PRAXIS – Tipps vom architekturfotografen:
Klaus F. linscheid zeigt, wie Sie Gebäude gekonnt in Szene setzen und welche ausrüstung Sie dazu brauchen.
Eine der spannendsten Aufgaben in der Fotografie ist die Architekturfotografie. Einerseits ist es ein Spezialgebiet, auf das sich viele Berufsfotografen fokussieren. Andererseits betätigt sich jeder Hobbyfotograf meist auch als Architekturfotograf – spätestens im Urlaub, wenn er Städte besichtigen und porträtieren möchte.
Architektur zählt zu den angewandten Künsten wie auch Grafikdesign, Industriedesign oder Modedesign. Von den letztgenannten Sparten unterscheidet sich die Architektur dadurch, dass Bauwerke immobil sind. Um sich „ein Bild“von einem Gebäude zu machen, muss man entweder zu dem Ort reisen, an dem es steht – oder ein Foto davon betrachten. Wenn Architekten ihr Schaffen publik machen wollen, sind sie auf Architekturfotografen angewiesen. Für Architekten stellt die visuelle Kommunikation in Form von Bildern also ein essenzielles Marketinginstrument dar. Dem Architekturfotografen fällt dabei die Aufgabe zu, das Bauwerk möglichst naturgetreu darzustellen.
Ein professioneller Architekturfoto graf arbeitet in erster Linie als Dienstleister des Architekten – zumin dest in der Auftragsfotografie. Sein Job ist es, den dreidimensionalen Raum eines Gebäudes auf einem zweidimen sionalen Bild erlebbar zu machen. Eine unverfälschte Sichtweise ist dabei eben so wichtig wie ein guter Blick dafür, was nicht mit aufs Bild soll. Störende Elemente, beispielsweise eine „hässli che“Nachbarschaft, gilt es dabei aus zublenden und auch alles andere, was den Blick des Betrachters auf sich zie hen könnte, aber nicht zum Gebäude gehört. Nicht immer gelingt das. Doch häufig ergibt sich durch wenige Schrit te zur Seite und die Wahl einer leicht veränderten Perspektive ein sehr viel besseres Bild. TIPP: Bei der Wahl eines geeigneten Standpunkts kann man sich fragen: Wie hätte ein Maler das Gebäude von dieser Stelle gemalt? Er würde sich nur
auf das Wesentliche konzentrieren und wahrscheinlich weder Mülltonnen noch auffällige Verkehrsschilder oder un passend geparkte Autos platzieren. Je näher man also dieser „Idealansicht“kommt, desto eher wird das Gebäude als Mittelpunkt der Bildaussage wahr genommen. Apropos Perspektive: Die Aufgabe ist, ein Bauwerk als Dienstleister möglichst unverfälscht abzulichten und so darzu stellen „wie es ist“. Dabei gelten selbst verständlich alle bekannten Regeln der Bildgestaltung – man kann einzelne Regeln aber natürlich auch bewusst brechen! Die Fotos dienen letztendlich nur einem Zweck: dem Marketing. Der Auftraggeber möchte mit den Re ferenzbildern neue Aufträge generie ren. Das gelingt nur, wenn sie die ge stalterische Absicht transportieren und eine positive Ausstrahlung haben. Selbst eine weniger gelungene Architektur lässt sich durch eine geschickte Stand ortwahl durchaus ansprechend darstel len. Umgekehrt lassen schlecht gestal tete Bilder auch die beste Architektur alt aussehen. Anders verhält es sich bei freien Arbei ten: beim Stadtporträt auf Reisen, bei Architekturfotos zu einem bestimmten Thema oder bei experimentellen Arbei ten im Allgemeinen. Hier hat der Foto graf allen nur denkbaren Gestaltungs spielraum – sei es die Einbeziehung von Gegensätzen in die Bildaussage, die Überhöhung der Perspektive oder die bewusste Konzentration auf Farben, Linien und Flächen. Das kann er in Ver bindung mit der anschließenden Bild bearbeitung sogar so weit treiben, dass das Gebäude durch Verfremdung nicht mehr erkennbar ist. Bei Auftragsarbei ten stehen also klar der Schöpfer der Architektur und sein Design im Vor dergrund, während bei freien Arbeiten der Fotograf der Künstler ist und das Motiv lediglich Mittel zum Zweck.
