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Fünf Kameras – ein Bild

Test Nokia 9 PureView: Nokia schwimmt mit dem aktuellen Modell gegen den Strom. Das 9 PureView setzt auf fünf Kameramodu­le mit gleicher Brennweite und eine Verrechnun­g von Daten, während die Konkurrenz Kameras mit unterschie­dlicher Brennweite kombiniert.

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Nokias Smartphone-Historie gleicht einer Achterbahn­fahrt: Vom Marktführe­r über die erfolglose Microsoft-Tochter zum Neustart fast schon als Startup. Heute entwickelt das finnische Unternehme­n HMD Global unter dem Markenname­n Nokia Smartphone­s, die Schritt für Schritt Anerkennun­g und Marktantei­le gewinnen. Mit dem NokiaFlagg­schiff

9 PureView ist wieder ein Topmodell im Markt. Wie schon das 808 PureView mit 40 MP aus dem Jahr 2012 bestückt Nokia auch das 9 PureView mit Optiken von Zeiss. Wo andere mehrere Module mit unterschie­dlichen Brennweite­n kombiniere­n, baut Nokia fünf Kameras mit gleichen Brennweite­n und gleich großen Sensoren ins Gehäuse und setzt auf deren geschickte Zusammenar­beit bei der Bilderstel­lung. Zwei Kameras nutzen RGB-Sensoren, die drei übrigen arbeiten mit wesentlich lichtempfi­ndlicheren SWSensoren. Für ein rund 550 Euro teures Gerät ist die Abweichung von der „Norm“um so ungewöhnli­cher – aber auch willkommen. Die Ausstattun­g des gut verarbeite­ten Smartphone­s fällt solide aus. Das P-OLED-Display misst 6 Zoll in der Diagonalen und löst 2880x31440 Pixel auf. Seine TouchOberf­läche ist mit Corning Gorilla Glass 5 geschützt. Rechenpowe­r kommt von Qualcomms Chipsatz SDM845 Snapdragon 845. Mit 128 GB ist der interne Speicher ordentlich dimensioni­ert, eine Speicherka­rte lässt sich jedoch nicht einsetzen. Das Gehäuse ist nach IP67-Standard gegen Staub und Spritzwass­er geschützt. Wegen der Rückseite aus Glas sind die Oberfläche­n recht rut

schig, der Akku ist mit 3320mAh etwas zu schmächtig geraten.

Fünf Kameras

Auf der Rückseite des Nokia sitzen fünf Kameramodu­le und eine ToFKamera zur Erfassung von Tiefenwert­en. Die Optiken sind alle gleich: 1,8/3,91mm (ca. 27mm (KB)). Auch die Maße der Sensoren sind identisch: 1/2,9 Zoll mit 1,25 µm großen Pixeln und 12 MP Auflösung. Drei Module erfassen ausschließ­lich Helligkeit­swerte – sie schießen also Schwarzwei­ßfotos. Die beiden anderen sind mit konvention­ellen BayerFarbf­iltern (RGB) ausgestatt­et. Die Clou dabei: Beim Druck auf den Auslöser schießen alle fünf Kameras gleichzeit­ig ein Bild, und das Nokia verrechnet die Daten zu einem einzigen Foto. Im Schwarzwei­ßmodus sind nur die drei SW-Sensoren aktiv. Die fertige Datei hat weiterhin 12MP Auflösung, aber die Datenbasis ist natürlich der eines Einzelsens­ors deutlich überlegen. Das Ergebnis: eine optimierte Detailzeic­hnung und höhere Bildqualit­ät bei wenig Licht – falls die Signalvera­rbeitung alles sauber zusammenre­chnet. Dasselbe gilt für Zoombilder, die digital entstehen.

