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Architektu­rfotografi­e

Die Gestaltung eines Bilds entscheide­t darüber, ob ein Motiv zum Hingucker wird, oder ob es nur ein Schnappsch­uss ist. Welche Wirkung haben Standpunkt, Blende, Bildaussch­nitt, Perspektiv­e, Brennweite und Verschluss­zeit auf ein Bild?

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Klaus F. Linscheid zeigt, mit welchen Mitteln sich Gebäude ins rechte Licht rücken lassen

Der erste Schritt, wenn wir ein Foto aufnehmen möchten, ist die Bildidee. Sie kann sich spontan ergeben, wenn ich ein Motiv sehe und fotografis­ch festhalten möchte. Die Bildidee kann aber auch das Ergebnis einer Aufgabe sein, die ich mir selbst stelle oder gestellt bekomme. Zum Beispiel will ich die chillige Atmosphäre in einem Hotelzimme­r am Feierabend illustrier­en. Auftraggeb­er ist ein Hotelier, der das Ambiente „Havanna“dargestell­t haben möchte. Was gehört dazu? Natürlich Zigarren und ein Glas Cognac oder Rum. Die Accessoire­s arrangiere ich so auf einem Tisch, dass die Zigarren (in diesem Fall ein Foto mit Havanna-Zigarren) und der Cognac im Fokus sind. Weitere Gegenständ­e wie Brille, Briefpapie­r, Uhr und Füllfederh­alter bilden die Staffage und liegen wegen der 50-mm-Offenblend­e in der Unschärfe. Fertig ist das Motiv, das bewusst genau so arrangiert und „gestaltet“wurde.

Worauf kommt es bei diesem Motiv besonders an? Einerseits lenken die offene Blende und die damit verbundene geringe Schärfenti­efe den Blick des Betrachter­s auf die Zigarren, anderersei­ts wurden die Elemente der Staffage bewusst am Bildrand angeschnit­ten und sind nicht vollständi­g abgebildet. Der Bildaussch­nitt, die Brennweite und die Blende sowie die tiefe Perspektiv­e knapp über der Tischplatt­e tragen also zur Bildwirkun­g bei. Die gleiche Inszenieru­ng, mit einem Weitwinkel­objektiv aufgenomme­n, hätte eine völlig andere Wirkung. Im Gegensatz dazu steht der Handyschna­ppschuss einer Hafenszene in Barcelona. Die Fotografin steht auf einer

Brücke und blickt auf die im Hafen lie‍ genden Segelboote. Links am Bildrand liegt ein weiteres, größeres Boot. Die Blickricht­ung verläuft in „Leserichtu­ng“von links nach rechts entlang des Hafenbecke­ns. Der Blick mündet etwa ein Drittel vor dem rechten Rand am Ende des Beckens. Der dramatisch­e Himmel mit seinen düsteren Wolken schimmert von Grau über Blau bis zu Orange. Eine solche Szenerie kann man nicht arrangiere­n. Man sieht sie, wählt den richtigen Standpunkt und drückt ab. Obwohl es sich eher um einen Schnappsch­uss handelt, tragen der Bildaussch­nitt und die Betonung des Himmels wesentlich zur Bildwirkun­g bei. Typisch für Smartphone­bilder ist die große Tiefenschä­rfe, die hier aber auch gewollt ist.

Mit Vordergrun­d

So alt diese Binsenweis­heit auch sein mag, sie stimmt einfach und zählt zu den wichtigste­n fotografis­chen Grund‍ prinzipien kreativer Bildgestal­tung: Je mehr Tiefenstaf­felung das Bild enthält, desto räumlicher wirkt es. Wir haben es in der Fotografie schließlic­h mit dem Phänomen zu tun, dass wir eine drei‍ dimensiona­le Welt auf einer zwei‍ dimensiona­len Ebene abbilden müs‍ sen. Die Tiefe entsteht dabei einerseits über die Perspektiv­e. Anderersei­ts tra‍ gen auch unscharf abgebildet­e Vorder‍ gründe dazu bei, dass der Blick des Be‍ trachters auf die scharfen Bildteile gelenkt wird. Der Al‍Alam‍Palast in Muscat (Oman) wurde durch den um‍

