Zum Buch „Lob der Erde“
Eines Tages fasst der international renommierte Philosoph Byung-Chul den Entschluss, sich täglich der Gartenarbeit zu widmen. Drei Frühlinge, Sommer, Herbste und Winter tut er dies. Seinen Berliner Garten nennt er Bi-Won (koreanisch: Geheimer Garten). Hans Philosophie des Gartens ist ein Liebesbekenntnis an die Erde und die Natur und ein Aufruf an die Menschheit, sie zu schonen. Ein ungewöhnliches Buch über die Arbeit im Garten, über Jahreszeiten und die Romantik, über ein verändertes Zeitgefühl, Kants „Kritik der reinen Vernunft“und Schuberts „Winterreise“.
den Entschluss fassen, zu prendre la décision de / sich einer Sache widmen se consacrer à qqch / geheim secret / das Liebesbekenntnis an la déclaration d’amour à / der Aufruf an jdn l’appel à qqn / die Menschheit l’humanité / schonen épargner / ungewöhnlich inhabituel / die Jahreszeit la saison / verändert modifié / das Zeitgefühl la perception du temps / Kritik der reinen Vernunft Critique de la raison pure / Winterreise Voyage d’hiver.
gegen die Gesellschaft als ganze: „Müdigkeitsgesellschaft“(2010), „Transparenzgesellschaft“(2012), „Palliativgesellschaft“(2020). Gegen ihre neoliberalen Leistungsimperative, die kein Verweilen, kein Geheimnis, keinen Schmerz mehr zulassen.
5. Hans Bücher werden derzeit in Spanien, Italien und lateinamerikanischen Ländern wie Chile, Argentinien oder Brasilien sehr breit rezipiert. Allein in Brasilien hat sich sein Buch „Müdigkeitsgesellschaft“mehr als eine halbe Million Mal verkauft. In Chile tauche er inzwischen sogar auf den Bildschirmen der Metro auf. Als einem der wenigen lebenden Philosophen gelingt Han der Spagat zwischen Populärphilosophie und akademischer Nische.
6. Ob seine Gesellschaftskritik auch eine Selbstkritik ist? „Nein, ich bin extrem faul. Ich schreibe sehr wenig. Ich schreibe jeden Tag vielleicht drei Sätze. Ich bin vielleicht einer der faulsten Menschen der Welt. Ich höre Musik, spiele Klavier und langweile mich, und dann schreibe ich vielleicht ein paar Sätze. Wenn ich viel arbeite, dann eine halbe Seite.“
die Gesellschaft la société / als ganze dans son ensemble / Müdigkeitsgesellschaft La société de la fatigue / Tranparenzgesellschaft La société de transparence / Palliativgesellschaft La société palliative / die Leistung la performance / das Verweilen le fait de s’attarder, la pause / das Geheimnis le secret / der Schmerz(en) la douleur / zu-lassen autoriser, tolérer.
5. derzeit en ce moment / breit rezipiert sein avoir une large audience, susciter l’engouement du public / x Mal àx exemplaires / auf-tauchen apparaître / der Bildschirm(e) l’écran / einer der wenigen … l’un des rares … / jdm gelingt(a,u) der Spagat qqn réussit le grand écart / akademisch universitaire.
6. die Selbstkritik l’autocritique / faul paresseux / das Klavier le piano / sich langweilen s’ennuyer / ein paar quelques / halb demi.
Der Künstler unter den deutschen Philosophen
7. Sein nächstes Buch soll von Untätigkeit handeln. Untätigkeit sei nicht die Abwesenheit von Tätigkeit, sondern „ein Vermögen, nicht zu tun“, so Han. Untätigkeit habe eine eigene Logik, eine eigene Pracht, eine eigene Magie. Wir glichen heute immer mehr den Tätigen, die rollen, wie der Stein rollt, gemäß der Dummheit der Mechanik. Die ganze menschliche Existenz sei von der Tätigkeit absorbiert. Sie werde dadurch ganz ausbeutbar. Dabei sei die Langeweile, zitiert Han Benjamin, die Schwelle zu großen Taten.
8. Han ist der Künstler unter den deutschen Philosophen. Sein Denken lebt von einprägsamen Beispielen, parataktischen Thesen, dekonstruktiven Wortspielen und starken Gegenüberstellungen: Oxytocin statt Schufa, Vertrauen statt Kontrolle, Narration statt Information.
9. Seine Feindbilder sind nicht gerade originell, im Grunde lassen sie sich auf zwei Pfeiler herunterbrechen, die Digitalisierung und den
7. die Untätigkeit l’inactivité / die Abwesenheit l’absence / die Tätigkeit l’activité / das Vermögen la capacité / die Pracht la splendeur / jdm gleichen(i,i) ressembler à qqn / der Tätige la personne active / der Stein la pierre / gemäß + dat. suivant / die Dummheit la stupidité / menschlich humain / ausbeutbar sein être exploitable / dabei pourtant / die Langeweile l’ennui / die Schwelle zu le seuil de / die Tat(en) l’acte, l’action.
