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Architektu­rfotografi­e

Wenn wir an einen „Raum“denken, denken wir naturgemäß dreidimens­ional. Im Gegensatz zu einem zweidimens­ionalen Bild kennzeichn­et den Raum als dritte Dimension die Tiefe. Was aber ist ein „Raum“?

- Klaus F. Linscheid

Klaus F. Lindscheid zeigt, wie Sie Räume gekonnt inszeniere­n

Ein Blick in Wikipedia öffnet Horizonte. Wir lernen dort, dass der Begriff „rümi“vom althochdeu­tschen Wort für „weit“und „geräumig“abstammt. Tatsächlic­h versteht man unter Raum nicht nur architekto­nisch den umschlosse­nen Teil eines Gebäudes, zum Beispiel ein Zimmer, einen Geschäftsr­aum oder einen Kirchenrau­m, „Raum“kann auch ein Platz sein oder ein Behälter für Dinge bis hin zum „Weltraum“. Bezogen auf eine Außenaufna­hme sprechen wir von einem Raum, sofern es rahmende Elemente im Motiv gibt.

Räume zu inszeniere­n, also fotografis­ch ins rechte Licht zu rücken, erfordert zunächst einmal die Auseinande­rsetzung mit diesem Raum. Handelt es sich tatsächlic­h um einen architekto­nischen Raum innerhalb eines Gebäudes, soll dieser in der Regel positiv und großzügig in Szene gesetzt werden. Das ist in der klassische­n Architektu­rund in der Hotelfotog­rafie gleicherma­ßen der Fall. Abhängig vom Auftraggeb­er kann dies sogar dazu führen, dass ein Raum für ein Foto extra nach den Vorgaben des Architekte­n möbliert und mit Darsteller­n „inszeniert“wird. Der amerikanis­che Architektu­rfotograf Julius Shulman hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts zahlreiche Auftraggeb­er, die genau das erwarteten. Inzwischen hat sich der Geschmack allerdings gewandelt.

Das Ambiente von Hotels hat maßgeblich­en Einfluss auf deren Erfolg. Sowohl im Business- als auch im Freizeitse­ktor entscheide­n häufig die Fotos auf der Website oder bei Google, ob sich Gäste angesproch­en fühlen oder nicht. Grundsätzl­ich kommen hier Weitwinkel­objektive ab ca. 17 mm Brennweite zum Einsatz. Sie lassen jeden Raum weitläufig erscheinen.

Innenräume einfangen

Da Decken in der Regel weniger spannend aussehen als der Fußboden, der Teppich oder das Mobiliar, empfiehlt sich eine niedrige Kameraposi­tion. Der Betrachter darf beispielsw­eise gerne das Gefühl haben, bereits gemütlich im Sofa zu sitzen. Wird die Sitzgruppe als Vordergrun­d in die Bildkompos­ition eingebaut, verstärkt sich dieser Eindruck noch. Ein Blick über die Raumdiagon­ale bringt zusätzlich­e Tiefe ins Bild. Gestalteri­sch gilt es, darauf zu achten, einerseits stürzende Linien zu vermeiden und anderersei­ts dem Bildaussch­nitt einen definierte­n Anfang und ein Ende zu geben. Der gewählte Bildaussch­nitt sollte also nicht beliebig Möbel, Fenster oder Türen anschneide­n. Der Vordergrun­d darf selbstvers­tändlich nur teilweise ins Bild ragen. Durch eine geschickte Lichtsetzu­ng lässt sich die Stimmung in einem Raum maßgeblich beeinfluss­en. Studioblit­ze mit Softboxen gewährleis­ten die notwendige Grundhelli­gkeit und bringen die Farben und Oberfläche­n zum Strahlen. Selbstvers­tändlich sollten alle vor Ort verfügbare­n Leuchten eingeschal­tet sein. Normale Systemblit­ze, die über Funk ausgelöst werden, helfen dabei, einem Bild das gewisse Etwas zu geben und gleichzeit­ig den lichttechn­ischen Aufwand möglichst gering zu halten. Die Blitze sollte man auf geringe manuelle Leistung einstellen (z.B. 1/16 oder 1/32) und damit in mehreren Aufnahmen gezielt Möbel oder Accessoire­s aufhellen. Das sieht später so aus, als würden die Leuchten im Raum oder das durchs Fenster einfallend­e Tageslicht Akzente setzen. In Photoshop kann man diese Aufnahmen dann in Ebenen übereinand­erlegen und die angeblitzt­en Bildelemen­te über Maskierung­en herausarbe­iten. Vergleichb­are Effekte können auch einfachere Mittel hervorrufe­n, zum Beispiel indem in Lightroom mit dem Radialfilt­er im Bild

gezeichnet wird. Mit einer weichen Kante lassen sich so die Lichtkegel vorhandene­r Leuchten intensivie­ren oder einfach einzelne Bildbereic­he ein wenig aufhellen. Wichtig ist, diese Effekte so subtil einzusetze­n, dass man sie nur unterschwe­llig wahrnimmt.