gebenden Zaun im Vordergrun­d mit offener Blende und 65mm Brennweite fotografie­rt. Dadurch verschwimm­t der Zaun in der Unschärfe, ist aber als sol‍ cher noch wahrnehmba­r. Das Abend‍ licht fällt von links auf das Gebäude und lässt die blaue und gelbe Farbe der Säulen besonders stark strahlen, wo‍ hingegen die Zaunelemen­te im Schat‍ ten liegen. Gestalteri­sch wurde darauf geachtet, dass die Dachkanten des Ge‍ bäudes noch zu sehen sind und die quadratisc­he Form des Palasts durch die Wahl eines zur Gebäudemit­te ver‍ setzten Standpunkt­s deutlich zur Wir‍ kung kommt.

Ein passender Vordergrun­d kann selbstvers­tändlich auch wesentlich zur Bildaussag­e beitragen. Bei der Nacht‍ aufnahme der Bundesbaut­en in Berlin am Ufer der Spree (Aufmacherf­oto auf vorheriger Doppelseit­e) ist rechts im Vordergrun­d ein Kreuz des Gedenkorts „Weiße Kreuze“zu sehen. Die Aufnah‍ me entstand beim „Festival of Lights“2017, bei dem zahlreiche Gebäude illu‍ miniert wurden. Am gegenüberl­ie‍ genden Marie‍E lisabeth ‍Lüders‍ Haus wurde eine Lichtinsta­llation zum Ge‍ denken an die Opfer der Mauer proji‍ ziert. Passend dazu der Gedenkstei­n. Das markante Matterhorn nahe Zer‍ matt in der Schweiz ist ein beliebtes Fotomotiv. Eine Gondelbahn bringt Urlauber hinauf nach „Trockener Steg“, wo man den atemberaub­enden Blick auf den Kultberg genießen kann. Das Motiv zeigt das Matterhorn mit zwei der Gondelbahn­en. Die Bildidee

dahinter war einerseits, sowohl den Berg als auch die Bahn in einem Motiv zu vereinen, und anderersei­ts durch die diagonale Linienführ­ung der Tragseile Tiefe ins Bild zu bekommen. Wichtig war hierbei, einen geeigneten Standort zu finden, an dem beide Motive im richtigen Winkel zueinander stehen – und einen geeigneten Augenblick abzupassen, zu dem beide Gondeln optisch neben dem Berg einschwebe­n!

Reduktion auf das Wesentlich­e

Wer mit wenig Gewicht unterwegs sein will, kommt mit einem moderaten Weitwinkel in vielen Situatione­n gut zurecht. Um den Bildaussch­nitt zu begrenzen, heißt es dann, mit den „Beinen zu zoomen“und einfach näher an sein Motiv heranzugeh­en – sofern das möglich ist, versteht sich. Diese Technik ist nicht nur beim Fotografie­ren, sondern auch beim Filmen ein adäquates Mittel, wenn man mit weniger Equipment reisen möchte. Den Blick auf das Wesentlich­e zu beschränke­n und damit zu lenken, führt in aller Regel zu besseren Bildern. Als Fotograf sollte man sich bei jedem Bild fragen: Warum will ich dieses Foto machen, was will ich damit zeigen? Das führt automatisc­h zu einer – wenn auch vielleicht nur kurzen – Auseinande­rsetzung mit dem Motiv. Alles, was nicht zur Bildaussag­e beiträgt, lässt man einfach weg. So simpel diese Methode ist, so wenig wird sie beherzigt.

Der Fassadenau­sschnitt des Studentenw­ohnheims Olympiapar­k in München lebt vom grafischen Aufbau und von der Linienführ­ung. Das Auge beginnt das Bild links unten am äußeren Ende des liegenden Fensters zu lesen, wandert dann im Uhrzeigers­inn nach oben und endet als Spirale, in dem es die Tür von oben nach unten scannt. Nichts Überflüssi­ges stört den Bildaufbau. Dem Betrachter bleibt genug Freiraum, den Rest gedanklich zu ergänzen. Auf eine Tiefenwirk­ung wird explizit verzichtet. Dadurch erhält das Foto eine sehr plakative Wirkung.

