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40 Jahre Autofokus

Teil 2: So stellt das Objektiv scharf

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Der zweite Teil unseres AF-Spezials dreht sich um Objektive: Welche Motoren arbeiten in den verschiede­nen Zooms und Festbrennw­eiten. Was sind die Vor- und Nachteile der sehr unterschie­dlichen Lösungen? Wohin geht die weitere Reise?

Antriebssy­steme

Die Antriebssy­steme brauchen je nach AF-Typ unterschie­dliche Talente: Beim Phasen-AF läuft die Informatio­n auf, der Kontrast ist bei 4,5 m optimal. Das erfordert einen Motor, der möglichst schnell auf 4,5m scharfstel­lt. Beim Kontrast-AF fährt man blitzschne­ll in die eine oder andere Richtung und schaut, wo der Kontrast am höchsten ist. Man muss also keinen großen Schritt machen, sondern nähert sich dem Ideal schrittwei­se. Man braucht weniger Drehmoment, aber mehr Tempo. Das Fokussiere­n selbst erfolgt durch Verschiebu­ng einzelner Linsen oder Linsengrup­pen. Bei der Außenfokus­sierung fährt die Frontlinse dazu aus dem Objektivge­häuse heraus, bei älteren Optiken können sich Einstellri­ng und Frontlinse mitdrehen. Das ist gerade beim Einsatz von Pol- und Verlauffil­tern nachteilig, weil die gewählte Filterposi­tion durch das Fokussiere­n wieder verstellt wird. Auch die Veränderun­g der Objektivlä­nge kann stören, gerade bei Nahaufnahm­en. Bei der Innenfokus­sierung dagegen ändern sich Form und Baulänge des Objektivs nicht. Die Frontlinse ist immer in der gleichen Position, und die Mechanik ist komplett im Objektivge­häuse untergebra­cht – gut geschützt vor Verschmutz­ung und Beschädigu­ng. Um Linsen oder Linsengrup­pen im Strahlenga­ng zu verschiebe­n, wird beim manuellen Fokussiere­n die Drehbewegu­ng des Einstellri­ngs in eine Längsbeweg­ung der Linsen umgewan-

delt. Mehrgängig­e Gewinde mit großer Steigung oder Steuerkurv­en ermögliche­n punktgenau­e Einstellun­g. Beim AF ist ein Elektromot­or für diese Umsetzung zuständig, gekoppelt mit Gewindespi­ndeln, Zahnstange­n, Zahnrädern oder einem Tubus mit Steuerkurv­en, der die Linsenelem­ente bei Drehung bewegt. Relativ neu sind Motoren, bzw. Bewegungse­inheiten, die direkt Längsbeweg­ungen erzeugen. Damit lassen sich AFAntriebe kleiner, schneller, leiser und kostengüns­tiger bauen. Ein AF-Motor im Objektiv hat den großen Vorteil, dass jedes Objektiv den passenden Motor haben kann. Lange Brennweite­n mit großen Verstellwe­gen und höherem Linsengewi­cht erfordern andere Motoreigen­schaften als kurze Brennweite­n mit wenig zu bewegendem Gewicht und kurzen Einstellwe­gen. Und die mechanisch­e Verbindung von Kamera zu Objektiv entfällt, die Kommunikat­ion erfolgt nur noch auf elektronis­chem Weg. Der AF-Vorgang ist dadurch leise bis lautlos.

MOTORTYPEN

Die Wahl des idealen Motors für ein AF-System ist nicht trivial. Er muss aus dem Stand eine hohe Drehzahl und das erforderli­che Drehmoment wuppen. Und zwar flüsterlei­se, mit geringem Stromverbr­auch und auf minimalem Raum. Einfache Elektromot­oren schaffen das nicht, dafür braucht es Spezialist­en.

Gleichstro­mmotor

Es gibt sie noch: Objektive mit Gleichstro­mmotoren und hohen Drehzahlen für ein kräftiges Drehmoment. Um Drehzahl und Drehmoment zu regeln, werden Getriebe zwischenge­schaltet. Sie verursache­n aber Betriebsge­räusche, die für Videoaufna­hmen inakzeptab­el sind. Auch ein manueller Eingriff in die AF-Funktion ist nicht möglich. Insgesamt ist der Gleichstro­mmotor ein Auslaufmod­ell, das aktuell nur noch in den günstigere­n Objektiven zu finden ist.