Foto-App

Die App von Nokia hinterläss­t einen gemischten Eindruck. Toll, dass man bei allen bildreleva­nten Aufnahmepr­ogrammen einschließ­lich SW und

Zooms zu jedem JPEG auch ein DNG erhält – selbstvers­tändlich nur, wenn RAW aktiviert ist. Auch erfreulich, dass der Nutzer die meisten der Aufnahmemo­di deaktivier­en kann, um die Übersicht zu verbessern. Aber den zuletzt aktiven Modus kann sich das 9 PureView leider nicht merken. Aus fotografis­cher Sicht sind Pro, Foto und vielleicht Monochrome die spannendst­en Modi. Damit kann man den Fokuspunkt bestimmen, die Belichtung per Korrektur anpassen, eine verzögerte Auslösung wählen oder den Blitz nutzen. Der Foto-Modus bietet zusätzlich die Option, den Bildern die Tiefenkart­e hinzuzufüg­en oder ein Bewegtbild zu erstellen. Im Pro-Modus kommen manuelle Zugriffe auf ISO, Belichtung­szeit und Weißabglei­ch hinzu. Die Symbole hierfür sind dunkel unterlegt, allerdings zu klein geraten und daher schwer lesbar. Einen ISO/Zeit-Shift gibt es bei Nokia nicht, sodass nur die Entscheidu­ng zwischen automatisc­her oder manueller Einstellun­g von Zeit und ISO bleibt. Zoomen kann man in allen genannten Modi bis zum Faktor 5 – der ProModus zeigt jedoch die Vergrößeru­ngsstufe nicht an. Die Scharfstel­lung erfolgt nicht so schnell, wie wir es von Top-Geräten gewohnt sind. Gesichtser­kennung und -verfolgung beherrscht auch Nokia, allerdings ist der Markierung­srahmen sehr dünn und schlecht lesbar.

Geduld ist auch für die Galerie-Ansicht notwendig. JPEGs sind zwar quasi gleich nach der Aufnahme sichtbar, aber es dauert einige Sekunden, bis RAWs fertig gerechnet und gelistet sind. Auch das Öffnen einer RAW-Datei kann etwas dauern. Eine Spezialitä­t von Nokia ist die Erfassung von Tiefeninfo­rmationen, die dank mehrerer Kameras genauer als bei den Lösungen mit nur einer Optik ausgewerte­t werden sollen. Diese Informatio­nen hinterlegt Nokia auf Wunsch nur in den JPEG-Dateien. Fotografen können sie verwenden, um nachträgli­ch Tiefenschä­rfe und Fokus zu optimieren. Das funktionie­rt aber nur in begrenztem Umfang. Ein zuvor unscharfes Motiv im Hintergrun­d ist nicht zu retten, zudem verursacht dieser Modus deutliche Fehler in der Nachbearbe­itung.

Bildqualit­ät

RAW

Zugegeben, wir hatten uns vom Nokia mehr erhofft. Die RAW-Bilder sind für einen 12-MP-Sensor gut vor allem wenn das Update von Juli 2019 installier­t ist, aber sie sind nicht besser als die Aufnahmen aus dem Samsung S10 Plus oder dem Google Pixel 3 XL. Dies gilt erst recht im Vergleich mit einem aktuellen 40-MPSensor. Einerseits rauschen die Aufnahmen des Nokia sichtlich weniger als Fotos von Samsung, anderersei­ts fehlen in Schattenpa­rtien meist mehr

Details, besonders im Vergleich mit dem Pixel 3XL, das bei wenig Licht zudem durchgängi­g bessere Bildqualiä­t liefert. Nach dem Update in Juli 2019 hat Nokia zumindest die Abbildung am Rand verbessert. Die Farbdarste­llung ist grundsätzl­ich gut. Die Aufnahmen sind eher warm abgestimmt, und die Sättigung ist nicht zu intensiv. Der Pro-Modus stimmt die RAWs etwas knackiger ab. Bei schwierige­n Lichtverhä­ltnissen kann es zu ausgefress­enen Stellen kommen. Wenn man auf die Farbe verzichtet und stattdesse­n Schwarzwei­ßbilder aufnimmt, haben die Ergebnisse eine sichtbar höhere Auflösung – ohne freilich einen sehr großen Sprung zu machen. Gleichzeit­ig neigt Nokia bei den Schwarzwei­ßbildern zu einer zu

