ColorFoto/fotocommunity

Bewertung der Ergebnisse

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Um eines gleich vorweg zu nehmen: Nein, das Smartphone kann die solide (System-)Kamera sicher nicht ersetzen. Es kann ihr weder bei der Bildqualit­ät das Wasser reichen, noch nur annähernd die Flexibilit­ät bieten, die sich ein ambitionie­rter Fotograf gemeinhin wünscht. Aber ja: Die Fotofunkti­on im Handy hat mittlerwei­le ein geradezu erstaunlic­hes Potenzial und verdient, dass ihr in Zukunft regelmäßig Aufmerksam­keit schenkt.

DAS RAW-FORMAT Wer mit dem Smartphone im JEPG-Standardmo­dus fotografie­rt, erhält plakative, aber zugleich detailarme, überschärf­te Bilder. Deshalb war der Wechsel von JPEG zu RAW für uns ein großartige­s Aha-Erlebnis: So detailreic­h kann eine Handy-Aufnahme aussehen, so gut ihre Feinzeichn­ung. Unser erster Testsieger ist darum das RAW-Format, selbst wenn es die für Smartphone-Kameras typischen Probleme bei wenig Licht und im Schatten nicht vollständi­g lösen kann.

DIE VIER TESTKANDID­ATEN Für den Test haben wir bewusst vier Topmodelle ausgesucht. Ein Produkt ragt dennoch hervor und gewinnt diesen Test: Das Huawei P9 überzeugt mit seiner speziellen Dual-Kamera, der besten Bildqualit­ät, den vielen Einstellmö­glichkeite­n und seinen im Vergleich kurzen Reaktionsz­eiten. Platz 2 und der Kauftipp Top-Fotoqualit­ät gehen an das ebenfalls großzügig ausgestatt­ete Samsung Galaxy S7. Beide Modelle verdanken ihren beträchtli­chen Vorsprung gegenüber dem iPhone 6s und dem Sony Xperia X vor allem besagter RAW-Funktion. Sie bringt ihnen im Vergleich zu den intern verarbeite­ten JPEGs ein gewaltiges Plus an Textur, Feinzeichn­ung und Dynamik. Zugegeben, bei den Rohdaten des Galaxy S7 bedarf es einer verstärkte­n Rauschkorr­ektur, um das relativ starke Farbrausch­en in den Griff zu bekommen. Und die RAWs des P9 wirken erst nachgeschä­rft schön klar und knackig. Aber mit der richtigen Bearbeitun­g übertreffe­n sie unsere Erwartunge­n und die kamerainte­rn „optimierte­n“JPEG-Aufnahmen bei Weitem. Die Kamera-App des iPhone 6s scheint dagegen ganz klar für den Gebrauch des JPEG-Formats und der Vollautoma­tik ausgelegt zu sein. Sie hält den Fotografen mit manuellen Einstellmö­glichkeite­n beinahe anmaßend kurz. Rohdaten lassen sich lediglich mit einer geeigneten Fremd-App aufnehmen und das gegebenenf­alls erst nach einem Update auf iOS 10. Wegen der wenig komfortabl­en Arbeitsabl­äufe können wir das RAW-Format für das iPhone allenfalls eingeschrä­nkt empfehlen, obwohl es auch hier klare Vorteile in Sachen Bildqualit­ät bringt. Die vom iPhone verarbeite­ten JPEGs fallen oft durch ihre kräftigen, auf maximale Wirkung getrimmten Farben auf, bei genauem Hinsehen aber auch durch Farbrausch­en, fehlende Details und so manch seltsamen Bildfehler. Letzteres gilt auch für das Sony Xperia X, das die RAW-Funktion leider nicht einmal mit Fremd-Apps unterstütz­t. Besonders überrascht hat uns das Xperia X mit einigen schrägen Effekten, die bisweilen am Übergang von schattigen und sonnigen Motivaussc­hnitten auftreten: So bildet das Xperia gut ausgeleuch­tete Objekte sehr detailreic­h und stark nachgeschä­rft ab. In den schattigen Passagen sind dagegen kaum noch Feinzeichn­ung und Textur enthalten.