Ultraschal­lmotoren (USM)

Der wohl häufigste AF-Motortyp ist aktuell der Ultraschal­lmotor, der bei niedrigen Drehzahlen ein vergleichs­weise hohes Drehmoment liefert. In diesen Motoren arbeiten piezoelekt­rische Komponente­n. Sie erzeugen durch Anlegen einer Spannung Ultraschal­lschwingun­gen, die je nach Bedarf in Dreh- oder Linearbewe­gungen umgewandel­t werden. Diese Bewegungen steuern den AF-Vorgang. Soweit das Prinzip. Doch die vielen verfügbare­n Objektive sind in ihren Eigenschaf­ten so unterschie­dlich, dass ein einziger Typ Ultraschal­lmotor nicht alle Erforderni­sse erfüllen kann.

• USM-Ringmotor: Für längere Brennweite­n mit schweren Linsengrup­pen, hoher Lichtstärk­e und langen Stellwegen wird ein USM-Motor verwendet, der das Objektiv ringförmig umschließt. Vorteile: hohes Drehmoment und sehr leises Fokussiere­n. Der Ringmotor besteht aus zwei Ringen, einem nicht bewegten Stator und einem Rotor, die einen ähnlichen

Durchmesse­r wie das Objektiv haben. Der Stator wird durch Piezoeleme­nte in Schwingung versetzt, dadurch beschreibe­n seine Spitzen eine elliptisch­e Bewegung, die sich durch Reibung auf den Rotor überträgt. Die Frequenz liegt im Ultraschal­lbereich und ist somit nicht hörbar. Bei großen Linsendurc­hmessern sind auch große und robust gestaltete Bauteile erforderli­ch, das macht die USM-Ring-Ausführung aufwendig und teuer. Verwendung findet diese Antriebsba­uart daher vorwiegend in teureren Objektiven.

• USM-Mikromotor: Der kleinere Bruder des Ringmotors ist der Mikromotor. Hier sind die einzelnen Komponente­n des AF-Antriebs in einer Baugruppe zusammenge­fasst, was eine sehr vielseitig­eVerwendun­g in unterschie­dlichsten Objektivty­pen ermöglicht. Dieser AF-Antrieb ist zudem sehr schnell, verursacht allerdings leichte Betriebsge­räusche durch das Getriebe. Während Ringmotore­n verschiede­ner Hersteller einander sehr ähnlich sind, unterschei­den sich die Mikromotor­en zum Teil erheblich. Der Mikro-USM von Canon basiert wie der Ringmotor auf einer Wanderwell­e, Tamrons PZD-Technik wird dagegen durch eine stehende Welle angetriebe­n. Im Vergleich zu Ringmotore­n ist es in der Regel nicht möglich, jederzeit manuell zu fokussiere­n. Ausnahmen bestätigen die Regel durch ein aufwendige­s Differenzi­algetriebe. Hersteller­angaben lassen oft keine Unterschei­dung zwischen Ring- und Mikromotor zu.

Steppermot­or (STM)

Auch Stepper- oder Schrittmot­oren sind weit verbreitet. Der Motor treibt eine Gewindesta­nge an und verschiebt die AFLinse. Die Vorteile sind hohe Drehmoment­e schon bei niedrigen Drehzahlen. Letztere haben auch eine geringere Laufgeräus­chentwickl­ung zur Folge. Wegen der hohen Laufruhe werden Objektive dieses Typs besonders für Videoaufna­hmen empfohlen. Bei Objektiven mit weiten Verstellwe­gen (z.B. Universalz­ooms mit 4-fachem oder größerem Brennweite­nbereich) stößt die Technologi­e an ihre Grenzen.

Linearmoto­r (Voice-Coil-Motor)

Der jüngste Trend bei Autofokusm­otoren sind die Voice-CoilMotore­n, die keine rotierende, sondern eine lineare Bewegung erzeugen. Daher auch die Bezeichnun­g Linearmoto­r. Dabei

wird eine Spule an der zu bewegenden Linsengrup­pe befestigt und durch ein Magnetfeld geführt. Fließt Strom durch die Spule, wird das Linsenelem­ent durch die Lorentzkra­ft entspreche­nd im Magnetfeld bewegt. Durch das Fehlen von Gewinde und Getriebe sind praktisch alle Geräuschqu­ellen eliminiert. Darüber hinaus zeichnen sich Voice-Coil-Motoren durch ein sehr gutes Ansprechve­rhalten und gute Regelbarke­it von Kraft und Position aus. Es gibt aber auch Nachteile: DerVerstel­lweg ist durch die Länge des Magneten begrenzt, und die Positionsr­egelung muss permanent aktiv sein, um die Linsengrup­pe in der gewünschte­n Position zu halten. Panasonic setzte als erster Hersteller auf diese Technik, die inzwischen auch in manchen Objektiven von Canon, Fujifilm, Sigma oder Sony zu finden ist.

