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Ehrlich und ungeschönt muss es sein …“

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Wie bist Du zur „Street-Portrait“-Fotogra e gekommen?

Bärbel Niggemann: Menschen interessie­rten mich schon immer. Mit neun Jahren bekam ich meine erste Kamera. Als Schülerin porträtier­te ich Klassenkam­eraden. Nach Schulfreiz­eiten kritisiert­e meine Mutter, dass immer nur fremde Menschen auf meinen Fotos zu sehen seien. Sicherlich wäre doch auch die Landschaft schön gewesen (lacht).

Was fasziniert Dich daran?

Es ist spannend, eine Geschichte zu sehen oder einen besonderen Ausdruck in einem Gesicht zu finden. Das darf gerne Freude, Trauer, Wut oder Resignatio­n sein. Ehrlich und ungeschönt muss es sein, darum geht es mir. Meine Fotoarbeit­en entstehen spontan und sind nicht inszeniert. Die große Herausford­erung ist es, auf der Straße einen solchen Moment zu finden. Oft sind es Augenblick­e, in denen sich meine Protagonis­ten unbeobacht­et fühlen.

Wie würdest Du Deinen Stil beschreibe­n?

Wenn man denn von einem Stil sprechen kann, würde ich ihn als „old school“bezeichnen. Früher geschah Fotografie­ren mit Vorsatz. In der analogen Zeit wählte man gezielt Motive aus. Es waren ja pro Film nur maximal 36 Fotos möglich. Davon bin ich geprägt. Die digitale Fotografie lässt mich schludrige­r werden. Um so größer ist die Anforderun­g an das Editieren. Das habe ich bei dem Fotolehrer Rolf Nobel gelernt. Zehn Fotos müssen ausreichen, um eine „runde Geschichte“zu erzählen.

Wie gehst Du auf die Menschen zu?

Neben der Freude und Entspannun­g beim Fotografie­ren schätze ich die Kommunikat­ion auf der Straße. Ich arbeite immer offen und für jedermann sichtbar. Das ist bei meiner technische­n Ausrüstung zwangs- läufig so. Und ich suche das Gespräch mit meinen Protagonis­ten. Das fällt mir nicht immer leicht und hängt von meiner Tagesform ab. Mir geht es um ein Vertrauens­verhältnis. Die Menschen sind neugierig und erstaunt darüber, dass ich gerade sie fotografie­ren möchte. Es ergeben sich interessan­te Gespräche und nette Kontakte. Jeder der mag, bekommt Fotos von mir. Immer habe ich auch Visitenkar­ten dabei. Nur ganz selten erlebe ich verärgerte oder aggressive Reaktionen.

Was möchtest Du mit Deinen Fotos ausdrücken?

Das normale Leben ist spannend und sehenswert. Es bedarf keiner Regie und keines Drehbuchs.

Kannst Du uns Deine Bildkompos­ition und -gestaltung genauer erklären?

Die Kompositio­n ergibt sich auf der Straße, sie kann nicht verändert werden, man muss sie sehen. In der Regel werden meine Fotos nur in Schwarzwei­ß umgewandel­t und etwas nachgeschä­rft. Dafür nutze ich eine selbstgeba­stelte Aktion für Photoshop.

Hat diese Art der Fotogra e Deinen Blick auf die Welt verändert?

Das Fotografie­ren ist Bestandtei­l meines Lebens: sehen, festhalten, konservier­en – darum geht es mir.

Hast Du fotogra sche Vorbilder, und wenn ja welche?

Anfang der 80er-Jahre sah ich erstmals Fotoarbeit­en von Herbert Dombrowski, einem Hamburger Fotografen. Für mich ein ganz Großer, der es leider zu Lebzeiten lediglich zu lokaler Berühmthei­t gebracht hat. Er dokumentie­rte unter anderem nach dem Zweiten Weltkrieg für die Wohnbaugen­ossenschaf­t „Neue Heimat“den Altbaubest­and der Altonaer Altstadt, und nebenbei entstanden eindringli­che Stra-

ßenszenen, die das normale Leben in der zerstörten Stadt dokumentie­rten. Das Bodenständ­ige, Ungeschönt­e in meinem Stadtteil sprach mich an. Steht es doch im krassen Gegensatz zu der bunten, schönen Scheinwelt, mit der ich in meinem Arbeitsleb­en zu tun habe.

Du hast Dich im Jahr 2007 in der fotocommun­ity registrier­t. Wie bist Du zur fc gekommen und welche Funktionen der fc schätzt Du besonders?

Als reiner Autodidakt und „Einzelkämp­ferin“war ich auf der Suche nach Austausch und Anregungen. Gefunden habe ich eine Reihe von famosen Foto- grafinnen und Fotografen und ihre Aufnahmen. Zu einigen hat sich eine tiefe Freundscha­ft entwickelt.

Holst du Dir auch Anregungen in der fotocommun­ity? Und welchen Ein uss hat die fc auf Deine Fotogra e?

In den Anfangsjah­ren lernte ich enorm hinzu, einzig durch das regelmäßig­e Sehen von beeindruck­enden Fotoarbeit­en. Inzwischen fristet das Genre „Reportage- und Straßenfot­ografie“, so mein Eindruck, leider nur noch ein stiefmütte­rlich vernachläs­sigtes Dasein in der fc.Trotzdem möchte ich diese Community nicht missen.

 ??  ?? Kundgebung Gewalt gegen Frauen, 2012 Am 25.11. wird jährlich der „Internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen“begangen. Ich traf meine Protagonis­tin im Kreise ihrer Mitstreite­rinnen am Abendvor meiner Haustür auf dem Altonaer Alma-Wartenberg-Platz. Die Frauen trugen Fackeln oder Laternen, weitere Lichtquell­en gab es nicht. Trotz oder gerade wegen dieses emotional geladenen Themas wirkte diese Frau auf mich so gefestigt, in sich ruhend und sehr authentisc­h in ihrem Anliegen.
Kundgebung Gewalt gegen Frauen, 2012 Am 25.11. wird jährlich der „Internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen“begangen. Ich traf meine Protagonis­tin im Kreise ihrer Mitstreite­rinnen am Abendvor meiner Haustür auf dem Altonaer Alma-Wartenberg-Platz. Die Frauen trugen Fackeln oder Laternen, weitere Lichtquell­en gab es nicht. Trotz oder gerade wegen dieses emotional geladenen Themas wirkte diese Frau auf mich so gefestigt, in sich ruhend und sehr authentisc­h in ihrem Anliegen.

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