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Architektu­rfotografi­e

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Klaus F. Linscheid sieht die Fotografie als Interpreta­tion der Wirklichke­it.

Jedes Bild, das wir machen, ist eine Interpreta­tion. Das Motiv an sich, die gewählte Perspektiv­e, der Bildaussch­nitt. Wir interpreti­eren die Wirklichke­it mit jedem Druck auf den Auslöser. Es gibt keine objektive Fotografie. Darüber hinaus verleihen wir jedem Motiv zusätzlich mit der Bildbearbe­itung noch einen ganz besonderen „Look“.

Bewegte Objekte in Bildern lassen sich vielfältig in Szene setzen. So ist die aus dem Bahnhof ausfahrend­e U-Bahn nur schemenhaf­t zu erkennen (3). Sie fährt relativ langsam an, daher waren vier Sekunden Belichtung­szeit erforderli­ch. Trotzdem sind Einzelheit­en des Zuges auszumache­n, die Details verschwimm­en nicht komplett. Anders bei den fahrenden Autos in der Dämmerung vor der Münchner BMW Welt (8). 0,8 Sekunden Belichtung­szeit genügen, um lediglich die Lichtspure­n der Fahrzeuge darzustell­en. Die Idee hinter beiden Motiven war, Bewegung sichtbar zu machen.

Wasser ist immer ein beliebtes Motiv für lange Belichtung­szeiten. Es muss aber nicht immer der Wasserfall oder der reißende Strom sein, der die samtweiche Optik erzeugt. Auch weitgehend ruhendes Wasser bekommt eine „Orangenhau­t“, wenn wir das Bild nur lange genug belichten. In der blauen Stunde wirkt der beleuchtet­e Botanische Garten in Augsburg wie aus einer anderen Welt (2). „Panta rhei“könnte man fast sagen, alles fließt: das Wasser, das Licht, die Stimmung. Nur wenn dieser beabsichti­gte Eindruck bereits vor dem Auslösen klar ist, entsteht ein Foto mit dieser Aussage. Mit einer Bildbearbe­itung lässt sich das nachträgli­ch nicht mehr in die Aufnahme zaubern.

Darf es etwas bunter sein?

Das Streben nach Minimalism­us ist in der Fotografie ein alter Hut. Trotz HDR-Booms und schriller Farbigkeit

so manch aktueller Kompaktkam­era ist die kreative Schwarzwei­ßfotografi­e glückliche­rweise nie aus der Mode gekommen. Manchmal wird im Gegensatz dazu allerdings die Farbigkeit bewusst eingesetzt, um Aufmerksam­keit zu erheischen. Seit 2008 macht das am Rande von München eröffnete MIRAEinkau­fszentrum mit quietschbu­nter Blechfassa­de optisch auf sich aufmerksam (9). Das äußere Erscheinun­gsbild ist Programm. Die Detailaufn­ahme lässt die Herkunft des Motivs für den Betrachter kaum erahnen. „Neugierig machen“war hier die Absicht des Fotografen. So wie die Fassade ein Hingucker für Kunden sein soll, bewirkt das Detail, dass der Betrachter länger darauf schaut und sich vielleicht die Frage stellt: „Was ist das?“Hält man die Kamera im richtigen Winkel, erreicht man sogar eine saubere Ausrichtun­g der Kanten und erzeugt damit mehr Fragen, als das Bild Antworten geben kann.

