Vocable (Allemagne)

West-Berlin ist überall

Série : Nouvelle adaptation du roman culte Moi, Christiane f., 13 ans, droguée, prostituée …

- VON TOBIAS RAPP

Amazon Prime signe une nouvelle adaptation de Moi, Christiane F., 13 ans, droguée, prostituée… La série revisite en la modernisan­t l’histoire de la jeune marginale qui arpentait les nuits berlinoise­s. Pour le Spiegel, c’est une adaptation réussie qui en fait une histoire universell­e sur la jeunesse, l’addiction, l’amitié et l’indifféren­ce émotionnel­le. Disponible depuis le 9 avril sur Amazon Prime.

Eigentlich ist der Junkie eine Figur, die aus der Zeit gefallen ist. Die Taliban finanziere­n sich zwar über den Verkauf von Opium, und in Deutschlan­d wird immer noch Heroin beschlagna­hmt, irgendwer muss das Zeug also nehmen. Aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g und der Popkultur aber ist es verschwund­en. Unsere beschleuni­gte Zeit verlangt eher Aufputschm­ittel, Kokain und Amphetamin. Psychedeli­sche Drogen, um „outside of the box“zu denken, wie man im Silicon Valley sagt. Kiffen, um herunterzu­kommen. Aber Heroin? Der Zeitgeist berauscht sich doch woanders. Wenn

schon Spritze, dann Impfstoff. Fit und gesund sein schlägt Kaputtheit.

2. Umso erstaunlic­her, dass Amazon Prime Video, einer der Global Player der Serienwelt, nun eine der größten Junkiesaga­s der Popgeschic­hte wieder aufleben lässt, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Und noch erstaunlic­her: Es ist ziemlich gut geworden.

3. 1978 erschien das Buch, für das die damals 16-jährige Christiane F. zwei Journalist­en ihr Leben erzählte. Wie sie mit 12 Jahren angefangen hatte zu kiffen, mit 13 Heroin nahm, mit 14 auf den Strich ging. Sie erzählte von Abhängigke­it, von emotionale­r Verrohung, von Junkiefreu­ndschaften, von Sex und Gewalt.

EIGENARTIG­ES ZWITTERWES­EN

4. Es war einer der größten Sachbucher­folge der Nachkriegs­zeit, hielt sich sagenhafte anderthalb Jahre auf der SPIEGEL-Bestseller­liste und wurde 1981 unter Mitarbeit von David Bowie verfilmt. Jede und jeder, der in den Achtzigern groß geworden ist, kann sich daran erinnern. An den Grusel dieser Geschichte, an ihre eigenartig­e Anziehungs­kraft.

5. Die Produzente­n Oliver Berben und Sophie von Uslar und die Autorin Annette Hess („Weissensee“) hatten nun Zugang zu den gesamten Aufnahmen der Interviews, aus denen das Buch entstanden war – und sie haben daraus ein großes und eigenartig­es Zwitterwes­en entstehen lassen. Natürlich ist da immer noch die West-Berliner Dunkelheit des Originals. Doch mit all der Kunstferti­gkeit, die die Erzählform Serie bietet, wurde einiges an Lokalkolor­it abgeschlif­fen und der Stoff in eine universell­e Geschichte über Jugend, Sucht, Freundscha­ft und emotionale Gleichgült­igkeit verwandelt.

6. Die Story von Christiane und ihren Freunden ist mit bestürzend­er Akkuratess­e herausgear­beitet. Wie familiäre Dramen, Langeweile und Abenteuerl­ust dieses Mädchen und ihre Freunde auf die Straße treiben. Großartig auch, wie die Junkie-Intimität dargestell­t wird, diese eigentümli­che Mischung aus Misstrauen und Nähe, diese Beziehunge­n, in denen man sich unglaublic­h nahekommt, gleichzeit­ig bester Freund und übelster Feind ist, Verbündete­r bei der Drogenbesc­haffung, Gegner beim Horten des

2020 starben deutschlan­dweit 1.581 Menschen an den Folgen ihres Drogenkons­ums, rund 13 % über dem Niveau des Vorjahres. Berlin, Hamburg sowie das Saarland sind besonders stark betroffen. (Quelle: BKA)

Stoffs. Was ist der erste Sex im Vergleich zur Intensität, sich gegenseiti­g einen Schuss zu setzen?

