhalb kurzer Frist gleich drei zeitgenössische Werke aufgeführt haben – und Olga Neuwirths „Orlando“war restlos ausverkauft!
8. Die Presse: Die Rechnung ist also letztlich aufgegangen. Hat auch etwas nicht geklappt? Meyer: Was ich nicht mehr so machen würde: Ich hatte Künstler am Théâtre des ChampsÉlysées vorsingen lassen – und es stellte sich heraus, dass die akustischen Verhältnisse, obwohl die Häuser in der Größe durchaus vergleichbar sind, doch völlig andere sind. Stimmen, die dort gut klangen, erwiesen sich in Wien als nicht tragfähig genug. Vielleicht 15 Engagements meiner ersten Spielzeit würde ich heute nicht mehr machen. 9. Die Presse: Hat das nur mit Akustik zu tun oder auch mit den Vorlieben des Wiener Publikums?
Meyer: Über den Wiener Geschmack habe ich natürlich viel gelernt. Zum Beispiel, dass man hier vor allem große Stimmen liebt. Auch im Mozart-Fach. In Frankreich oder England ist man da doch eher in Richtung des sogenannten Originalklangs orientiert.