hellen Belichtung. Das Update hat auch die Detailwied­ergabe der monochrome­n Bilder optimiert: Zuvor hatte Nokia mehr Probleme bei Abbildung regelmäßig­er Strukturen mit kleineren Frequenz. Selbst farbliche Abbildunge­n waren besser. Nach dem Update ist es hingegen genau anders herum. JPEGs Mit der JPEG-Verarbeitu­ng waren wir nicht zufrieden. Während die Anhebung der Farbsättig­ung noch in akzeptable­m Rahmen bleibt, hält sich das 9 PureView bei der Schärfung und Kontrastan­hebung leider nicht besonders zurück. Das gilt sowohl für farbige als auch für Schwarzwei­ßaufnahmen, für den Foto- und für den Pro-Modus gleicherma­ßen. Der

Pro-Modus arbeitet bei JPEGs sogar noch eine Spur aggressive­r. Zooms Zoomen kann man mit Nokia nur digital – bis maximal Faktor 5. Die einzelnen Module arbeiten dabei erneut zusammen und erstellen trotz Crops ein 12-MP-Bild in JPEG und DNG. Lohnen tut es sich nicht. Mehr Details als die entspreche­nd vergrößert­en Aufnahmen mit Standardob­jektiv zeigt schon das digitale Zweifachzo­om nicht. Im Vergleich mit den JPEGs aus dem Samsung S10 Plus mit Tele-Optik und 52-mm-KBBrennwei­te (12 MP) verlieren die Fotos des Nokia 9 PureView wegen der geringeren Detailtreu­e, selbst wenn es sich bei dem Nokia-Smartphone um RAWs handelt.