Große Fachkameras, die zu analo gen Zeiten in der Architekturfoto grafie Usus waren, haben heutzutage nahezu ausgedient. Diese Modelle sind zu schwerfällig, zu teuer, und sie bieten gegenüber Kleinbild oder Mittelformat kameras keine nennenswerten Vorteile. Durch moderne Tilt/ShiftObjektive beziehungsweise die nachträgliche Bild bearbeitung können wir heute all das erreichen, was in der analogen Foto grafie nur mit Großformatkameras und einer optischen Bank realisierbar war. Bei der Wahl eines geeigneten Kamera modells kommt es selbstverständlich auf die eigenen Ansprüche an. Berufs fotografen setzen hier meist andere Prioritäten als Hobbyfotografen. Wich tig sind möglichst verzeichnungsarme Objektive, denn gebogene Linien, die in Wirklichkeit gerade sind, haben in der Architekturfotografie nichts ver loren. Allerdings lassen sich viele Ver zerrungen inzwischen auch bei der Bildbearbeitung herausrechnen. Hin
derlich sind auch Cropfaktoren bei Ka meras, weil sie Aufnahmen mit dem WeitwinkelObjektiv erschweren. Ge eignete Brennweiten für formatfüllen de Abbildungen von Gebäuden liegen etwa zwischen 17 und 24mm (Klein bildäquivalent). Auf Teleobjektive mit Brennweiten über 200 mm kann man gut verzichten. Auch Objektive mit einer großen Of fenblende, die für Porträtfotografen unverzichtbar ist, bieten Architek turfotografen selten Vorteile. Wir wollen in der Regel eine große Bildschärfe und Detailtreue erreichen und arbeiten meist mit Blende 8 oder 11. Vorsicht jedoch mit noch kleineren Blenden! Ihre fortschreitende Beugungs unschärfe führt dann zu einem insge samt unschärferen Bild. Für das exakte Ausrichten der Kamera ist ein Stativ sehr nützlich. Für längere Belichtungszeiten in Innenräumen ist es sogar unverzichtbar. Sehr praktisch sind in diesem Zusammenhang Drei WegeNeiger, da sie die Nivellierung der Kamera erleichtern. Eine einge baute Wasserwaage (am besten in der Kamera) ist in diesem Zusammenhang empfehlenswert. Manchmal möchte man ein Panorama eines Gebäudeensembles aufnehmen oder ein Panoramabild aus mehreren Einzelaufnahmen von einer Fassade zusammensetzen, weil man die Kame ra nicht weit genug vom Gebäude ent fernt platzieren konnte. In diesem Fall ist ein spezieller Panoramakopf mit Nodalpunktadapter zu empfehlen. Da mit kann man ein oder mehrzeilige Panoramen einer Fassade oder eines Innenraumes erstellen. Die weitere Bearbeitung erfolgt dann mit einem einschlägigen Panoramaprogramm wie z. B. PTGui. Ein mit dieser Methode einhergehen der Vorteil ist eine sehr viel höhere Auflösung. Darüber hinaus gibt es wenig, was für einen Architekturfoto grafen überlebenswichtig ist.
Bildgestaltung ist immer wichtiger als Equipment. In der Architektur fotografie haben wir es oft mit Linien, Flächen und grafischen Elementen zu tun. Ein sorgsam arrangierter Bildaus schnitt hilft, dem Foto Ruhe und Stabi lität zu verleihen. Auch hierbei können wir Anleihen bei der Malerei machen: Würde ein Maler ein Fenster nur zum Teil darstellen, oder würde er etwa eine Laterne nur anschneiden? Wahr scheinlich nicht. Deshalb sollte man darauf achten, bildwichtige Elemente links und rechts im Bild nicht wahllos anzuschneiden, sondern bewusst zu platzieren. Wir sind es gewohnt, ein Bild von links nach rechts zu erfassen, weil wir auch so lesen. Daher sollte auch die Bildgestaltung dieser Rich tung folgen. Es gibt einen Bildanfang auf der linken Seite und ein Bildende rechts. Fenster oder Türen werden nicht irgendwo abgeschnitten, sondern sind in aller Regel vollständig zu sehen. Das verleiht dem Bild Ruhe und ver hindert, dass das Motiv „schwimmt“. Vor allem, wenn eine komplette Fassa de oder ein ganzes Gebäude zu sehen ist, braucht es genügend „Fleisch“an allen vier Rändern, damit das Motiv atmen kann. Lieber beim Fotografieren etwas zu viel Luft lassen – abschneiden kann man später immer noch. Bei symmetrischen Motiven ist die Zentralperspektive ein gerne verwen detes Stilmittel. Die Tiefe eines Raums lässt sich dadurch im Bild sehr gut ver mitteln. Hat man die Möglichkeit, sich
