Eröffnung aus Indien
Tendances : Portrait d’un jeune prodige des échecs d’origine indienne
Avec les confinements successifs, les échecs ont vu leur cote de popularité monter en flèche, un succès en partie alimenté par la série Netflix « Le Jeu de la Dame ». A Hanovre, Sreyas Payyappat, petit prodige de 13 ans, rêve d’une carrière à la Kasparov. Le jeune Indien a l’étoffe d’un grand champion.
Wenn er morgens aufwache, erzählt Sreyas Payyappat, schlendere er zunächst ein wenig in der Wohnung in Hannover umher. Und wenn nichts los sei in der Familie, beginne er zu lernen. Er studiert dann Schachstellungen und Eröffnungsvarianten. Die brauche er, sagt der Junge mit den kurzen schwarzen Haaren, um „meine Gegner zu nerven“. Denn Sreyas weiß genau, was er werden möchte: „Ein Großmeister – oder nein, lieber ein Super-Großmeister.“
2. Nur 37 Spieler dürfen sich derzeit SuperGroßmeister nennen. Einer von ihnen ist Magnus Carlsen, 30, der Weltmeister und vielleicht beste Spieler der Geschichte. Sreyas ist ein 13 Jahre alter Junge, er rutscht auf seinem Stuhl hin und her, ein Glas Apfelsaft vor sich. Sein Deutsch ist nicht perfekt, aber flüssig. Fällt ihm mal ein Wort nicht ein, wechselt er ins Englische. Hätte die Pandemie nicht zu häufig Turniere verhindert, hätte er wohl so viele Elo-Punkte wie Carlsen in seinem Alter. Die Elo-Punkte sind der Maßstab für die Spielstärke von Schachspielern.
3. Sreyas hat die Anlage eines Wunderkindes. Auf einen wie ihn hofft die deutsche Schachgemeinde. Das Brettspiel bestimmt das Leben der Payyappats. Als Vater Sreejith vor drei Jahren als Projektleiter einer Computerfirma aus Thiruvananthapuram, einer Großstadt an der Südküste Indiens, an den Stadtrand Hannovers zog und seine Frau Smitha sowie die Kinder Sreyas und Sayas, 9, wenig später nachkamen, ahnten sie noch nicht, dass sie länger hierbleiben würden. Auf Englisch erzählen die Eltern davon, wie sie nach dem ersten Arbeitsauftrag hätten zurückkehren können, „in unser Haus in Strandnähe“, sagt der Vater, dann aber hätten sie sich „wegen der Möglichkeiten, die Sreyas hierzulande im Schach hat, entschieden, länger zu bleiben“, sagt Mutter Smitha.
SCHACH IST EIN PROFITEUR DER KRISE
4. Entscheidend für diesen Entschluss war eine Partie im Oktober 2019. In Runde vier der Bezirksmeisterschaft traf der damals elfjährige Sreyas auf den Bundesligaspieler und Internationalen Meister Dennes Abel. Die Partie zog sich über knapp fünf Stunden hin, Abel erinnert sich: „Sreyas spielte ungewöhnlich schnell und konstant, er sah kleinste Fehler sofort.“Durch einen Trick entzauberte Abel seinen knapp 20 Jahre jüngeren Gegner. „Heute würde mir das sicherlich nicht mehr gegen ihn gelingen“, sagt er.
5. Wer Schach liebt, genießt es, seine Partien gemeinsam mit dem Gegner zu analysieren – so wie die beiden nach ihrem harten Match. Dabei erfuhr Abel, dass der Hobbyspieler Sreyas keinen festen Trainer hatte. Abel ergriff die Chance und trainierte ihn fortan.
6. Wegen der Pandemie werden Turniere momentan, wenn überhaupt, nur online ausgetragen, das Vereinsleben ruht. Und doch ist Schach ein Profiteur der Krise. Der Sport boomt: ausgelöst durch die schrumpfenden Freizeitmöglichkeiten und durch die NetflixSerie „Das Damengambit“, die weltweit Quotenrekorde feiert.
7. Sreyas’ erstes Spielbrett war ein Geschenk zum fünften Geburtstag. „Ein gewöhnliches aus Holz, mit Schach und Dame auf der einen, Backgammon auf der anderen Seite“, sagt seine Mutter. Von ihr lernte er zu spielen. Nach drei Monaten konnte seine Mutter nicht mehr als Trainingspartnerin dienen.
