Herz und Vernunft
Le coeur et la raison
Discours : la chancelière allemande navigue entre émotion et pragmatisme pour convaincre
Au-delà des modes de vie, la crise de la Covid-19 a modifié en profondeur les discours politiques. Comme d’autres dirigeants, Angela Merkel, qui n’est pas réputée pour ses talents d’oratrice, a adopté un nouveau ton empreint d’empathie pour appeler ses concitoyens à la responsabilité et à la solidarité. Résumé d’une année de discours solennels qui marquera la fin de l’ère Merkel et l’histoire de l’Allemagne.
Sie legt die Hände wie zum Gebet aneinander, beugt sich vor und zurück. „Es tut mir leid, es tut mir wirklich im Herzen leid.“Die Akademie Leopoldina habe geraten: „Wir sollen alle Kontakte, die nicht absolut notwendig sind, wirklich reduzieren und meiden“. Alle. Absolut. Wirklich.
2. Sie schlägt mit der Faust durch die Luft, spricht von einem Jahrhundertereignis, davon, wie in der Zukunft einmal auf die jetzt Lebenden geschaut werden wird. „Wir müssen uns jetzt noch einmal anstrengen“, sagt sie – das Wir betont, dass sie auch sich selbst meint.
3. Ihre Gesten werden größer. Sie, die dafür bekannt ist, nicht zu wissen, was sie mit ihren Händen tun soll, und sich deswegen mit der Raute behilft, wirkt fast schon tänzerisch. Wenn sie vom Abstandhalten spricht, schiebt sie mit einer Hand ein paarmal die Luft von sich weg.
4. Es sei der „vielleicht emotionalste Auftritt, den sie im Bundestag je hatte“, hieß es am
Abend der Rede von Kanzlerin Angela Merkel am 9. Dezember in den „Tagesthemen“. Etliche andere Medien teilten das Urteil. Was ist passiert? Merkel galt in den 14 Jahren ihrer Amtszeit vor Corona nie als emotionale Rednerin. Sie galt auch nie als gute Rednerin.
„MISSTRAUEN GEGENÜBER DER REDEKUNST“
5. Die neue Emotionalität der Rednerin Merkel ist der Widerhall des insgesamt emotionalen Jahres 2020. Da waren die Angst vor dem Virus, die Hoffnung auf den Impfstoff, da waren die Ohnmacht, die Depression. In einer Zeit, in der die politischen Handlungen (Hygienevorschriften) zwar einiges bewirken, das eigentliche Problem (Virus) aber dadurch nicht zu lösen ist, gilt die Rede als bedeutendes Mittel politischer Führung, als Mittel zur Überzeugung. Die Kanzlerin musste das Volk mit Worten von der Wirksamkeit der Vernunft überzeugen und die profilierungseifrige Ministerpräsidentenrunde von ihrer Position.
6. In ihrer Bösartigkeit unvergleichliche Sündenfälle sind die Propagandareden der NS-Größen Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Nach dem Untergang des Nationalsozialismus galten die Deutschen als ein von der Rede verführtes Volk.
7. „Deswegen gibt es bis heute in Deutschland ein Misstrauen gegenüber der Redekunst“, sagt der Tübinger Rhetorikprofessor Till. Er gehört zu den wenigen möglichen Gesprächspartnern zum Thema politische Rede, Deutschland hat nur einen einzigen Lehrstuhl für Rhetorik, und das ist seiner.
AUSNAHME: WILLY BRANDT
8. Vor der Pandemie sei Merkels Desinteresse an Reden offensichtlich gewesen. „Sie las einfach vom Teleprompter runter, ohne innere Eingebung“, als wäre sie froh gewesen, wenn sie es hinter sich hatte „und endlich wieder regieren“konnte. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder sei ein ordentlicher Redner, aber er hat keine wirklich große Rede gehalten. Dessen Vorgänger Helmut Kohl sei nun wirklich kein Redetalent gewesen.
9. Eine Ausnahme aber gibt es: Willy Brandt. Wobei seine größte Rede eigentlich keine gewesen ist, sondern eine Geste: sein stummer Kniefall in Warschau 1970, ein Moment der Überwältigung angesichts deutscher Schuld.
10. Bei Merkel sieht er Defizite in der Stimmführung, sie spreche eintönig, nuschele manchmal. „Sie ist auch ein bisschen kurzatmig, hat Probleme mit der Luft.“Doch sein Urteil ist nicht vernichtend. In einer Welt, in der von der Werbung bis zu Filmen alles perfekt und eher überinszeniert wirke, sei ihr Verzicht auf Inszenierung wohltuend. 11. „Ethos, die Glaubwürdigkeit, spielt ja eine große Rolle, und als Wissenschaftlerin wirkt sie gerade in der Pandemie glaubwürdig. Eine Rede kann noch so geschliffen sein, aber wir Menschen wollen anderen Menschen glauben.“Und im Urteil über Merkels Redekunst dürfe man nicht vergessen, dass sie als erste Kanzlerin der Bundesrepublik keine Vorbilder hatte.
12. Das Spannungsverhältnis zwischen Vernunft und Emotion drückt sich bei ihr im Verhältnis Vernunft und „Herz“aus. In der Dezemberrede erbittet sie Vernunft und appelliert zugleich ans Herz, indem sie von sich selbst spricht: Die Einschränkungen täten ihr „im Herzen leid“.
13. In ihrer Märzrede klang all das schon an. Hier findet sich ihr Schlüsselsatz für das Corona-Jahr: „Wir müssen zeigen, dass wir herzlich und vernünftig handeln und so Leben retten.“Herz und Vernunft – im Jahr 2020, in dem sie als Naturwissenschaftlerin, als Vernunftmensch gefragt war, hat Angela Merkel auch ihr Herz regieren lassen.
Als Wissenschaftlerin wirkt Merkel gerade in der Pandemie glaubwürdig.