8. der Künstler l’artiste / einprägsam marquant / das Wortspiel(e) le jeu de mots / die Gegenüberstellung la confrontation, l’opposition / statt plutôt que / die Schufa société d’assurance et de surveillance du crédit à la consommation en Allemagne / das Vertrauen la confiance.
9. das Feindbild(er) l’ennemi, le démon / nicht gerade pas précisément / im Grunde au fond / sich auf … herunterbrechen lassen pouvoir être réduits, se résumer à …/ der Pfeiler le pilier / die Digitalisierung la numérisation /
Neoliberalismus. Und trotzdem machen Hans Worte nie den Anschein billiger Fortschrittskritik, sondern strahlen verführerisch, glänzen vor Kraft und Dringlichkeit. Einige Gäste wollen nach dem Vortrag signierte Bücher, andere Praxistipps: „Aber was können wir denn konkret tun?“Doch Han will kein Ratgeber sein, sondern Philosoph.
„Die Gesellschaft zerfällt zu digitalen Stämmen“
10. Eines der großen Probleme unserer gegenwärtigen Diskussionskultur erkennt er in der Tribalisierung. Viele Menschen schafften es nicht mehr, ihre Identität von ihrer Meinung abzukop
den Anschein …(gén.) machen donner l’impression d’être … / der Fortschritt le progrès / strahlen rayonner, briller / verführerisch de façon séduisante / vor … glänzen être éclatant de … / die Kraft la force / die Dringlichkeit l’urgence / der Gast(¨e) l’hôte / der Vortrag(¨e) la conférence / der Paxistipp(s) le conseil pratique / der Ratgeber le conseiller. 10. gegenwärtig actuel / etw in … erkennen(a,a) voir qqch dans … / es schaffen, zu réussir à / etw von … ab-koppeln dissocier qqch de … / die Meinung l’opinion / peln. „Sie weichen nicht von ihren Meinungen ab, weil sie sonst ihre Identität aufgeben müssen.“
11. Man könne diese Menschen nicht überzeugen, nicht mit ihnen diskutieren. „Die Gesellschaft zerfällt zu digitalen Stämmen. Das ist giftig für die Gemeinschaft. Wir machen die Menschen, die einer anderen Meinung anhängen, zu Feinden. Unmöglich wird dadurch der rationale Diskurs, der eine Voraussetzung für die Demokratie ist.“
12. Ein Smartphone hat Han. Aber er benutzt es vor allem, um Blumen zu identifizieren. Einer App ist er, bei aller Kritik der Digitalisierung,
von … ab-weichen(i,i) s’écarter de … / sonst sinon / auf-geben abandonner.
11. jdn überzeugen convaincre qqn / zu … zerfallen(ie,a,ä) dégénérer en … / der Stamm(¨e) la tribu / giftig toxique / die Gemeinschaft la communauté / einer Meinung an-hängen(i,a) adhérer à, avoir une opinion / der Feind(e) l’ennemi / der Diskurs le discours / die Voraussetzung la condition.
12. benutzen utiliser / einer Sache dankbar sein être reconnaissant à qqch / bei malgré / dann doch dankbar. Er hält das Handy auf die Blumen, und die App verrät ihm ihren Namen. Am besten gefallen ihm die, die im Winter blühen. In seinem Buch „Lob der Erde“beschreibt er, wie er über drei Jahre hinweg einen Garten mit Winterblühern am Wannsee angelegt hat.
13. Bücher besitze er nur wenige, er lese die alten Klassiker immer wieder aufs Neue. Platon, Kant, Hegel, Kafka, Benjamin. „Walter Benjamin ist der einzige Philosoph, bei dem ich eine Wärme in meinem Herzen spüre“, sagt Han, während er die Vorder- und Rückseite eines Blütenblattes studiert. „Den ich gern in den Arm nehmen möchte.“Zum Abschied reicht er die Hand. O
verraten(ie,a,ä) révéler / jdm gefallen(ie,a,ä) plaire à qqn / blühen fleurir / Lob der Erde Eloge de la terre / über … hinweg sur … / der Winterblüher la plante à floraison hivernale / der Wannsee lac de Berlin / an-legen aménager.
13. besitzen posséder / aufs Neue lesen relire / die Wärme la chaleur / spüren ressentir / die Vorderseite le recto / die Rückseite le verso / das Blütenblatt(¨er) le pétale / zum Abschied en guise d’adieu / die Hand reichen tendre la main.