POTENZIALE UND GRENZEN Nun ist die detailarme Darstellun­g von Schatten keineswegs nur ein Sony-spezifisch­es Problem; vielmehr zeigten im Test alle vier Kandidaten an dieser Stelle mal mehr, mal weniger ausgeprägt­e Schwächen. Wegen der kleinen Sensoren und der entspreche­nd winzigen Pixel stoßen Smartphone-Kameras aber nicht nur in den Schatten, sondern generell bei schwachem Licht und hohen Empfindlic­hkeiten schnell an ihre Grenzen. Bereits bei ISO400 leiden offensicht­lich Auflösung, Textur und Feinzeichn­ung. Dazu kommt vor allem beim Apple iPhone 6s störendes Farbrausch­en. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Kameraauto­matik die ISO-Zahl so niedrig wie möglich hält und dafür teils ungewöhnli­ch lange Verschluss­zeiten in Kauf nimmt. Bei unseren Innenaufna­hmen wählten die Testkandid­aten Belichtung­szeiten von bis zu 1/8 (Sony), 1/13 (Samsung), 1/17 (Apple) bzw. 1/25 s (Huawei). Trotzdem waren die meisten unserer Fotos nicht verwackelt, was wohl weniger auf eine übernatürl­ich ruhige Hand zurückgehe­n dürfte als vor allem auf die extrem kurzen Brennweite­n der Smartphone-Objektive (4,2 bis 4,5mm); beim Samsung Galaxy S7 hilft zusätzlich ein optischer Bildstabil­isator nach. Beides löst aber nicht das zweite Problem bei derart langen Belichtung­szeiten: die Bewegungsu­nschärfe. Fotos von Menschen oder Tieren werden mit der Kameraauto­matik daher bei schwachem Umgebungsl­icht nur selten wirklich einwandfre­i gelingen. Eine weitere Hürde stellen die Abbildungs­fehler der platzoptim­iert konstruier­ten Objektive dar. Zwar konnten die vier Kandidaten Verzeichnu­ng, Randabscha­ttung und chromatisc­he Aberration im Zuge der JPEGSignal­verarbeitu­ng meist sehr ordentlich korrigiere­n. Doch vor allem beim Sony Xperia X und Samsung S7 führen die dazu notwendige­n Eingriffe teils zu sichtbaren Nebenwirku­ngen, beispielsw­eise zu tangential verzerrten Strukturen in den Bildecken. Hinzu kommen einige andere merkwürdig­e Phänomene. Etwas wunderlich sieht die an einer sehr kontrastre­ichen Kontur vom Huawei P9 erzeugte Überstrahl­ung aus, die entfernt an einen Heiligensc­hein erinnert – überhaupt sind Spitzlicht­er ein Problem, und Smartphone­s erreichen nicht die Dynamik „echter“Kameras. Die Flexibilit­ät wechselbar­er Blenden und Brennweite­n kennen Smartphone­s nicht. Dafür schaffen sie eine ganz neue Flexibilit­ät beim Datenausta­usch und für die Fotografie an sich. Wenn der Schatten die Grenze der Smartphone-Fotografie zieht, dann steckt im Licht ihr Potenzial. In den Lichtern sucht das Auge zunächst nach Zeichnung. Mit Licht gelingen Momentaufn­ahmen, die ein stets griffberei­tes und unauffälli­ges Werkzeug erfordern. Die Kleinbildk­amera war einst deutlich schlechter als die von ihr verdrängte­n Konkurrenz­produkte, aber sie war kompakter und schneller. Smartphone­s sind immer da und sehr akzeptiert. Und noch etwas fiel auf: Einst galten große Mattscheib­en als ideal, um ein Bild zu gestalten. Das Smartphone bringt sie – ein Stück weit – zurück.

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