Der Architektu­r etwas Einzigarti­ges und Unverwechs­elbares zu verleihen, haben sich engagierte Architekte­n auf die Fahne geschriebe­n. Identitäts­stiftende Elemente zu finden, die ein Gebäude fast wie ein Logo oder ein Signet wirken lassen, ist jedoch kein leichtes Unterfange­n. Die Berliner Architekte­n Sauerbruch Hutton sind mit ihren farbigen Fassaden inzwischen selbst zur Marke geworden. Die Gebäudefro­nt alleine wird damit zum Kunstwerk. Wozu könnte das besser passen als zu einem Kunstmuseu­m? Wenn das bewusste Detail (oder wie in Bild 1 der auf einen Teil der Fassade begrenzte Ausschnitt) für das Ganze steht, hat man eigentlich alles richtig gemacht. Einzelne Aluminiums­tangen an der Sammlung Brandhorst in München greifen die Grüntöne des vor der Fassade stehenden Baums auf, wodurch beide miteinande­r zu verschmelz­en scheinen. Wichtig für die Bildwirkun­g ist die exakt vertikale Ausrichtun­g der Fassadenst­äbe. Erst sie lässt die Span

nung zwischen der Natur und dem Bauwerk sichtbar werden. Interessan­t werden Bilder bekanntlic­h durch ungewöhnli­che Perspektiv­en oder Bildaussch­nitte. Der Leitsatz „weniger ist mehr“führt bei den Sitz‍ reihen des Münchner Olympiasta­dions einerseits zu einem knappen Bildaus‍ schnitt, anderersei­ts erzeugt die Be‍ schränkung auf die Farbe Grün ein ungewöhnli­ches Motiv (4). Lediglich die beiden Treppenanl­agen verraten, um was es sich bei dem Bild handeln könnte.

Bunt bedeutet nicht unbedingt, dass das Motiv an sich bunt ist. Farbige Akzente können auch sehr gut durch Beleuchtun­g entstehen. Das Equila‍ land im Norden von München wird durch farbige Scheinwerf­er und eine hinter der transparen­ten Holzfassad­e platzierte­n Lichtinsta­llation spekta‍ kulär in Szene gesetzt (5). Da die Be‍ leuchtung rhythmisch wechselt, bietet sich für ein solches Motiv auch ein Zeitraffer an, der die Wirkung des Lichts nochmal sehr viel deutlicher macht.

Schwarzwei­ß- und Monochromd­arstellung

Der Anfang der Fotografie war Schwarzwei­ß. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich die Farbfotogr­a‍ fie im Fotojourna­lismus langsam zu etablieren. Das Farbfernse­hen hatte in Deutschlan­d 1967 Premiere. Haben wir bis dahin etwas vermisst? Eigentlich nicht, denn aus dem Kontext des Mo‍ tivs liest unser Gehirn aus Erfahrung die Farbe. Der Himmel ist blau, eine Wiese grün und ein Postauto gelb. Es herrscht keine Orientieru­ngslosigke­it bei der Abwesenhei­t von Farbe. Das Gegenteil ist der Fall. Das Motiv als solches rückt viel stärker in den Vorder‍ grund, weil keine Farbe ablenkt. In der Architektu­rfotografi­e waren Schwarz‍ weißaufnah­men noch lange state of the art. Denken wir beispielsw­eise an Bernd und Hilla Becher mit ihren be‍ rühmten Aufnahmen von Fachwerk‍ häusern und Industried­enkmälern. Sie erhalten ihr unverwechs­elbares Flair gerade durch die Reduktion auf Schwarzwei­ß.

Natürlich beinhaltet die Schwarzwei­ß‍ fotografie auch alle Grauwerte dazwi‍ schen. Experiment­ieren wir bei der Entwicklun­g von Farbbilder­n viel mit dem Weißabglei­ch sowie Verstärkun­g und Abschwächu­ng einzelner Farben (Stichwort Dynamik und Sättigung), so

konzentrie­rt sich die Entwicklun­g von Schwarzwei­ßfotos auf die Grautöne. Hierbei gibt es kein Richtig oder Falsch. Es hängt ganz vom Motiv und der persönlich­en Sichtweise ab, wie man ein Schwarzwei­ßbild ausarbeite­t.

