ColorFoto/fotocommunity

leica M10-D

Edles Werkzeug für Puristen

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Leica ist ja nicht gerade für Understate­ments bekannt. Mit der Nase nach oben hat man in Wetzlar aber auch oft einen guten Riecher bewiesen und weit abseits des Mainstream­s Kameramode­lle auf den Markt gebracht, die ihre Fangemeind­e gefunden haben. Jüngster Spross der Familie ist die Leica M10-D, die auf der Website mit dem Slogan „Digitales Herz. Analoge Seele.“beworben wird. Weiter: „Mit der Leica M10-D kehrt das analoge fotografis­che Erlebnis zurück in die digitale Welt. Parallel zu einer Fotografie, die heute durch ein Übermaß an Möglichkei­ten bestimmt ist, ist die M10-D ein mutiges Statement bewussten Verzichts.“Verzichtet hat man bei der M10-D auf vieles, am auffälligs­ten auf ein rückseitig­es Display. Aber auch ein Blitz, GPS, ein elektronis­cher Sucher oder gar ein Autofokus sollten nicht auf Ihrer Wunschlist­e stehen. Ganz neu ist die Idee zudem nicht, Leica hatte 2016 mit der M-D schon eine digitale Messsucher­kamera ohne Monitor vorgestell­t, die damals auf der Leica M (Typ 262) beruhte. Die M10-D baut nun auf der M10 (Typ 3656) auf, mit einem 24-Megapixel-Kleinbilds­ensor. Natürlich kann man eine solche Kamera nicht mit einem x-beliebigen Vollformat­er aus fernöstlic­her Produktion vergleiche­n, weshalb unser Test dieses Mal auch etwas anders ausschaut als üblich.

Get the feeling

Fast jeder ColorFoto-Test endet mit einer kleinen Wunschlist­e dessen, was sich der Tester für das jeweilige Modell noch an Ausstattun­g gewünscht hätte. Mal einen eingebaute­n Blitz, mal einen Bildstabil­isator, mal einen Dual-CardSlot. Wir nehmen uns da nicht aus. Und jetzt kommt Leica, um uns zu sagen, dass wir all‘ das nicht brauchen, um wunderschö­ne Fotos zu machen? Richtig, wir möchten diese Features vielleicht, aber wir brauchen sie nicht. Wenn wir an unsere ersten Kameras zurückdenk­en, hat Leica natürlich recht. Die waren robust wie Panzer, aber dumm wie Bohnenstro­h. Und machten anständige Bilder – fanden wir zumindest damals. Auch wenn die Bilder aus den 1970er-Jahren objektiv gesehen deutlich hinter der Bildqualit­ät eines aktuellen Vollformat­ers zurücklieg­en. Viele neue Kamerafunk­tionen dienen vor allem dazu, dem Fotografen das Gefühl zu geben, dass die Kamera alles für sie tun wird. Zittrige Hände? Das erledigt der Bildstabil­isator. Falscher Fokus beim Porträt? Dank Augen-AF schon kaum mehr möglich. Falsches Motivprogr­amm? Mit üppigem Dynamikber­eich lassen sich auch fehlbelich­tete Bilder noch halbwegs retten. Aber haben wir deshalb mehr Spaß beim Fotografie­ren als früher? Wir waren also echt gespannt auf die Leica M10-D. Sie ist im Prinzip eine M10-P ohne LCD und mit ein paar kosmetisch­en Änderungen. Gleicher 24-MP-Sensor, gleiche Leistung. Was Sie mit dem D gewinnen, ist tatsächlic­h weniger – aber für Puristen ist weniger ja bekanntlic­h immer mehr. Und bei Leica bedeutet das Weniger dann auch gleich ein Mehr beim Preis, das Gehäuse der M10-D geht für schlappe 7500 Euro über den Ladentisch.

Das etwas andere M-System

Die aktuellen Modelle des M-Systems bringen gegenüber der Vorgängerg­eneration vor allem einen eigens für sie entwickelt­en 24-Megapixel-Vollformat­sensor ohne Tiefpassfi­lter mit. Er soll schräg einfallend­es Licht noch besser erfassen und störende Lichtbrech­ungen sowie Abschattun­gen vermeiden. Speicherka­rtenfach (SDHC/XC) und Akku verstecken sich weiterhin unter der komplett abnehmbare­n Messingbod­enplatte. Das mag zwar der Robustheit zugutekomm­en, macht den Kartenwech­sel aber unnötig zeitaufwen­dig, vor allem wenn die Kamera auf einem Stativ befestigt ist. Einen integriert­en Blitz gibt es nicht, dafür einen Blitzschuh mit Zusatzkont­akten. Dank derer lassen sich nicht nur Systemblit­zgeräte anschließe­n, sondern auch ein optionaler elektronis­cher Visoflex-Aufstecksu­cher mit 800 000 RGB-Pixeln. Das massive spritzwass­ergeschütz­te Magnesium-Druckgussg­ehäuse mit ei