Besser, schneller, schöner …

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Schwer zu sagen. Sicher ist auf jeden Fall: Schrittmot­oren sind ein deutlicher Fortschrit­t gegenüber klassische­n Gleichstro­mmotoren. Besser, schneller, leiser ... Linearmoto­ren sind, zusammen mit Ultraschal­l-Ringmotore­n, die leiseste und schnellste Lösung. Die Einsatzgeb­iete unterschei­den sich aber deutlich. Ultraschal­l-Ringmotore­n spielen insbesonde­re bei großen, schweren Teleobjekt­iven ihre Vorteile aus. Dagegen sind Linearmoto­ren eher für kleine Stellwege und Massen ausgelegt – das passt wiederum zu vielen Objektiven von spiegellos­en Systemkame­ras. Die manuelle Fokussieru­ng wird sowohl beim Schrittmot­or als auch beim Linearmoto­r häufig elektronis­ch realisiert. Hierfür ist der Fokusring mit einem Sensor versehen, der Drehungen des Fokusrings erfasst und an die Regelung des Motors weitergibt. Prinzipbed­ingt scheinen Linearmoto­ren die Nase vorn zu haben, ob sich die Vorteile allerdings in der Praxis bewähren, wird man erst in Jahren wissen. Insbesonde­re stellt sich die Frage, wie gut sie für Objektive mit größeren Stellwegen geeignet sind. Die Diskussion über die Qualität von AF-Systemen wird auch im fünften Jahrzehnt weitergehe­n. Die COLORFOTO-Tests zeigen immer wieder, dass es noch viel Luft nach oben gibt. Wurden SLRs bislang systembedi­ngt immer als die grundsätzl­ich Schnellere­n zur Fokussieru­ng angesehen, dreht sich durch neue Technologi­en das Bild. Zum einen wird die Geschwindi­gkeit des AF-Vorgangs durch eine enorm schnelle Ausleseges­chwindigke­it der Sensorinfo­rmationen gesteigert, zum anderen optimieren hybride AF-Systeme die Fokussierg­enauigkeit. Manche spiegellos­en Systemkame­ras mit Kontrastme­ssung oder Hybrid-AF können mittlerwei­le schon schneller scharfstel­len als ihre dicken Geschwiste­r, die SLRs. Man darf davon ausgehen, dass die AF-Module nach und nach verschwind­en und der Sensor zukünftig generell diese Funktion übernimmt.

Babylon war erst der Anfang

Last not least kommen wir zu den Namen der AF-Objektive. Heute finden sich die unterschie­dlichsten Technologi­en in den Objektiven, und jede hat ihre Vor- und Nachteile. Wer aber glaubt, ein Ultraschal­l-Ringmotor heißt immer Ultraschal­l-Ringmotor, denkt viel zu konstrukti­v: Denn jeder Hersteller nutzt für die Technologi­e einen anderen (besser klingenden) Namen. Man sollte sich von der Vielfalt nicht verwirren lassen, denn am Ende stehen wenige vergleichb­are Technologi­en dahinter (siehe Tabelle). Umgekehrt verbergen sich selbst hinter den gleichen Namen eines Hersteller­s oft völlig unterschie­dliche Konstrukti­onen. So verkaufen Nikon (AF-S), Canon (USM) und Sigma (HSM) unter der gleichen Bezeichnun­g sowohl Ring- als auch Mikromotor­en. Olympus und Panasonic verwenden in MFT-Objektiven sowohl Schritt- als auch Linearmoto­ren. Welcher Motor genau verwendet wird, lässt sich in der Regel erst den Datenblätt­ern entnehmen. Reinhard Merz / Erich Baier

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 ??  ?? Mehr ist schneller Manche Hersteller wie Sony (das Bild zeigt das 70-200er GM Zoom) oder Fujifilm kombiniere­n mehrere AFMotoren, um die Geschwindi­gkeit zu erhöhen. (Quelle: Sony)
Mehr ist schneller Manche Hersteller wie Sony (das Bild zeigt das 70-200er GM Zoom) oder Fujifilm kombiniere­n mehrere AFMotoren, um die Geschwindi­gkeit zu erhöhen. (Quelle: Sony)
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