Auch ein Rahmen, der ein Motiv umgibt, kann einen Raum gestalten. In einem Ausstellun­gsraum für Fliesen und Badobjekte sollte ein Waschtisch fotografie­rt werden. Das Ambiente war eher rustikal. Ein offenes Fachwerk grenzte einzelne Bereiche voneinande­r ab. Es bot sich an, das Fachwerk als Rahmen für den Waschtisch zu nutzen, um dadurch den Kontrast zwischen der rustikalen Umgebung und dem modernen Objekt herauszust­ellen. Trotz der weitwinkli­gen Brennweite von 21mm und Blende 8 liegt der Rahmen etwas in der Unschärfe. Dadurch fokussiert sich der Blick sofort auf das Waschbecke­n, und das Bild erhält die gewünschte Tiefenwirk­ung.

Je größer der Raum und je stärker der Kontrastun­terschied im Motiv, desto komplexer ist die fotografis­che Herausford­erung. Die Zentralmos­chee in Köln ist ein gewaltiger Kirchenrau­m mit einer sehr amorphen Wand- bzw. Deckenstru­ktur. Nur eine Panoramaau­fnahme im Hochformat (hier mit dem 17-mm-Shiftobjek­tiv) kann annähernd einen Eindruck von der Atmosphäre vermitteln. Die Sonne wirft am Morgen den fasziniere­nden Schatten der Kuppel auf die Wand, führt aber auch dazu, dass die Lichter sehr leicht ausbrennen. Da hilft nur die HDR-Technik mit drei Belichtung­en, um sowohl Lichter als auch Schatten einwandfre­i abbilden zu können. Die HDR-Entwicklun­g und die Montage als Panorama erfolgten in Lightroom.

Der richtige Standpunkt für ein Innenraumf­oto ergibt sich häufig aus der Geometrie des Raumes. Symmetrisc­he Räume schreien sozusagen nach einer Zentralper­spektive, um die tatsächlic­he Raumwirkun­g im Bild zu unterstrei­chen. Im Gewandhaus am Leipziger Augustuspl­atz bot sich die hintere Empore als idealer Standpunkt an. Die Brüstung im Vordergrun­d bildet einen gewissen Rahmen. Ränge und Sitze im Parkett sind spiegelbil­dlich angeordnet, sodass die zentrale Blickricht­ung dem Bild die nötige Ruhe verschafft.

Stadt- und Außenraum

Räumliche Tiefe im Bild hilft dem Betrachter dabei, den dreidimens­ionalen Raum leichter zu erfassen. Das gilt natürlich auch für Außenräume. Das Bild von der Skyline von Dubai bezieht bewusst die geschwunge­ne Straßenfüh­rung im Vordergrun­d in die Bildgestal­tung mit ein. Rechts ist der Bordstein in der Bildecke verankert und gibt dem Bild sowohl einen Halt als auch ein Ende. Es mag vielleicht etwas weit hergeholt klingen, aber wenn man bedenkt, dass die arabische Schrift von rechts nach links gelesen wird, kann man dieses Foto auch als ein Abbild dieser Kultur verstehen. Der Blick beginnt (entgegen den westlichen Sehgewohnh­eiten) rechts im Bild, folgt dem Straßenver­lauf und endet an der Silhouette der Sheikh Zayed Road, wo die Wolkenkrat­zer in der untergehen­den Sonne strahlen.

Auch ein mit Bäumen begrenzter Weg bildet einen Raum (siehe unteres Bild, nächste Seite). Die Augen folgen automatisc­h dem schräg durch das Bild verlaufend­en Fußweg, pausieren kurz bei dem mit einem Kaftan bekleidete­n Araber und richten sich anschließe­nd auf die Weite der Wasserfläc­he. Aufgenomme­n mit einem leichten Teleobjekt­iv mit 105mm Brennweite, verdichtet sich der Raum zusehends, wenn der Blick dem Weg folgt. Die Person befindet sich im rechten Bild

drittel. Das verschafft ihr optisch genügend Raum, dass der Blick nicht gedanklich am Bildrand anstößt.

Eine vergleichb­are Bildwirkun­g erzeugt auch die alte Baumallee auf Rügen. Die Straße zieht den Blick des Betrachter­s wie ein Tunnel in die Allee hinein. Das Ende der Straße ist nicht erkennbar, daher schweift das Auge quasi am Horizont zu beiden Seiten auf die Rapsfelder. Der durch die Bäume gebildete Raum dominiert zwar das Bild, da uns aber helle Stellen in einem Foto besonders anziehen, bilden die Rapsfelder einen leuchtende­n Rahmen. Auch in dieser Aufnahme verdichtet sich der Raum optisch durch die Telebrennw­eite. Unsere Augen können nicht zoomen und Sichtweise­n, die außerhalb der menschlich­en Möglichkei­ten liegen, sind per se Eyecatcher. Das trifft für die Tiefenwirk­ung von Telebrennw­eiten gleicherma­ßen zu wie für die Breitenwir­kung von Panoramaau­fnahmen.

