Städtefotografie
Tipps für Architekturaufnahmen und spontane Fotos von Straßenszenen.
Städte erkunden mit der Kamera: Dabei spielt zum einen die Architekturfotografie eine wichtige Rolle, zum anderen geht es darum, interessante Szenen und besondere Lichtstimmungen einzufangen. Erzählen Sie Geschichten und arbeiten Sie Gegensätze heraus. Wir zeigen Ihnen, worauf es dabei ankommt – in kreativer wie in technischer Hinsicht.
In einer neuen Stadt anzukommen, bedeutet zunächst: totale Reizüberflutung! Sehenswürdigkeiten, Straßenszenen, eine Fülle von Details – man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Nehmen Sie sich Zeit, lassen Sie die Kamera in der ersten Stunde am besten in der Fototasche. Wenn das Wetter passt: Setzen Sie sich in ein Straßencafé, schauen Sie herum, und lassen Sie das Ganze auf sich wirken. In öffentliche Verkehrsmittel oder Taxi steigen Sie nur ein, wenn der Weg von A nach B uninteressant ist, weil er vielleicht an einer vielbefahrenen Straße entlangführt. Sonst gilt: Zu Fuß unterwegs sein bietet die besten Voraussetzungen, um eine Stadt zu erkunden. Es schadet nicht, wenn Sie sich dabei auch mal treiben lassen, um dem Zufall eine Chance zu geben. Doch meist ist es produktiver, mit etwas Planung an das Stadtabenteuer heranzugehen. Vorschlag: Setzen Sie Prioritäten – für die nächste Stunde, den Morgen den Abend, für Regentage und so weiter. Zum Beispiel: Architektur, Innenräume, Nachtaufnahmen, Schnappschüsse oder abstrakte Ansichten. Und wenn Sie keinen besseren Plan haben: Arbeiten Sie sich allmählich von der Totale zum Detail vor. Je länger Sie an einem Ort sind, desto schärfer wird der Blick für das Kleine, das oft unendlich viel über das große Ganze aussagt.
Wie viel Ballast muss sein?
Die Bereitschaft, mehr oder weniger an Fotogepäck durch die Straßen zu tragen, steckt wesentlich den Rahmen der Möglichkeiten ab. Da das Equipment den ganzen langen Tag bewegt werden muss, gilt als Maxime: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Der Brennweitenbereich der Objektive sollte vom Weitwinkel bis zum Tele in persönlich bevorzugter Staffelung alles abdecken. Beispiele (auf KB bezogen): Standardzoom (24 – 70, 28 – 105 etc.), Telezoom (70 – 200/300) und Weitwinkelzoom (z. B. 14-35). Vor allem im Weitwinkelbereich lohnt sich aber auch eine Festbrennweite aufgrund der noch besseren Bildwiedergabe – vor allem wegen der geringeren Verzeichnung, was bei Architekturmotiven essentiell ist. Bei- spiele: Zeiss Touit 2,8/12 mm (APS-C), Walimex pro 2/16 mm (APS-C), Fujifilm Fujinon XF 2,8/14 mm R (APS-C) oder Zeiss Batis 2/25 mm (KB). Besitzer von Canon- oder Nikon-Kameras können zudem auf Shift-/Tilt-Objektive zugreifen, die sich aber auch an spiegellose Systemkameras wie z.B. die Sony-A7Modelle adaptieren lassen. Zudem sollte mindestens ein Systemblitzgerät in der Fototasche stecken. Empfehlung für die Reise: das Nissin i40 als derzeit kleinstes Systemblitzgerät mit vollem Leistungsumfang, erhältlich für Canon, Nikon, Sony, Fujifilm und Four Thirds. Ebenfalls Pflicht: ein Polfilter und mindestens ein Ersatzakku für die Kamera; bei spiegellosen Systemkameras mit elektronischem Sucher können auch zwei Ersatzakkus nötig sein. Wo sich bei vielen Amateurfotografen die Geister scheiden, ist das Stativ: Der eine lässt es am liebsten ganz zu Hause, der andere möchte nicht ohne. Fakt ist, dass man heute auch mal aus der Hand fotografieren kann, wo man früher unbedingt ein Stativ brauchte. Denn viele Kameras liefern bei ISO-Einstellungen
bis 800 gute Ergebnisse, und Bildstabilisatoren verringern die Gefahr von Verwacklungsunschärfen bei längeren Belichtungszeiten. Zudem sollten Sie jede Möglichkeit nutzen, die Kamera irgendwo auf- und anzulegen. Bei Nacht oder wenn Techniken wie Panorama- oder HDR-Fotografie zum Einsatz kommen sollen, ist ein Stativ allerdings noch immer unverzichtbar. Nur sollte man auf Reisen einen guten Kompromiss aus kompakten Abmessungen, Gewicht und Stabilität finden. Beispiel: das Cullmann Concept One 622TC (1,25 kg), mit rund 280 Euro für ein Carbon-Stativ relativ günstig. Auch das Alu-Reisestativ Manfrotto MKBFRA4-BH BeFree (1,4 kg) für etwa 140 Euro ist keine schlechte Wahl. Ziemlich teuer, aber gut: das Carbon-Stativ Gitzo Traveler Series 1 (ca. 800 Euro ohne Kopf). Was den Stativkopf anbelangt: Ob man eher einem Kugelkopf oder 3-WegeNeiger den Vorzug gibt, ist Ge- schmackssache. Mit dem Kugelkopf ist man beim Einstellen meistens schneller, während der 3-Wege-Neiger das systematische Einrichten der Kamera bei Architekturaufnahmen begünstigt.