weit genug vom Motiv zu entfernen und ein Teleobjektiv einzusetzen, ver stärkt sich der Effekt noch. Der Raum wird verdichtet. Schränken keine beengten Platzver hältnisse die Wahl des geeigneten Ob jektivs ein, so sind wir freier, die ge wünschte Bildwirkung durch die Wahl der Brennweite zu unterstreichen. Tele objektive verdichten den Raum, Weit winkelobjektive verzerren an den Sei ten und lassen Räume größer wirken, als sie in Wirklichkeit sind. Auch die Höhe der Kamera beeinflusst die Bild wirkung extrem. Ein tiefer Kamera standpunkt lässt Gebäude gewaltiger erscheinen. Extrem kann man diesen Effekt bei Hochhäusern nutzen, wenn stürzende Linien bewusst eingesetzt werden, um Dynamik zu erzeugen. Aber auch hier gilt das Prinzip von Anfang und Ende. Stürzende Linien lassen sich im Bild bändigen, wenn sie beispielsweise diagonal verlaufen oder in einer Ecke aufgefangen werden statt irgendwo zu enden. Ansonsten sind stürzende Linien in der Architektur fotografie tabu. Man vermeidet sie, indem man die Kamera waagerecht hält, ein ShiftObjektiv verwendet oder nachher die Bildbearbeitung bemüht, um das Motiv wieder „aufzurichten“. TIPP: Fluchtlinien, die bewusst in einer Bildecke enden, sorgen für den nötigen Halt im Bild. Auch stürzende Linien können so gestaltet werden, dass sie etwa parallel zu einer Bildkante ver laufen. Das wirkt meist sehr grafisch.
Auf Reisen halten wir gerne die At mosphäre einer Stadt im Bild fest. Dazu gehören meist auch Häuser – völlig unabhängig davon, ob wir durch eine heimelige Altstadt schlendern oder ob wir moderne Architektur in London, Oslo oder Hamburg vor der Linse haben. Der andere, der unge wöhnliche Blickwinkel macht das gute Bild. Hier geht es nicht um eine ver meintlich „objektive“Darstellung von Architektur, sondern um genau das Gegenteil. Unsere subjektive Sicht, so wie wir die Stadt erleben, bringt prä sentable Bilder hervor. Wir verzichten also darauf, uns auf die vom Stadtmarketing angebrachten Fotopunkte zu stellen und Bilder zu machen, die schon Tausende anderer Besucher genauso aufgenommen haben. Wir suchen stattdessen lieber die alter
nativen Standpunkte, bringen Dinge in Zusammenhang, die so noch niemand gesehen hat und machen dadurch Bilder, die auch von Freunden bestaunt werden, die die Stadt zu kennen meinen. Dazu darf man auch ruhig einmal in die Hocke gehen oder auf ein Mäuerchen klettern! Wichtig sind die zahlreichen Details, die wir nur sehen, wenn wir bewusst durch eine Stadt gehen und auch ab und zu an den Fassaden der Häuser hinaufblicken. Hierbei ist es hilfreich, in Bildserien zu denken – besonders, wenn wir nach der Reise ein Fotobuch oder eine audiovisuelle Schau gestalten wollen. Überblickbilder (Totale) kom biniert mit mehr oder weniger kleinen Details bringen Abwechslung in das Bildmaterial. Wer mal das Weitwinkel und dann wieder die Telebrennweite verwendet, erhält schöne kleine Bild serien, die harmonischer und in sich ge schlossener wirken als einzelne Bilder ohne inhaltlichen Zusammenhang. Oft finden wir in einer Urlaubsregion regionaltypische Gebäude, die es Wert sind, porträtiert zu werden. Das kann die Lüftlmalerei im oberbayrischen Werdenfelser Land sein, charakteris tische Fachwerkhäuser, die es im Harz, in Hessen oder auch im Elsass gibt, oder die urigen reetgedeckten Bauern häuser in Friesland. Es ist nicht schwer, die typischen Stilelemente zu erken nen und die Aufmerksamkeit auf die mannigfaltigen Details zu lenken, statt stets das gesamte Gebäude zu fotografieren. So lernt man einerseits die Region besser zu verstehen und bringt gleichzeitig bessere Fotos mit nach Hause. Klaus F. Linscheid