LIEBLINGSFACH: MATHE
8. Sreyas nahm mit fünfeinhalb an der Meisterschaft der unter Neunjährigen im indischen Bundesstaat Kerala teil. Er landete auf einem der hinteren Plätze, übte weiter exzes
Schach fordert den Geist, aber auch die physische Belastung ist groß.
siv, meistens allein. Heute sitzt Sreyas mehrmals die Woche per Skype seinem Trainer gegenüber, manchmal ohne Brett auf dem Bildschirm. Sreyas behält blind den Überblick, bewertet mögliche Stellungen vor seinem geistigen Auge.
9. An der Erfolgsserie „Damengambit“wird mitunter das rasche Spiel kritisiert, so als müssten Schachspieler gar nicht nachdenken. Diesen Eindruck vermittelt auch Sreyas, wenn er die Züge herunterrattert und Abel sagt: „Mach langsam, ich bin ein alter Mann.“
10. Sein wichtigster Trainingspartner ist inzwischen der Laptop seiner Mutter – Sreyas trainiert bis zu 40 Stunden in der Woche. Mal lümmelt er im Stuhl, mal sitzt er aufrecht; faltet seine Finger merkwürdig akribisch auf der Tischplatte oder schiebt seinen Kopf nah an den Bildschirm, als möchte er eintauchen in die Figuren.
11. Schach fordert den Geist, aber auch die physische Belastung ist groß. Als kleines Kind sei Sreyas „fast hyperaktiv“gewesen, Schach habe ihn körperlich weniger rege gemacht, erzählen die Eltern. Wenn er in das Spiel vertieft ist, vergisst er, wie die Zeit vergeht. Bei Onlineturnieren ist er oft stundenlang allein mit seinen Gedanken. Was macht das mit ihm?
12. Sreyas wirkt weder egozentrisch noch wahnhaft. Er ist smart, stets freundlich. Ein Kind. Sreyas liest gern, „Die drei Fragezeichen“und Comics, neuerdings sogar Romane. Schon vor Corona habe er alle englischsprachigen Bücher aus der Bibliothek im Nachbarstadtteil Badenstedt durchgehabt, erzählt er. Sreyas besucht gerade die sechste Gymnasialklasse der Helene-Lange-Schule. Lieblingsfach: Mathe. Seine Rechenfähigkeit hilft ihm beim Schach.
NACHWUCHS WIE SREYAS WIRD DRINGEND GESUCHT
13. Im Oktober nahm er an der deutschen Meisterschaft der unter Zwölfjährigen teil. Nach einem Remis gewann er alle sechs weiteren Partien und wurde schließlich Erster. „Ich mache den Erfolg nicht an Siegen fest, sondern an der Qualität der Partien, die er spielt“, sagt Abel. Er möchte ihn behutsam aufbauen.
14. Mit mehr als 90 000 Mitgliedern ist der Deutsche Schachbund einer der größten Fachverbände der Welt, es gibt etwa 2400 Vereine, die Bundesliga gilt als eine der stärksten Ligen der Welt. Aber einen Weltklassespieler hatte das Land schon lange nicht mehr – Nachwuchs wie Sreyas wird deshalb dringend gesucht. „Wir werden ihn weiter fördern, ganz unabhängig von den Farben der Nationalflagge“, sagt der niedersächsische Schachpräsident Michael S. Langer.
15. Der Verband gibt Geld aus für Workshops mit erfahrenen Spielern. „Sreyas soll irgendwann für Deutschland spielen“, hofft Langer. „Wir wissen noch nicht, ob wir für immer in Deutschland bleiben werden“, sagt Mutter Smitha. Die Payyappats vermissen ihr altes Leben in Indien, die Freunde. „Aber für Sreyas sehen wir über unsere Gefühle hinweg.“
16. Rustam Kasimdschanow, ehemaliger Weltmeister und einer der besten Trainer, vergleicht Sreyas mit Viswanathan Anand. Der indische Brettstratege gehört seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Spielern, er war vor Magnus Carlsen lange die Nummer eins der Welt. „Tiger von Madras“wird Anand genannt, sein Spielstil erinnert an das Raubverhalten der Großkatze: klares Angriffsvorhaben, kein Zögern, den Gegner überraschen. Sreyas’ Spiel ist ähnlich. Als Tiger möchte er aber nicht gesehen werden, sagt er. „Lieber als Eisvogel, der ist schöner und schnappt auch schnell zu.“