Tipps zur Orientierung
Für mehrtätige Stadtexkursionen empfiehlt sich ein Hotel in zentraler Lage und guter Verkehrsanbindung. Vor allem für Aufnahmen in der Morgendämmerung oder spät am Abend ist es wichtig, dass die Anfahrtswege kurz sind und man keine Transportprobleme hat. Auch ist es ein großer Vorteil, wenn man einen Teil der Ausrüstung tagsüber im Hotelsafe oder im abgeschlossenen Koffer parken kann, um die Zubehörteile erst dann zu holen, wenn sie wirklich gebraucht werden. Die gute Orientierung in der fremden Umgebung ist sehr wichtig – egal, ob mit Stadtplan oder Smartphone-Navi im Fußgängermodus. Gerade mit Blick auf Architekturaufnahmen ist es ideal, wenn man bei einer ersten Besichtigung Zeitpunkt und Position für geplante Aufnahmen festlegen kann. Hierfür sind die meist unvermeidlichen „Schlechtwetter“-Tage angebracht. Besser dann die Pläne für Aufnahmen machen und deren Realisierbarkeit prüfen, als bei bestem Fotowetter oder in der blauen Stunde feststellen zu müssen, dass das Wunschobjekt gerade eingerüstet ist und restauriert wird. Trotz vieler Unwägbarkeiten ist es natürlich sinnvoll, wenn Sie zu Hause oder unterwegs am Smartphone recherchieren, welchen Stadtteilen oder Bauwerken Sie besondere Aufmerksamkeit widmen sollten.
Architektur & Sightseeing
Die meisten Amateurfotografen werden bei Städtereisen auch typische Sehenswürdigkeiten fotografieren: Dazu gehören Bauwerke, Brücken, Denkmäler und
einiges mehr, was sich unter dem Sammelbegriff Architekturfotografie zusammenfassen lässt. Motive finden sich in jeder Stadt auf Schritt und Tritt – vom mittelalterlichen Stadtbild bis hin zu den Wahrzeichen moderner Architektur. Und im Gegensatz zur dokumentarischen Architekturfotografie darf man auch subjektive oder abstrahierende Sichtweisen einbringen. Dazu gehören übersteigerte Perspektiven ebenso wie Spiegelungen an Glasfassaden oder Ausschnitte, die Details eines Bauwerks auf Formen, Strukturen und Farbe reduzieren. Die Regeln klassischer Architekturfotografie sollte man dennoch kennen; dazu gehört eine auf zwei Ebenen exakt gerade ausgerichtete Kamera. Realisieren lässt sich dies entweder mit einer Wasserwaage (am Stativ oder Blitzschuh der Kamera) oder mithilfe des künstlichen Horizonts, den Kameras heute am Monitor oder im elektronischen Sucher anzeigen. Zudem kommt es auf die
Aufnahmeperspektive an: Die Zentralperspektive mit Frontalsicht schafft ein Höchstmaß an Symmetrie.Vertikale und horizontale Motivlinien sind parallel zu den Bildrändern; die vom Vorder- zum Hintergrund verlaufenden Motivlinien fluchten in einem Punkt. Die Diagonalsicht sagt mehr über die Form von Gebäuden aus; Fluchtlinien treffen sich außerhalb des Bildfelds. Häufig ist auch die Froschperspektive (nach oben geneigte Kamera), während man für die Vogelperspektive (Blick von oben) einen erhöhten Standpunkt benötigt, der nicht immer zur Verfügung steht.
