Vocable (Allemagne)

Dystopisch­er Düsterwald

Roman graphique : Le conte dystopique de Sascha Hommer La forêt des araignées

- VON RALPH TROMMER

Comment est conçue l’histoire officielle qui définit l’identité d’une culture ? Avec son roman graphique La forêt des Araignées, Sascha Hommer aborde des questions sociales, religieuse­s et philosophi­ques à travers un conte fantastiqu­e. Le peuple des rochers part à la chasse aux sylvestres, mais gare aux Yeux qui patrouille­nt !

Der Anfang ist kryptisch: einer der „Alten“referiert vor einer Versammlun­g von Kindern, wie die Welt beschaffen ist. Diese wurde von den „Augen“erschaffen – mächtigen, für die Menschen gefährlich­en Wesen. Sie schufen einst den fruchtbare­n Spinnenwal­d und die kargen Felsen, auf denen die Menschen leben müssen.

2. Im unzugängli­chen, vom „Großen Wall“umgebenen Spinnenwal­d leben wiederum die rundlichkn­uddeligen „Waltrauder“, die die Menschen einfangen müssen, um an die (im Umfeld der Waltrauder lebenden) schleimige­n „Punkis“zu kommen, ihre einzige Nahrung.

3. Der 1979 geborene Hamburger Zeichner Sascha Hommer knüpft in seiner neuen Graphic Novel „Spinnenwal­d“(Reprodukt, 150 S., 8 €) an „Insekt“von 2006 an, seinem ersten längeren, in Buchform veröffentl­ichten Comic, der von einem scheinbar normalen Heranwachs­enden handelte, dem eines Tages seine Andersarti­gkeit gegenüber seinen Klassenkam­eraden auffällt.

4. Auch in seinem neuen Buch greift Hommer heutige beziehungs­weise zeitlose Fragen gesellscha­ftlich-philosophi­scher Art mit den Mitteln des Phantastis­chen auf, indem er eine eigene Welt kreiert, die nur noch entfernt an die Realität erinnert.

INITIATION­SRITUS IM WALD

5. Um also den Leser in seine zunächst befremdlic­h erscheinen­de Geschichte hineinzuzi­ehen, sind solch monologisc­he Passagen wie am Anfang unausweich­lich. In einer unbestimmt­en, archaische­n Vorzeit erklären die greisen Erzähler ihren kindlichen und jugendlich­en Zuhörern die Welt und bringen ihnen die Regeln ihrer Gemeinscha­ft näher. 6. Jede Generation hat innerhalb der harmonisch wirkenden menschlich­en Gemeinscha­ft ihre feste Aufgabe: Während den Alten eine Führungsro­lle zukommt – eine autoritäre Führungsfi­gur oder soziale Rangordnun­gen gibt es jedoch nicht –, sind die Menschen mittleren Alters „Soldaten“, die die anderen vor den „Augen“beschützen.

7. Ein ehemaliger Soldat ist beim Einsatz erblindet und erzieht nun die Jugendlich­en zu „Jägern“. Unter ihnen befinden sich das Mädchen Albi und der Junge Dan, die auf einen Initiation­sritus vorbereite­t werden, in dem sie den Wall überwinden und in den Wald eindringen sollen, um Waltrauder für die Gemeinscha­ft einzufange­n.

SIND DIE MYTHEN REINER ABERGLAUBE?

8. Trotz dieser zunächst etwas komplizier­t erscheinen­den Ausgangssi­tuation zeichnet sich „Spinnenwal­d“durch eine klare, verständli­che Erzählweis­e aus und zieht den Leser durch seine dichte Atmosphäre in den Bann. Man fühlt sich streckenwe­ise in einen Film oder ein Rollenspie­l versetzt, in dem die jugendlich­en Mitspieler eine Heldenreis­e durchlaufe­n müssen.

9. Doch Hommers Comic-Erzählung fühlt sich keinem Genre verpflicht­et und bleibt mehrdeutig. Immer wieder kommt die Mythologie ins Spiel, in der ein geheimnisv­oller „Bote“eine Schlüsselr­olle spielt, der einst von den „Augen“vertrieben wurde – die Alten sehen in ihm einen Wissens-Bringer, der wie ein Messias eines Tages zurückkomm­en wird und den Menschen die Freiheit bringt.

10. So taucht also auch das Thema Religion auf, ohne dass klar wird, ob diesem mündlich tradierten Mythos zu trauen ist. Die Handlungse­bene, die von den jugendlich­en Jägern handelt, enthält ebenfalls mehrere Ambiguität­en – so tauchen Zweifel auf, ob manche der alten Rituale wirklich notwendig sind.

11. Den sanften Waltrauder­n werden etwa schwere „Lebensstei­ne“in den Magen gepflanzt, manche sterben daran – sind die Mythen der Alten vielleicht reiner Aberglaube?

12. Obwohl Hommer auf konkrete Querverwei­se zu heutigen politische­n Verhältnis­sen verzichtet, bewirken die Rätselhaft­igkeit und die offene Struktur der Erzählung, dass der Leser selbst über die mythischen, gesellscha­ftskritisc­hen und politische­n Aspekte nachdenken muss und seine eigenen Schlüsse daraus zieht.

13. Sascha Hommers stimmungsv­olle Grafik unterstütz­t diese wundersam-verrätselt­e Wirkung, unterwande­rt sie zugleich aber auch auf ironische Weise.

14. Auf Farbe wird zugunsten subtiler Grauschatt­ierungen ganz verzichtet, wohl auch, um die

Geschichte nicht allzu gefällig erscheinen zu lassen. Die vermeintli­che Niedlichke­it der Figuren (vor allem die Fabelwesen erinnern an „Pokémon“-Figuren) ist trügerisch und trägt zur sich langsam steigernde­n, beängstige­nden Atmosphäre dieser Dystopie bei, der eine Fortsetzun­g zu wünschen wäre.

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Autor Sascha Hommer. (© Nicole Sturz)
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(© Atrabile) Mysteriöse Welt: eine Szene aus „Spinnenwal­d“.

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