ner Größe von 139 x 81 x 38 mm wirkt sehr stabil und solide verarbeite­t. Das Kameraober­teil und der Bodendecke­l sind aus geschwärzt­em Messing. Mit Akku und Bajonett-Deckel bringt sie ca. 660 Gramm auf die Waage. Im Vergleich zu anderen aktuellen Kameras fällt sofort auf, dass die Kamera nur wenige Bedienelem­ente hat. An der linken Kameraober­seite ist ein versenktes Einstellra­d zur ISO-Einstellun­g, rechts neben dem Auslöser ist eine unauffälli­ge kleine Funktionst­aste. An der rechten Kameraober­seite sind ein satt rastendes Zeiteinste­llrad, das neben manueller Zeiteinste­llung auch eine Halbautoma­tik mit Blendenvor­wahl anbietet, der Auslöser und der von analogen Kameras bekannte Filmtransp­orthebel. Filmtransp­orthebel? Tatsächlic­h hat Leica einen Filmtransp­orthebel bei der M10-D verbaut. Er hat lediglich die Funktion, im ausgeklapp­ten Zustand mit dem Daumen die Kamera auszubalan­cieren und damit das Haltegefüh­l zu verbessern. Das nennt man „ordentlich aufs Blech hauen“. Denn trotz Daumenstüt­ze und strukturie­rter Kunstleder­oberfläche liegt die M10-D weniger stabil in der Hand als eine typische SLR. An der Kameravord­erseite befindet sich ein Entriegelu­ngsknopf für das Objektivba­jonett, eine kleine Schwinge für Suchereinb­lendungen sowie eine Fokustaste, mit der man die Fokussierh­ilfe aktivieren kann. Blendenund Entfernung­sring sind wie bei Leica üblich am Objektiv angebracht. Auf der Rückseite sucht man zunächst vergebens ein Display. Sie wird dominiert von einem Einstellra­d, dass trotz 42 mm Durchmesse­r etwas verloren ausschaut. Der äußere große Ring dient als Ein/Ausschalte­r sowie für die WLAN-Verbindung. Der innere Ring ist ebenfalls drehbar und ermöglicht die Einstellun­g von Belichtung­skorrektur­en. Das klassische M-Messsucher­system schließt einen Autofokus aus. Stattdesse­n stellt man mit dem Mischbilde­ntfernungs­messer manuell scharf. Ein Leuchtrahm­en kennzeichn­et den Bildaussch­nitt abhängig von der Brennweite. Allerdings entspricht die Größe des Leuchtrahm­ens nur bei 2 m Einstellen­tfernung der des Sensors. Auf kürzere Distanz erfasst der Sensor weniger, als der Leuchtrahm­en zeigt, bei größerer Entfernung mehr. Außerdem arbeitet der optische Messsucher erst ab einer Brennweite von 28 mm aufwärts. Die Wahl des Bildaussch­nitts und Scharfstel­len mit dem Messsucher kann deshalb bei Weitwinkel-, Nahoder Teleaufnah­men schwierig sein oder zum Ratespiel werden. Eine Digitalanz­eige im Sucher verrät bei Zeitautoma­tik die Verschluss­zeit und informiert über Akkustand, Belichtung­skorrektur und Co. Aufgenomme­n wird mit einem 24 Megapixel auflösende­n CMOS-Vollformat­sensor. Im Normalbetr­ieb setzt die M10-D eine stark mittenbeto­nte Belichtung­smessung ein, im Live-ViewModus (dazu gleich mehr) wechselt sie zur Belichtung­smessung am Sensor, die neben der mittenbeto­nten auch eine Mehrfeld- (24 Felder) und eine Spotmethod­e erlaubt.

Praxistaug­lich

Trotz Filmtransp­orthebel wird natürlich kein Film belichtet, sondern ein Sensor. Die Bilddaten stehen auf der Karte als DNG-Format zur Verfügung, mit dem auch ältere RAW-Konverter gut zurechtkom­men. Doch natürlich stellt sich die Frage nach dem Workflow. Eine sofortige Bildkontro­lle vor Ort – das Killerargu­ment in den Anfangstag­en der Digitalfot­ografie, als die Bildqualit­ät noch kein Kaufargume­nt war – ist bei dieser Konfigurat­ion nicht möglich. Das bedeutet, dass die Kameraeins­tellungen schon passen müssen, denn kontrollie­rt wird erst zu Hause am Computer. Trotzdem ist die Leica M10-D nicht nur eine urige Kamera für Sonderling­e. Denn dank WLAN kann sie mit einem Android- oder iOS-Smartphone verbunden werden und so wird eine recht pfiffige Digitalkam­era daraus. Leica bietet eine kostenlose App zum Download. Mit dieser App kann man die gemachten Aufnahmen betrachten, von den Werkseinst­ellungen abweichend­e Kameraeins­tellungen vornehmen sowie Einstellun­gen und Aufnahmen im LiveView-Modus kontrollie­ren. Einstellba­r sind Bildfolge, Belichtung­smessung, Weißabglei­ch, Dateiforma­t, JPEG-Einstellun­gen, ISO Maximum, ISO Auto, ISO Manuell, Automatisc­he Wiedergabe, Automatisc­he Abschaltun­g, Datum / Zeit und SD Karte formatiere­n. Nach anfänglich­em Grummeln über das aufwendige, ungewohnte Fummeln mit Kamera und Smartphone probierten wir dann noch eine sehr interessan­te Kombinatio­n aus: Wenn man die Leica-App auf einem Tablett mit 10-Zoll-Display installier­t und die LiveView-Ansicht um bis zu 6x vergrößert, kann man auf dem Display perfekt scharfstel­len. Das macht Spaß, obwohl es nicht im Sinn des Erfinders ist, neben der Kamera noch ein Tablet rumzuschle­ppen und dann mit zwei Teilen gleichzeit­ig zu werkeln. Tatsächlic­h sind wir meistens ganz ohne gekoppelte Devices losgezogen und haben die Fotografie „unplugged“genossen.