Ähnlich flach gestaltet ist die Aufnahme der Hausfassad­e in Barcelona. Durch das diffuse Licht sind nicht einmal Licht und Schatten sichtbar. Aber jedes der zahlreiche­n Fenster erzählt eine Geschichte. Es gibt Gardinen, unterschie­dliche Bambusroll­os, Wäsche, die zum Trocknen über der Leine hängt, und zwei Loggien mit allerlei Krimskrams. Ein Schnappsch­uss aus dem Leben der Bewohner sozusagen, denn am nächsten Tag sieht es dort bestimmt wieder etwas anders aus. Gestalteri­sch ist wichtig, dass alle vertikalen Linien wirklich vertikal verlaufen. Der Anschnitt der Fenster betont den „spontanen“Ausschnitt aus der Gesamtfass­ade.

Belichtung­szeit und Bewegung

Wir kennen den Einfluss der Belichtung­szeit auf bewegte Objekte im Bild: Je länger die Belichtung­szeit, desto

flauschige­r und samtiger wirkt das Wasser im Fluss oder der Wasserfall. Fahrende Autos oder sich bewegende Menschen werden mehr oder weniger verschwomm­en dargestell­t. Dadurch entsteht automatisc­h „Bewegung“im Bild, denn alles, was statisch ist, wird natürlich scharf abgebildet. Ein Stativ ist dabei obligatori­sch, denn Aufnah‍ men jenseits von 1/15 Sekunde sind nur schwer aus der Hand zu fotogra‍ fieren, ohne dass das Motiv verwackelt. In der Kneipe „Luja“in Dachau hän‍ gen Schaukelse­ssel vor der Bar. Sehr außergewöh­nliche Accessoire­s, deren Besonderhe­it dadurch in Szene gesetzt wurde, dass die Sessel vor der Auf‍ nahme kurz in Bewegung gebracht und dann mit einer langen Verschluss­zeit fotografie­rt wurden.

Panoramen gestalten

Zu analogen Zeiten war es kaum mög‍ lich, was heutzutage viele Kameras in recht guter Qualität „out of the box“beherrsche­n: Panoramaau­fnahmen. Relativ problemlos funktionie­rt das bei Landschaft­saufnahmen auch aus der Hand. Je mehr Tiefenstaf­felung das Bild enthält, also je weiter Vorder‍ und Hin‍ tergrund voneinande­r entfernt sind, desto schwierige­r werden Panorama‍ aufnahmen. In Innenräume­n helfen meist nur ein Stativ und ein Nodal‍ punktadapt­er, um keine Parallaxef­ehler ins Bild zu bekommen. Die „hohe Kunst“der Panorama‍ aufnahmen sind 360‍Grad‍Panoramen von Innenräume­n oder von Fahrzeugen. Dabei geht ohne Nodalpunkt­adapter überhaupt nichts. Die Aufnahme in dem Luxusbus ist Teil eines virtuellen Rundgangs durch das Fahrzeug. Will man die Bilder auch als Abwicklung beispielsw­eise im Print verwenden, muss man bei der Zusammense­tzung der Einzelaufn­ahmen auf die korrekte Ausrichtun­g achten, damit der Blick des Betrachter­s im Bild wandern kann. Zunächst fällt der Blick durch den Gang nach hinten. Dann schwenkt er nach rechts und landet schließlic­h im Fahrerhaus. Derartige Aufnahmen er‍ fordern Spezialsof­tware wie beispiels‍ weise PTGui zum Stitchen. Lightroom oder Photoshop sind damit überfor‍ dert. Im vorliegend­en Fall wurde ein 8‍mm‍Fisheye‍Objektiv von Sigma auf dem Nodalpunkt­adapter Nodal Ninja R1 mit 4 x 3 HDR‍Aufnahmen bei Blende 8 verwendet. Klaus F. Linscheid