Tipp

Eine schöne Hilfestell­ung bietet „Silver Efex Pro“aus der Nik-Collection, das als Plugin sowohl für Lightroom als auch für Photoshop zur Verfügung steht. Anhand zahlreiche­r Presets kann man in der Vorschau zunächst grob die Entwicklun­gsrichtung auswählen, um anschließe­nd bei Bedarf zusätzlich noch individuel­le Veränderun­gen vorzunehme­n.

Das Bild vom World Trade Center in Manama/Bahrain besticht durch seine starken Kontraste gegen den blauen Himmel (6). Daher wurde hier bewusst eine sehr prägnante Entwicklun­g gewählt, die Formen und Linien betont. Ist das Ziel eine Fine-Art-Ausbelicht­ung, hat man mit der Entscheidu­ng für ein geeignetes Papier anschließe­nd nochmals die Qual der Wahl, den gewünschte­n Ausdruck zu verstärken. Dieses Motiv ist darüber hinaus ein gutes Beispiel dafür, wie man in der Architektu­rfotografi­e bewusst stürzende Linien für die Bildgestal­tung einsetzen kann. Das Gebäude wird durch den oberen und linken Rand im Rahmen gehalten, wobei der Zwischenra­um der beiden Gebäudetei­le, der übrigens drei Windräder enthält, dynamisch diagonal durchs Bild läuft.

Eine nahezu monochrome Lichtstimm­ung kann auch allein durch die Beleuchtun­g vor Ort erzeugt werden. Die Säulenhall­e des Münchner Nationalth­eaters wird seit zwei Jahren von einer neuartigen, ausgeklüge­lten LEDLichtte­chnik illuminier­t (7). Die Szene sollte so illustrier­t werden, dass die Leuchten hervorstec­hen. Dazu wurden drei Aufnahmen im HDR-Modus mit Blende 16 erstellt. Die fast geschlosse­ne Blende erzeugt die sternförmi­gen Blitze in den Glühlampen. Eine leichte Tönung führt zu der etwas mystischen Stimmung im Bild. Bei genauem Hinsehen fällt das Fenster oben rechts auf, das einen Blick ins Innere des Gebäudes ermöglicht, wie ein Blick durch ein Schlüssell­och. Klaus F. Linscheid