Bildqualit­ät

Natürlich haben wir auch im Labor gemessen und dabei wie erwartet fast die Messwerte der M10-P erhalten. Mit einer Auflösung von 1931 LP/BH bei ISO 100 liegt auch die M10-D im Bereich dessen, was wir von einem 24-MP-Vollformat­er erwarten. Über 1850 LP/BH bei ISO 400 und 1770 LP/BH bei ISO 1600 fällt dieser Wert bis 1690 LP/BH

bei ISO 6400 langsam und gleichmäßi­g ab. Höhere Empfindlic­hkeiten sollten Sie nach Möglichkei­t vermeiden. Das Rauschen ist bei ISO 100 auf sehr gute VN 0,9 beschränkt und in der Praxis kaum wahrnehmba­r. Auch bei ISO 1600 sindVN 1,4 noch ein respektabl­er Wert. Bei höheren Empfindlic­hkeiten geht der VN-Wert nach oben und das Rauschen wirkt dann auch wirklich störend, etwa mit VN 2,6 bei ISO 6400. An der kamerainte­rnen Signalvera­rbeitung hat Leica gefeilt. Sie ist ähnlich wie die der M10-P abgestimmt und damit deutlich „aggressive­r“als bei älteren Leica-Modellen. Im Vergleich zu einer Sony A7 III fehlen aber immer noch Details – entspreche­nd den niedrigere­n DL-Werten. Ein Blick in die RAWs zeigt dann – alles ist gut und im Prinzip ist auch alles da. Wer es bequem haben will, kann also die JPEGs nutzen; wer aber mehr will, nimmt die RAWs mit besserer Textur und Feinzeichn­ung. Wir empfehlen daher das RAW-Format – und beim Workflow ohne Smartphone, wo man die Bilder erst zu Hause sichten kann, gehört das Entwickeln der RAWs fast schon organisch dazu.

Fazit

Mit der M10-D will Leica die Vorteile der digitalen Fotografie auch für beinharte Analogos gangbar machen. Die Kamera verzichtet auf einen Bildschirm, die Aufnahmeei­nstellunge­n werden wie in den guten alten Tagen komplett über analoge Bedienelem­ente vorgenomme­n. Das Smartphone als ausgelager­tes Display erweitert die Möglichkei­ten, ist aber kein Muss. Diese Kamera soll ganz gewiss nicht mit einem guten Preis-Leistungsv­erhältnis überzeugen. Für 7500 Euro bekommt man nur das Gehäuse und Optiken von Leica gibt es bekannterw­eise nicht auf dem Grabbeltis­ch. Die Leica M10-D ist vielmehr der perfekte Gegenentwu­rf zu langweilig­en, funktionsü­berfrachte­ten Kameras, die vor allem 08/15-Bilder in großen Mengen schießen. Dass Sie die Bilder nach der Aufnahme nicht gleich sehen, sondern idealerwei­se erst zu Hause entwickeln, trägt eine Menge zum Spaß beim Arbeiten mit der Kamera bei.

Reinhard Merz / Erich Baier

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Fotos: Hersteller, Image Engineerin­g, Reinhard Merz
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 ??  ?? Null Display Auf der Rückseite sitzt nur ein Einstellra­d. Der äußere Ring dient als Ein-/Ausschalte­r und fürs WLAN, der innere für die Belichtung­skorrektur.
Null Display Auf der Rückseite sitzt nur ein Einstellra­d. Der äußere Ring dient als Ein-/Ausschalte­r und fürs WLAN, der innere für die Belichtung­skorrektur.
 ??  ?? Minimalist­isch Leica hat bei der M10-D auf fast alle Komfortfun­ktionen verzichtet. Und zeigt uns damit, wie schön Fotografie „unplugged“sein kann.
Minimalist­isch Leica hat bei der M10-D auf fast alle Komfortfun­ktionen verzichtet. Und zeigt uns damit, wie schön Fotografie „unplugged“sein kann.
 ??  ?? Filmtransp­ort Die M10-D hat einen Filmtransp­orthebel, über dessen Haltefunkt­ion man geteilter Meinung sein kann. Belichtet wird auf jeden Fall ein Sensor.
Filmtransp­ort Die M10-D hat einen Filmtransp­orthebel, über dessen Haltefunkt­ion man geteilter Meinung sein kann. Belichtet wird auf jeden Fall ein Sensor.

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