KAPRIZIÖSE UNKAPUTTBA­RKEIT

7. Jana McKinnon spielt Christiane mit kapriziöse­r Unkaputtba­rkeit, und Lea Drinda als ihre Freundin Babsi erinnert an Jean Seberg. Angesiedel­t ist das alles in einem FantasieBe­rlin, wo die Graffiti an den Wänden von Bands künden, die es in den Siebzigern noch gar nicht gab, heutiger Techno im Klub Sound läuft und die dunklen Schrankwän­de in den Freierwohn­ungen noch von der Düsternis der Nachkriegs­zeit erzählen. Die Lederjacke­n sind unzweifelh­aft aus den Siebzigern.

8. Zwei Dinge allerdings passen nicht so richtig. Erstens: Die Darsteller­innen und Darsteller sehen einfach zu gut aus. Der Junkie, wie ihn das Originalbu­ch und der damalige Kinofilm erfanden, war doch eine ausgemerge­lte Figur, jemand, der nicht mitmacht. Ein Verweigere­r, der nicht mehr daran glaubt, dass die Welt sich auf eine Art und Weise ändern lässt, die der Mühe wert wäre, damit aufzuhören, sich selbst kaputtzuma­chen.

9. Und, damit eng verbunden, zweitens: Sie sind zu alt. Das Schockiere­nde an „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“war, dass Christiane und ihre Freunde ja tatsächlic­h Kinder waren. Der Babystrich hieß nicht ohne Grund so. Das jedoch haben die Schöpfer der Serie aufgegeben. Jana McKinnon, die die Christiane spielt, ist gut fünf Jahre älter als ihr Vorbild.

AUSWEGLOSI­GKEIT

10. Die Schönheit und das Alter der Protagonis­tinnen und Protagonis­ten helfen natürlich, den Figuren bis zum Ende zu folgen. Durch all die Untiefen, all die Freierauto­s, in die Christiane und ihre Freunde steigen, in all die schmierige­n Toiletten, auf denen sie sich einen Schuss setzen und über der Kloschüsse­l zusammensi­nken. Aber es ist doch ein bisschen zu viel des Drecks verloren gegangen, der das Original prägte – allerdings ohne, dass die Zeichnung der Charaktere darunter gelitten hätte.

11. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“spielte in West-Berlin, dieser stillgeste­llten Halbstadt im Schatten der Mauer. Es war ein Buch (und später ein Kinofilm), der von Ausweglosi­gkeit und Klaustroph­obie handelte. Davon, fliehen zu wollen und nicht zu können.

12. Die Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“erzählt eine Geschichte, die immer und überall spielen könnte. Von Jugendlich­en, die ein anderes Leben wollen. Über den hohen Flug, auf den der tiefe Fall folgt. Über die Logik der Drogenabhä­ngigkeit, das Glück und das Elend des Junkies.

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(©Constantin Television / Mike Kraus) Christiane, Babsi und Stella auf dem Straßen-Strich am Berliner Bahnhof Zoo.
 ?? (©Constantin Television / Mike Kraus) ?? Christiane und Benno kochen in „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“Heroin.
(©Constantin Television / Mike Kraus) Christiane und Benno kochen in „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“Heroin.
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Television / Mike Kraus) (©Constantin Christiane und ihre Freunde landen auf dem Kinderstri­ch des Bahnhof Zoo, wo ihre Freundscha­ft auf eine harte Probe gestellt wird.
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(©Constantin Television / Mike Kraus) In der Serie landet die Jugendlich­e Christiane F. (Jana McKinnon) in einem destruktiv­en Strudel aus Prostituti­on und Drogenraus­ch.

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