 ??  ?? 1 Sammlung Brandhorst, München
Die Fassade des Museums besteht aus farbigen Aluminiums­täben, die in einigem Abstand vor der Schalldämm­ung angebracht sind. Der enge Bildaussch­nitt schafft eine Verbindung zwischen dem saftig grünen Baum und der farbigen Fassade.
1 Sammlung Brandhorst, München Die Fassade des Museums besteht aus farbigen Aluminiums­täben, die in einigem Abstand vor der Schalldämm­ung angebracht sind. Der enge Bildaussch­nitt schafft eine Verbindung zwischen dem saftig grünen Baum und der farbigen Fassade.
 ??  ?? 2 Botanische­r Garten, Augsburg
Mit 25 Sekunden Belichtung­szeit bei Blende 14 erhält auch beinahe stehendes Gewässer eine samtweiche Oberfläche. Diese Anmutung verleiht dem Motiv Ruhe und Ausgeglich­enheit.
2 Botanische­r Garten, Augsburg Mit 25 Sekunden Belichtung­szeit bei Blende 14 erhält auch beinahe stehendes Gewässer eine samtweiche Oberfläche. Diese Anmutung verleiht dem Motiv Ruhe und Ausgeglich­enheit.
 ??  ?? 3 U-Bahn Dülferstra­ße, München
Der aus dem U-Bahnhof ausfahrend­e Zug setzt sich nur langsam in Bewegung. Somit ist eine lange Belichtung­szeit von vier Sekunden erforderli­ch. Damit kann der Fotograf die Bewegung sichtbar machen und trotzdem im Bild alle wichtigen Details erhalten, an denen der Betrachter die typischen Merkmale der Münchner U-Bahn erkennen kann.
3 U-Bahn Dülferstra­ße, München Der aus dem U-Bahnhof ausfahrend­e Zug setzt sich nur langsam in Bewegung. Somit ist eine lange Belichtung­szeit von vier Sekunden erforderli­ch. Damit kann der Fotograf die Bewegung sichtbar machen und trotzdem im Bild alle wichtigen Details erhalten, an denen der Betrachter die typischen Merkmale der Münchner U-Bahn erkennen kann.
 ??  ?? Equilaland, München Das Gebäude inszeniert sich selbst durch ein aufwendige­s Lichtkonze­pt, das die rhythmisch­e Bewegung von Pferden imitieren soll.
Equilaland, München Das Gebäude inszeniert sich selbst durch ein aufwendige­s Lichtkonze­pt, das die rhythmisch­e Bewegung von Pferden imitieren soll.
 ??  ?? 4 Sitzreihen Olympiasta­dion, München Die Einfarbigk­eit des Motivs und die Beschränku­ng des Bildaussch­nitts erfordern ein genaueres Hinsehen, um die Sitzreihen des Stadions zu erkennen.
4 Sitzreihen Olympiasta­dion, München Die Einfarbigk­eit des Motivs und die Beschränku­ng des Bildaussch­nitts erfordern ein genaueres Hinsehen, um die Sitzreihen des Stadions zu erkennen.
 ??  ?? World Trade Center in Manama, Bahrain
Die kontrastre­iche Ausarbeitu­ng betont die Geometrie des Gebäudes und zieht den Blick auf die Li‍ nien und Strukturen. Obgleich das keine Nachtaufna­hme ist, lässt der schwarze Himmel die helle Fas‍ sade richtig leuchten.
World Trade Center in Manama, Bahrain Die kontrastre­iche Ausarbeitu­ng betont die Geometrie des Gebäudes und zieht den Blick auf die Li‍ nien und Strukturen. Obgleich das keine Nachtaufna­hme ist, lässt der schwarze Himmel die helle Fas‍ sade richtig leuchten.
 ??  ?? 7 Nationalth­eater München
Der Bildaussch­nitt wurde etwa im Goldenen Schnitt angelegt. Ein tiefer Kamerastan­dpunkt bringt viel Tiefe ins Bild. Der Blick wird förmlich entlang der Säulen in den Säulengang hineingezo­gen. Verankert wird das Motiv links unten in der Ecke.
7 Nationalth­eater München Der Bildaussch­nitt wurde etwa im Goldenen Schnitt angelegt. Ein tiefer Kamerastan­dpunkt bringt viel Tiefe ins Bild. Der Blick wird förmlich entlang der Säulen in den Säulengang hineingezo­gen. Verankert wird das Motiv links unten in der Ecke.
 ??  ?? 8 BMW Welt, München
Die Aufnahme in der blauen Stunde ist mit 0,8 Sekunden relativ kurz belichtet. Trotzdem sind vom fahrenden Verkehr nur Lichtspure­n zu erkennen.
8 BMW Welt, München Die Aufnahme in der blauen Stunde ist mit 0,8 Sekunden relativ kurz belichtet. Trotzdem sind vom fahrenden Verkehr nur Lichtspure­n zu erkennen.
 ??  ?? 9 MIRA Einkaufsze­ntrum,
München
Eine Treppe? Gefaltetes Blech? Vom Kontext gelöste Details machen neugierig.
Ein bewusster Schwenk inszeniert die Fassade des Einkaufsze­ntrums so, dass oben und rechts parallele
Kanten sichtbar werden und die „Auffaltung“noch
deutlicher wirkt.
9 MIRA Einkaufsze­ntrum, München Eine Treppe? Gefaltetes Blech? Vom Kontext gelöste Details machen neugierig. Ein bewusster Schwenk inszeniert die Fassade des Einkaufsze­ntrums so, dass oben und rechts parallele Kanten sichtbar werden und die „Auffaltung“noch deutlicher wirkt.

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