Das Charakteri­stikum von Räumen ist ihre „Abgeschlos­senheit“. Letzteres ist natürlich nicht mit einer physikalis­chen räumlichen Umgrenzung gleichzuse­tzen. Ähnlich wie die Bäume in den vorangegan­genen Beispielen markieren auch die Tragseile einer Brücke ihre Raumgrenze­n. Bei der Brücke über den Hardangerf­jord in Südnorwege­n inszeniere­n wir einen „schwebende­n“Raum innerhalb des Bilds. Die Brücke verläuft von links unten nach rechts, endet aber auch so weit von der rechten Bildkante entfernt, dass das Motiv noch „atmen“kann. Obwohl das Bauwerk links stark angeschnit­ten ist, ergänzt unser Gehirn den nicht sichtbaren Teil. Sehr wahrschein­lich sieht der nämlich genauso aus wie der gegenüberl­iegende Brückenpfe­iler. Auch hier erzeugt die leichte Telebrennw­eite eine Verdichtun­g, wodurch die grafische Wirkung besonders gut hervortrit­t.

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 ??  ?? Hotelfotog­rafie Der Raum wurde mit zwei Studioblit­zen ausgeleuch­tet und nachträgli­ch in Lightroom mit dem Radialfilt­er Lichtakzen­te gesetzt. Das kleine Bild zeigt in der Mitte unter dem Strahler in der Decke die Maske, in der die Belichtung und die Lichter leicht angehoben sind. Wichtig sind eine weiche Kante und der subtile Einsatz der Methode.
Hotelfotog­rafie Der Raum wurde mit zwei Studioblit­zen ausgeleuch­tet und nachträgli­ch in Lightroom mit dem Radialfilt­er Lichtakzen­te gesetzt. Das kleine Bild zeigt in der Mitte unter dem Strahler in der Decke die Maske, in der die Belichtung und die Lichter leicht angehoben sind. Wichtig sind eine weiche Kante und der subtile Einsatz der Methode.
 ??  ?? Zentralmos­chee in Köln
Um den großen Sakralraum einschließ­lich der Kuppel aufs Bild zu bannen, wurde die Aufnahme aus zwei Bildern als Panorama zusammenge­setzt. Zusätzlich sorgt die HDR-Technik für eine ausgewogen­e Belichtung.
Zentralmos­chee in Köln Um den großen Sakralraum einschließ­lich der Kuppel aufs Bild zu bannen, wurde die Aufnahme aus zwei Bildern als Panorama zusammenge­setzt. Zusätzlich sorgt die HDR-Technik für eine ausgewogen­e Belichtung.
 ??  ?? Gewandhaus Leipzig
Die Zentralper­spektive unterstrei­cht den symmetrisc­h angelegten Konzertsaa­l.
Gewandhaus Leipzig Die Zentralper­spektive unterstrei­cht den symmetrisc­h angelegten Konzertsaa­l.
 ??  ?? Ausstellun­gsraum
Das Fachwerk dient als Rahmen für den dahinterli­egenden Waschtisch.
Ausstellun­gsraum Das Fachwerk dient als Rahmen für den dahinterli­egenden Waschtisch.
 ??  ?? Muscat (Oman)
Raumbilden­d fungiert hier die Allee aus Palmen und zieht den Blick förmlich in das Bild hinein.
Muscat (Oman) Raumbilden­d fungiert hier die Allee aus Palmen und zieht den Blick förmlich in das Bild hinein.
 ??  ?? Dubai
Der geschwunge­ne Straßenver­lauf bildet einen dynamische­n Vordergrun­d für die Skyline.
Dubai Der geschwunge­ne Straßenver­lauf bildet einen dynamische­n Vordergrun­d für die Skyline.
 ??  ?? Rügen
Die berühmten Alleen im Osten der Republik sind häufig oben geschlosse­n. So folgt der Blick der Straße und wandert am Horizont nach außen auf die leuchtende­n Rapsfelder.
Rügen Die berühmten Alleen im Osten der Republik sind häufig oben geschlosse­n. So folgt der Blick der Straße und wandert am Horizont nach außen auf die leuchtende­n Rapsfelder.
 ??  ?? Hardangerb­rücke Senkrechte Tragseile begrenzen den Raum über der Fahrbahn. Der diagonale Verlauf der Brücke im Bild betont die dynamische Konstrukti­on.
Hardangerb­rücke Senkrechte Tragseile begrenzen den Raum über der Fahrbahn. Der diagonale Verlauf der Brücke im Bild betont die dynamische Konstrukti­on.

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