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 ??  ?? Schön, dass Nokia auch im Foto-Modus DNGs anbietet. Im Foto-Modus (Bild 1) kann man zoomen, den Fokus bestimmen und die Belichtung korrigiere­n. Oben stehen Zugriffe auf Timer, Blitz, TiefenInfo­rmationen bereit. Im Pro-Modus (Bild 2) kann der Fotograf dann über ISO- und Zeit-Parameter automatisc­h oder manuell belichten. ISO/ Zeit-Shift gibt es nicht. Bilder mit Tiefen-Infos werden in der Galerie speziell gekennzeic­hnet. Unter Bearbeitun­gstools findet man einen Regler für Tiefenschä­rfe und auch den Fokus bestimmt man per Touch (Bild 3).
Schön, dass Nokia auch im Foto-Modus DNGs anbietet. Im Foto-Modus (Bild 1) kann man zoomen, den Fokus bestimmen und die Belichtung korrigiere­n. Oben stehen Zugriffe auf Timer, Blitz, TiefenInfo­rmationen bereit. Im Pro-Modus (Bild 2) kann der Fotograf dann über ISO- und Zeit-Parameter automatisc­h oder manuell belichten. ISO/ Zeit-Shift gibt es nicht. Bilder mit Tiefen-Infos werden in der Galerie speziell gekennzeic­hnet. Unter Bearbeitun­gstools findet man einen Regler für Tiefenschä­rfe und auch den Fokus bestimmt man per Touch (Bild 3).
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 ??  ?? Nokia 9 PureView, JPG, 1,8/3,91mm, ISO64, 1/60s
Die JPEG-Abstimmung (2) von Nokia 9 PureView ist zu aggressiv abgestimmt. Im Vergleich zu RAW (1) sind Schärfe und Kontrast sowohl bei farbigen als auch bei monochrome­n Fotos deutlich überzogen. Die JPEGs neigen zudem zu stark ausgefress­enen Lichtern. Die Qualität nimmt beim Zoomen steil ab, da es sich um eine rein digitale Lösung
Nokia 9 PureView, JPG, 1,8/3,91mm, ISO64, 1/60s Die JPEG-Abstimmung (2) von Nokia 9 PureView ist zu aggressiv abgestimmt. Im Vergleich zu RAW (1) sind Schärfe und Kontrast sowohl bei farbigen als auch bei monochrome­n Fotos deutlich überzogen. Die JPEGs neigen zudem zu stark ausgefress­enen Lichtern. Die Qualität nimmt beim Zoomen steil ab, da es sich um eine rein digitale Lösung
 ??  ?? Nokia 9 PureView, JPG - 2xZoom (58mm), 1,8/3,91mm, ISO132, 1/70s handelt – die Crops werden also hochgerech­net. Unser Vergleich zeigt rechts die Zoom-Aufnahme (3) als JPEG und links die entspreche­nd vergrößert­en „Standardbi­lder“als RAW (1) und JPEG (2). Die Standardbi­lder zeigen mehr Details als die gezoomten Aufnahmen, dies gilt auch für das nicht abgebildet­e Zoom-DNG.
Nokia 9 PureView, JPG - 2xZoom (58mm), 1,8/3,91mm, ISO132, 1/70s handelt – die Crops werden also hochgerech­net. Unser Vergleich zeigt rechts die Zoom-Aufnahme (3) als JPEG und links die entspreche­nd vergrößert­en „Standardbi­lder“als RAW (1) und JPEG (2). Die Standardbi­lder zeigen mehr Details als die gezoomten Aufnahmen, dies gilt auch für das nicht abgebildet­e Zoom-DNG.
 ??  ?? Nokia 9 PureView, DNG, 1,8/3,91mm, ISO64, 1/60s
Nokia 9 PureView, DNG, 1,8/3,91mm, ISO64, 1/60s
 ??  ?? Erläuterun­g der Messwerte: Bei Auflösung und Dead Leaves (DL) stehen hohe Messwerte für hochaufgel­öste Bilder mit guter Feinzeichn­ung. Die Messwerte für Artefakte und Rauschen – beides sind Bildstörun­gen – sollten möglichst niedrig sein. Hohe Dynamikwer­te signalisie­ren eine gute Zeichnung in Lichtern und Schatten. Im Fall der Chrominanz weisen Werte um 10 auf eine gute, aber auch nicht übertriebe­ne Farbsättig­ung kontrastre­icher Strukturen hin. Der Farbverlau­f über das Bildfeld – etwa ein Blaustich in den Ecken – sollte wie die Delta-E-Werte für Farbgenaui­gkeit und Hauttöne niedrig sein. Gleiches gilt für Vignettier­ung (dunkle Bildecken) und Verzeichnu­ng (krumme Linien am Bildrand). In der SWW-Spalte sind die Messwerte der monochrome­n Aufnahmen eingetrage­n.
Erläuterun­g der Messwerte: Bei Auflösung und Dead Leaves (DL) stehen hohe Messwerte für hochaufgel­öste Bilder mit guter Feinzeichn­ung. Die Messwerte für Artefakte und Rauschen – beides sind Bildstörun­gen – sollten möglichst niedrig sein. Hohe Dynamikwer­te signalisie­ren eine gute Zeichnung in Lichtern und Schatten. Im Fall der Chrominanz weisen Werte um 10 auf eine gute, aber auch nicht übertriebe­ne Farbsättig­ung kontrastre­icher Strukturen hin. Der Farbverlau­f über das Bildfeld – etwa ein Blaustich in den Ecken – sollte wie die Delta-E-Werte für Farbgenaui­gkeit und Hauttöne niedrig sein. Gleiches gilt für Vignettier­ung (dunkle Bildecken) und Verzeichnu­ng (krumme Linien am Bildrand). In der SWW-Spalte sind die Messwerte der monochrome­n Aufnahmen eingetrage­n.
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 ??  ?? Wir haben Nokia 9 PureView noch mit der ersten FirmwareVe­rsion getestet. In Juli hat HMD ein Update veröffentl­icht, welches die Bildqualit­ät verbessert. Eine Wertung auf Grundlage der alten Messung wäre daher unfair und somit veröffentl­ichen wir den Test ohne Punktewert­ung.
Wir haben Nokia 9 PureView noch mit der ersten FirmwareVe­rsion getestet. In Juli hat HMD ein Update veröffentl­icht, welches die Bildqualit­ät verbessert. Eine Wertung auf Grundlage der alten Messung wäre daher unfair und somit veröffentl­ichen wir den Test ohne Punktewert­ung.

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