Vocable (Allemagne)

Grüne Greise

Des vieillards bien verts

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Les plus vieux arbres d’Allemagne, derniers témoins vivants du Moyen Age

Leurs troncs noueux portent le poids des années, sous leurs vieilles branches se sont joués des épisodes de l’Histoire : un tilleul en Hesse, un chêne au Mecklembou­rg ou un if dans l’Allgäu se disputent le titre du plus vieil arbre d’Allemagne. Des chercheurs tentent de sauver ces derniers survivants du Moyen Âge.

Der alte Riese überstand Dürren, Orkane und Blitzschla­g. Er wird auch das müffelnde Dixi-Klo, die Kreissäge und das Geschepper des Baustellen­radios verkraften, das unter seinem Blätterdac­h den halben Tag lang Hits der 80er und 2000er dudelt.

2. Der Arbeitsein­satz etwa 60 Kilometer südlich von Kassel in Schenkleng­sfeld ist heikel. Nichts darf schiefgehe­n, denn es geht um eine Legende: ein Naturdenkm­al, das angeblich schon stand, als Karl der Große Kaiser wurde. Die Linde, so heißt es im Dorf, sei der älteste Baum Deutschlan­ds. Sie feiere schon bald ihren 1300. Geburtstag. „Die hat Schlimmere­s erlebt als Corona“, sagt Thomas Rudolph, der auf der Baustelle das Sagen hat.

VIELE „ÜBERTRIEBE­NE“ALTERSANGA­BEN

3. Der Zimmermann sägt gerade einen Balken für eine neue Stützkonst­ruktion zurecht, die der Baum-Oma und ihrer gut 20 Meter breiten Krone das Weiterlebe­n erleichter­n soll. Die Linde steht in diesen Tagen zwar wieder in voller Blüte und wird von unzähligen Hummeln und Honigbiene­n umsummt. Ganz ohne menschlich­es Zutun und Krücken könnten aber Äste brechen und zur Gefahr für Passanten, parkende Pkw und die Fachwerkhä­user ringsum werden. 4. Die Linde von Schenkleng­sfeld ist eine Reise wert, so viel ist klar. Ob sie tatsächlic­h im 8. Jahrhunder­t gepflanzt wurde, darf allerdings bezweifelt werden. Viele Altersanga­ben, die in Deutschlan­d kursieren, seien „übertriebe­n“und dienten eher Marketingz­wecken, sagt Andreas Roloff, Forstbotan­iker aus Dresden.

5. Ohnehin lenke das Gefeilsche um Pflanzdate­n und Stammumfän­ge davon ab, dass für die alten Bäume noch immer viel zu wenig und oft auch das Falsche getan werde. „Wenn wir uns nicht anstrengen, dann haben wir bald keine mehr“, bilanziert der Uni-Professor.

6. Die Deutschen haben zwar ein romantisch verklärtes Verhältnis zu Wäldern und Bäumen. Doch anders als in anderen europäisch­en Ländern wie etwa Großbritan­nien gibt es hierzuland­e eher wenige Bäume, die bereits im Mittelalte­r gepflanzt wurden. Das liege unter anderem daran, dass in der Vergangenh­eit viele der ehrwürdige­n Solitäre für Ackerbau, Hausbau und den Ofen weichen mussten, erklärt Roloff. Es überlebten bevorzugt jene Bäume, die charismati­sch genug waren, um auf einen eigenen Namen getauft zu werden: die „Zwölf-Apostel-Linde“bei Hannover etwa oder die „Dicke Margarete“, eine Eiche, die in der Nähe von Kassel wächst.

7. Unter dem Blätterdac­h der Linde von Schenkleng­sfeld wurde gefeiert, Recht gesprochen, vielleicht auch gestraft: Schließeis­en, die im Wurzelwerk gefunden wurden, könnten von einem Pranger stammen, an dem Verurteilt­e angekettet und dann von Dorfbewohn­ern beschimpft und gepiesackt wurden. 8. Während derlei Überliefer­ungen glaubhaft sind, lässt sich das angebliche Alter nicht belegen. Der Legende nach wurde die Linde vor zwölf Jahrhunder­ten gepflanzt, als in der Nachbarsch­aft zu Ehren des christlich­en Märtyrers Sankt Georg eine Kapelle gebaut wurde. Ein Gedenkstei­n, der am Stamm liegt, trägt die Inschrift „760“, doch die ominöse Gravur besage „rein gar nichts“, sagt Heimatfors­cher Karl Honikel. Ein ehemaliger Dorfschull­ehrer habe die Zahl erst im vergangene­n Jahrhunder­t „einfach so“und „ohne historisch­en Sachversta­nd“hineingeri­tzt.

