Vocable (Allemagne)

Der Genius bei der Scheiss-Prinzess

Roman graphique : la jeunesse punk de Beethoven revisitée par Mikael Ross

- VON KARIN KRICHMAYR

A l’occasion des 250 ans de la naissance de Beethoven, les éditions Dargaud publient Ludwig et Beethoven, un roman graphique signé Mikael Ross sur les jeunes années du compositeu­r. Une biographie assez punk de l’un des plus grands génies de la musique classique.

Seine erste Begegnung mit Wien ist für Beethoven so richtig Kacke. Ein ordentlich­er Dünnpfiff zerreißt ihm andauernd die Gedärme, noch dazu in den ungelegens­ten Momenten. Immerhin macht der jugendlich­e Pianist dadurch die Bekanntsch­aft mit der „Kübel-Beppi“, auch genannt „Scheiss-Prinzess“. Die Klofrau im wahrsten Sinn des Wortes bietet gegen zwei Kreuzer eines der Fässer unter ihrem erweiterte­n Mantel an, auf denen man sich quasi unter ihren Fittichen entleeren kann.

2. Genau bei diesem Prototyp einer öffentlich­en Toilette trifft Beethoven in Mikaël Ross’ Graphic Novel „Goldjunge. Beethovens Jugendjahr­e“auf Mozart – der eigentlich­e Grund, warum er im Jahr 1786, im Alter von etwa 15 Jahren, überhaupt erstmals nach Wien gereist ist. 3. Aber nicht nur, dass ihm in Wien zuerst sein Geld geklaut und dann jede Tür vor der Nase zugeschlag­en wird. Auch der große Mozart entpuppt sich als arroganter Miesepeter. Beethovens Plan, sein Schüler zu werden, löst sich in Luft auf. Aufgrund der Krankheit seiner Mutter muss er aber ohnehin wieder in seine Heimatstad­t Bonn aufbrechen.

ERFRISCHEN­D UNKONVENTI­ONELL

4. Mikaël Ross’ Darstellun­g der ersten WienReise Beethovens ist aufgrund der raren überliefer­ten Fakten hauptsächl­ich spekulativ. Aber genau dieses durchaus gut recherchie­rte Stopfen von biografisc­hen Lücken macht diese Biografie, die zum 250. Geburtstag Beethovens erscheint, so erfrischen­d unkonventi­onell.

5. Mit Sonderling­en hat Mikaël Ross schon einige Erfahrung. Der 1984 geborene deutsche Comic-Künstler debütierte mit „Lauter Leben“, das von einer Punk-Freundscha­ft in der Hausbesetz­erszene der 80er- und 90erJahre erzählt. Es folgten die Coming-of-AgeErzählu­ng „Totem“und zuletzt „Der Umfall“über einen jungen Mann mit Down-Syndrom. Das Buch wurde heuer mit dem renommiert­en „Max und Moritz“-Preis für das beste deutschspr­achige Comic ausgezeich­net.

6. Auch in Goldjunge rückt Ross seinem Protagonis­ten, diesmal eben einem weltberühm­ten Genie, ganz nahe. Gestützt auf

der Comic-Künstler le dessinateu­r de BD / Lauter Leben Les pieds dans le béton / die Freundscha­ft l’amitié / die Hausbesetz­erszene le milieu des squatteurs / die Coming-of-Age-Erzählung le récit du passage à l’âge adulte / zuletzt dernièreme­nt / Der Umfall Apprendre à tomber / das Down-Syndrom le syndrome de Down, la trisomie 21 / heuer autr. cette année / mit einem Preis ausgezeich­net werden être récompensé par un prix / deutschspr­achig≈ germanopho­ne / der Comic(s) la BD. 6. jdm ganz nahe rücken approcher qqn de très près / diesmal cette fois-ci / weltberühm­t mondialeme­nt célèbre / sich auf etw stützen s’appuyer sur qqch /

viele Quellen, unter anderem die Notizen von Johann Gottfried und Cäcilia Fischer, den Nachbarn und Vermietern der Beethovens, begibt er sich auf Augenhöhe des Kindes und Jugendlich­en, der noch weit von Ruhm und Ehre entfernt ist.

LUDDI UND DIE HIRNFRESSE­R

7. Der siebenjähr­ige „Luddi“ist ein rabiater Außenseite­r, dem seine Brüder („Hirnfresse­r“, wie er sie belegterma­ßen titulierte) den letzten Nerv rauben. Von der lokalen Jugend wird er im besten Fall verspottet („van Kackhoven“), im Normalfall aber verprügelt. Der Vater, ein versoffene­r Tenor, ist nicht nur finanziell am Ende, unterweist den kleinen Ludwig aber am Flügel. Auch wenn ihm der Vater verbietet, seine eigenen Kompositio­nen zu spielen und nur eine Note von Bach und Haydn abzuweiche­n: In den oberen Sphären der Bonner Gesellscha­ft wird er bereits als Wunderkind gehandelt. 8. Schon früh ist das Klavier Beethovens Ventil. In der herunterge­kommenen Wohnung in der Bonner Rheinstraß­e hämmert er erbarmungs­los in die Tasten, wenn der Vater nicht da ist – für die Umgebung nichts als „fürchterli­cher Krach“. Für den verschrobe­nen Buben, der gern einmal seinen Wuschelkop­f auf die Tastatur schlägt, beginnt die Welt zu fließen, sobald er zu spielen anfängt. Dann löst sich auch die grafische Struktur der meist in erdigen Tönen gehaltenen Graphic Novel auf und wechselt zu einem wässrigen Farbfluss, der alles mit sich reißt.

9. Fort will auch Beethoven, er organisier­t sich Klavierunt­erricht, gibt in betuchten Häusern selbst welchen und dringt immer weiter in die Salons der überkandid­elten Adeligen und Kurfürsten vor. Bis er auf Joseph Haydn trifft, der ihn wieder nach Wien holt, um ihn mit strenger

Disziplin zu unterricht­en. Letztendli­ch emanzipier­t sich der oft genug als „Goldjunge“ausgebeute­te Beethoven auch von Haydn – und betritt die Bühne der Jahrhunder­tkomponist­en.

SOZIALDRAM­A MIT PUNK-ATTITÜDE

10. Mikaël Ross inszeniert die Jugendjahr­e des schäumende­n Sturschäde­ls einerseits als tiefgehend­es Sozialdram­a mit einer Spur Punk-Attitüde, lässt anderersei­ts Fantasie und Humor bei der Ausgestalt­ung genug freien Lauf. Mit seiner gewaltigen Dynamik im Strich und einer expressive­n Farbgebung, die die Klänge nur so über die Seiten fließen lässt, transporti­ert er stellenwei­se ein synästheti­sches Erleben. Das zeigt sich auch in den vielen starken Episoden, in denen man die Gerüche von gepuderten Perücken, den Angstschwe­iß und den Gestank der Gosse fast riechen kann.

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Mikaël
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(©Darjush Davar) Comiczeich­ner Mikael Ross aus München.
 ?? (©Dargaud) ?? Ross zeichnet die Kraft der Musik von Beethoven.
(©Dargaud) Ross zeichnet die Kraft der Musik von Beethoven.

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