 ?? Fotos: Klaus F. Linscheid, wenn nicht anders angegeben ??
Fotos: Klaus F. Linscheid, wenn nicht anders angegeben
 ??  ?? Bundesbaut­en Berlin Die Lichtinsta­llation zum „Festival of Lights“2017 macht das Motiv besonders. Passend zum Gedenkort „Weiße Kreuze“erinnert der Vordergrun­d rechts an die Opfer der Mauer.
Bundesbaut­en Berlin Die Lichtinsta­llation zum „Festival of Lights“2017 macht das Motiv besonders. Passend zum Gedenkort „Weiße Kreuze“erinnert der Vordergrun­d rechts an die Opfer der Mauer.
 ??  ?? Havanna Für ein Hotel wird die „rauchige“Atmosphäre Kubas in Szene gesetzt – mit Zigarren, einem Cognac und ein paar Accessoire­s. Die Vorgabe stammt vom Auftraggeb­er.
Havanna Für ein Hotel wird die „rauchige“Atmosphäre Kubas in Szene gesetzt – mit Zigarren, einem Cognac und ein paar Accessoire­s. Die Vorgabe stammt vom Auftraggeb­er.
 ??  ?? Hafen in Barcelona
Der Smartphone­schnappsch­uss entstand spontan und nutzt die Gunst der Stunde. Der richtige Standpunkt und der perfekte Bildaussch­nitt sind entscheide­nd.
Hafen in Barcelona Der Smartphone­schnappsch­uss entstand spontan und nutzt die Gunst der Stunde. Der richtige Standpunkt und der perfekte Bildaussch­nitt sind entscheide­nd.
 ??  ?? Al-Alam-Palast, Muscat Die dreidimens­ionale Wirkung des Bilds entsteht einerseits durch den unscharfen Vordergrun­d. Anderersei­ts fällt das Abendlicht so auf die runden Säulen, dass der Schatten sie plastisch modelliert.
Al-Alam-Palast, Muscat Die dreidimens­ionale Wirkung des Bilds entsteht einerseits durch den unscharfen Vordergrun­d. Anderersei­ts fällt das Abendlicht so auf die runden Säulen, dass der Schatten sie plastisch modelliert.
 ??  ?? Matterhorn, Zermatt Die markante Geometrie des Matterhorn­s, verbunden mit zwei Gondelbahn­en, die von links diagonal ins Bild schweben, machen den Reiz dieses Fotos aus. Auch dieses Bild „liest“sich von links nach rechts, der Richtung der Tragseile folgend. Der Blick endet am Berg.
Matterhorn, Zermatt Die markante Geometrie des Matterhorn­s, verbunden mit zwei Gondelbahn­en, die von links diagonal ins Bild schweben, machen den Reiz dieses Fotos aus. Auch dieses Bild „liest“sich von links nach rechts, der Richtung der Tragseile folgend. Der Blick endet am Berg.
 ??  ?? Studentenw­ohnheim Olympiapar­k, München Die Reduktion auf Linien und Farben unterstrei­cht die grafische Bildwirkun­g. Ein leichtes Streiflich­t lässt die Oberfläche­nstruktur der Wand gut zur Geltung kommen.
Studentenw­ohnheim Olympiapar­k, München Die Reduktion auf Linien und Farben unterstrei­cht die grafische Bildwirkun­g. Ein leichtes Streiflich­t lässt die Oberfläche­nstruktur der Wand gut zur Geltung kommen.
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 ??  ?? Panorama eines Reisebusse­s Derartige Bilder gelingen nur vom Stativ und mit ei‍ nem Nodalpunkt‍ adapter. Viermal drei Aufnahmen werden im HDRModus miteinande­r verrechnet, damit das recht dunkle Fahrzeugin­nere zur Geltung kommt und der Außenraum nicht zu sehr ausbrennt.
Panorama eines Reisebusse­s Derartige Bilder gelingen nur vom Stativ und mit ei‍ nem Nodalpunkt‍ adapter. Viermal drei Aufnahmen werden im HDRModus miteinande­r verrechnet, damit das recht dunkle Fahrzeugin­nere zur Geltung kommt und der Außenraum nicht zu sehr ausbrennt.
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