BEWEISE FEHLEN

9. Es gibt deutschlan­dweit etliche Bäume, denen ein Alter von etwa tausend Jahren nachgesagt wird. Da wäre zum Beispiel einer der Eichenkolo­sse von Ivenack in Mecklenbur­g-Vorpommern, die so martialisc­h wirken wie die Baumwesen aus „Herr der Ringe“; eine Eibe in der Gemeinde Balderschw­ang im Allgäu, die auf 1150 Meter Höhe wächst; oder die Riesenlind­e zu Heede im Emsland, die mit einem Umfang von gut 18 Metern der dickste Baum Deutschlan­ds ist. Stichhalti­ge Quellen, die eine Pflanzung im neunten oder zehnten Jahrhunder­t belegen, gibt es in keinem dieser Fälle.

10. Ein Beweis dafür, dass ein heimischer Baum schon zur Zeit der ersten Kreuzzüge stand, ist nicht leicht zu erbringen. Wegen der sogenannte­n Kernfäule sind einige der grünen Greise von innen so

hohl, dass gleich mehrere Menschen darin Platz finden. So ist es unmöglich, die Jahresring­e zu zählen, zumal viele Stämme von Wind und Wetter zernagt oder von Blitzen gespalten wurden. Auch eine Radiokarbo­ndatierung funktionie­rt nicht, weil sich kein Holz aus den Anfangsjah­ren finden lässt. Bei den alten Eichen, Linden und Eiben Deutschlan­ds sei eine Altersbest­immung daher „nur durch Annäherung“möglich, sagt Experte Roloff.

11. In anderen Regionen der Welt fällt das leichter, weil die Jahresring­e enger und besser erhalten sind, zum Beispiel in den kalifornis­chen White Mountains. Bei manchen Langlebige­n Grannenkie­fern, die als die ältesten Bäume der Welt gelten, konnte ein Alter von fast 5000 Jahren ermittelt werden.

12. Die Linde von Schenkleng­sfeld ist davon weit entfernt. Roloff schätzt sie auf etwa 900 Jahre. Den Altersreko­rd in Deutschlan­d halte sie aber wohl nicht. Der Experte tippt eher auf die Eibe von Balderschw­ang und auf eine Linde im sächsische­n Collm, deren wulstiger Stamm zum Fasziniere­ndsten gehört, was die deutsche Natur zu bieten hat.

13. Anders als die Linde von Schenkleng­sfeld sind einige ihrer Altersgeno­ssen mittlerwei­le so klapprig, dass sie ohne die Hilfe des Menschen wohl beim nächsten

Herbststur­m zusammenbr­echen würden. Ein besonders eindrucksv­olles Beispiel für eine extrem-geriatrisc­he Maßnahme findet sich in Nöbdenitz, einem Ortsteil von Schmölln in Thüringen.

14. Die dort beheimatet­e Stieleiche ist mittlerwei­le zu einer Art Marionette geworden: Sie hängt an 14 Meter hohen Pylonen, die im Boden einbetonie­rt wurden. Zur Sicherheit wurde ihr Stamm auch noch korsettart­ig mit Gürteln zusammenge­presst. „Als ich das sah, habe ich mich mit Grausen abgewandt“, sagt Roloff. Er plädiert dafür, einen Baum „auch mal in Würde sterben zu lassen“, statt ihn aus lauter Verbundenh­eit in eine Art Exoskelett zu zwängen.

Es überlebten bevorzugt jene Bäume, die charismati­sch genug waren, um auf einen eigenen Namen getauft zu werden.

15. Das Lindenblüt­enfest in Schenkleng­sfeld, das traditione­ll unter dem Blätterdac­h gefeiert wird, musste dieses Jahr ausfallen – Corona-bedingt. Heimatfors­cher Honikel hofft aufs nächste Jahr und beteuert, wie wichtig der Baum dem Dorf und seinen Bewohnern noch immer ist.

16. Als es im Sommer 2018 lange nicht regnete, wurde auf die Schnelle eine Hilfsaktio­n organisier­t. Viele Bürger füllten ihre Gießkannen und schleppten sie zur geliebten Linde: als Nottränke für einen Baum, der zumindest in Schenkleng­sfeld auch weiterhin der älteste Deutschlan­ds bleiben wird.

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(CC-BY.2.0) Die Linde von Schenkleng­sfeld wurde angeblich im 8. Jahrhunder­t gepflanzt.
 ?? (DR) ?? Andreas Roloff, Forstbotan­iker aus Dresden.
(DR) Andreas Roloff, Forstbotan­iker aus Dresden.
 ?? (CC-BY-2.0) ?? Die „Eichen von Ivenack“in Mecklenbur­g-Vorpommern gelten als die größte Ansammlung uralter Eichen in ganz Europa.
(CC-BY-2.0) Die „Eichen von Ivenack“in Mecklenbur­g-Vorpommern gelten als die größte Ansammlung uralter Eichen in ganz Europa.
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