Städte bei Nacht
Wenn abends die Lichter angehen, erwachen viele Städte erst richtig zum Leben: Beleuchtete Fassaden und farbige Neonreklamen schaffen eine spannungsgeladene Atmosphäre, in der abgrundtiefes Dunkel mit grell-bunten Elementen konkurriert. Früher bewegte den Fotografen dabei in erster Linie die Frage nach der korrekten Belichtung. Heute lässt sich das Bildergebnis am Monitor der Digitalkamera sofort überprüfen, die Belichtung bei Bedarf korri-
gieren. Oft zeigt sich das Histogramm einer Nachtaufnahme mit deutlichem Beschnitt links und rechts an der Rahmenbegrenzung, was auf starkeVerluste in Schatten- und Lichterzeichnung hinweist. Bei üblichen Motiven würde das zu unschönen Ergebnissen führen, bei Nachtaufnahmen stört dies dagegen nicht. Zeichnungsloses Schwarz lässt bunte Lichtfarben umso plakativer wir- ken, und sehr helle Lichtquellen dürfen ruhig ins Weiß übergehen, wenn das Bild insgesamt nicht zu hell ist. Nachtaufnahmen sind immer auch ein idealer Kompromiss aus vorgewähltem ISO-Wert und resultierenderVerschlusszeit bei vorgegebener Blende. Wählen Sie nur in Ausnahmefällen mehr als ISO 1600 und beachten Sie, dass bei Verschlusszeiten im Sekundenbereich häufig das Rauschen zunimmt und in dunklen Bildpartien besonders gut sichtbar wird. Je nach Kameramodell haben Sie unterschiedliche Möglichkeiten, dem erhöhten Rauschen und dabei eventuell auftretenden Pixelfehlern entgegenzuwirken; die Funktion heißt Langzeit-Rauschminderung oder ähnlich. Wundern Sie sich aber nicht, wenn die kamerainterne Bearbeitungs-
zeit pro Bild (JPEG) dabei deutlich länger wird. Um das Bild nicht zu verwackeln, verwenden Sie ein solides Dreibeinstativ in Verbindung mit einem Fernauslöser, der sich heute bei vielen Kameras mittels Smartphone-App realisieren lässt. Das hat gleichzeitig den Vorteil, dass dann auch ein Live-Bild am Smartphone-Monitor zu sehen ist und man Kameraeinstellungen eben- falls drahtlos vornehmen kann. Tipp: Wenn kein Fernauslöser zur Hand ist, arbeiten Sie mit der SelbstauslöserFunktion der Kamera, möglichst mit kurzer Vorlaufzeit (2 s), um ohne Verwackeln auszulösen. Ein beliebtes Stilmittel bei nächtlichen Stadtszenen sind Langzeitbelichtungen, die Schweinwerfer oder Rücklichter von Autos in Lichtspuren verwandeln. Die
dafür nötigen Belichtungszeiten können ohne Weiteres 10, 20 oder mehr Sekunden betragen. Eine Variante, um dynamische Wischeffekte zu erzielen: Sie fotografieren aus einer fahrenden Uoder S-Bahn heraus und platzieren die Kamera stabil am Fenster.
Gegensätze herausarbeiten
Jede größere Stadt lebt auch von Gegensätzen. Das sollten Sie sich bei der Motivsuche zunutze machen. Fotografisch betrachtet spielen Gegensätze vor allem als Hell-Dunkel-Kontrast oder als Farbkontrast eine Rolle. Farbkontraste entstehen durch Komplementärfarben (z. B. Blau – Gelb, kalt – warm) oder dadurch, dass starke Farben ein sonst monochromes Umfeld dominieren. Zum anderen geht es um die Bildaussage, um das Visualisieren von Gegensätzen wie Alt – Jung, Arm – Reich, Mondän – Provinziell oder Klassisch – Modern. Die Darstellung solcher Gegensätze ist ein starkes Stilmittel, dessen sich auch der Bildjournalismus gerne bedient. Mit fotografischen Mitteln können Sie diese Gegensätze verstärken:Verwenden Sie ein starkes Tele (mindestens 200 mm KB-äquiv.), wenn Sie etwa Teile eines historischen Stadtbilds vor einer modernen Skyline abbilden. DieTeleperspektive komprimiert scheinbar den Raum und lässt weit Entferntes zusammenrücken, was beim genannten Motiv die Gegensätzlichkeit verstärkt. Selbst ein durch Fakten belegbarer Gegensatz wie „Groß - Klein“ist in der Fotografie nichts Unabänderliches: Verwenden Sie ein Weitwinkelobjektiv, und wählen Sie einen geringen Abstand zu Vordergrundobjekten, so werden diese deutlich größer dargestellt als Bauwerke im Hintergrund, die in Wirklichkeit viel größer sind. Ein anderes, nicht weniger effektives Stilmittel ist der Wechsel von Schärfe
und Unschärfe im Bild, auch selektive Schärfe genannt. Man erreicht diesen Effekt durch eine große Blende oder lange Brennweite bzw. eine Kombination aus beidem. Bei den meisten Bildern dieser Art befinden sich die scharfen Bildteile im Vordergrund, beispielsweise bei Porträts. Die Schärfeebene kann aber auch im Mittel- oder Hintergrund platziert werden. Abschließender Tipp: Nicht jeder Gegensatz macht ein Bild automatisch interessant. Den lieblos mit Tele abgelichteten Obdachlosen vor dem Schaufenster der Edelboutique hat man zu oft gesehen. Wer wirklich sozialkritische Aufnahmen machen will, muss sich eingehender und sensibler mit seinem Gegenüber beschäftigen – wobei hier auch Persönlichkeitsrechte eine Rolle spielen. Solche Themen lassen sich zudem in Serien besser behandeln als in Einzelbildern. Karl Stechl