Neuheiten & Trends
Photokina 2020 Nach einer Neuaufstellung 2018 und einer Absage 2019 steht die Photokina am Scheideweg. Führende Kamerahersteller bleiben fern, hippe Formate sollen die Lücken schließen. Wir stellen das neue Konzept vor und wagen einen Blick in die Zukunft
Alles über die Zukunft der photokina sowie neue Kameras und Objektive von Canon, Leica, Pentax und anderen
Meine erste „professionelle“Photokina war 1992. Hatte ich mir vorher als begeisterter Amateur alle zwei Jahre die neuesten Kameramodelle und alles rund ums Hobbylabor angesehen, war ich jetzt auf einmal als Redakteur unterwegs und durfte über all das schreiben, was mir gefiel – und was mir nicht gefiel. Jede Firma, die etwas auf sich hielt musste in Köln dabei sein. Blieb ein Hersteller mal zu Hause, schossen sofort Spekulationen über das Ende dieser Firma aus dem Boden. Das wollte keiner. Also nahm man die Photokina nicht nur als irgendeine Messe mit, die meisten Firmen stimmten ihre Produktzyklen ganz auf den Herbst der „geraden“Jahre ab. Dann stellte man neue Produkte auf der
Photokina vor, und nur ein paar eingeweihte Journalisten und Händler bekamen Informationen vorab.
Der schmerzhafte Wandel
Seitdem befindet sich nicht nur die Fotografie in permanentem Wandel, auch die weltgrößte Fotomesse hat bewegte Zeiten hinter sich. Hersteller wie Kodak oder Agfa, die früher komplette Hallen gefüllt haben, sind völlig von der Bildfläche verschwunden. Andere belegen nur noch einen Bruchteil der Fläche, die sie einst genutzt haben. Umgekehrt finden natürlich auch neue Anbieter den Weg nach Köln, das gleicht die Rückgänge aber nur ansatzweise aus. Das Zusammenwachsen von vielen Bereichen der Unterhaltungselektronik
in dem einen Gerät Smartphone hat deutliche Spuren hinterlassen. In der Folge sind zunächst die digitalen Kompaktkameras nahezu vom Markt verschwunden. Was sie konnten, kann das Smartphone auch. Auch BridgeKameras, die früher den großen Bereich zwischen Kompakten und Systemkameras besiedelt hatten, sind zu Nischenprodukten geworden. Spiegellose Systemkameras, einst die Hoffnungsträger der Branche, schlagen sich wacker. Aber der Preis dieses Erfolgs sind weitere Verluste bei den SLRs. Wir sehen da leider keine neuen Märkte, sondern nur eine Verschiebung von Marktanteilen. Insgesamt verlor der Kameramarkt zuletzt jährlich im zweistelligen Bereich.
Zum schmerzhaften Wandel gehört auch, dass irgendwann viele andere Messen genutzt wurden, um Kameraneuheiten zu präsentieren: Sei es die Consumer Electronics Show CES in Las Vegas oder die Internationale Funkausstellung IFA in Berlin: Sie alle finden jährlich statt und haben ihren Teil dazu beigetragen, die Rolle der zweijährigen Photokina als Leitmesse für Fotografie und Bild zu erodieren. Schließlich kamen die Firmen-MegaEvents dazu.Von Apple haben viele gelernt, dass man Produkte erfolgreich auf einer eigenenVeranstaltung präsentieren kann, bei der man die komplette Kontrolle über alle Details in der Hand hat. Das Keynote-Format ist sehr effizient und bringt deutliche Kostenersparnisse bei gesteigerter Reichweite mit sich. Da werden viele Firmen schwach.
Die Photokina hat sich dieVeränderungen also nicht ausgesucht, sie wurden ihr aufgezwungen.
Und: Dieser Trend betrifft nicht nur die Fotografie. Dass sich die Zeit der Riesen-Branchenmessen dem Ende entgegenneigt, sieht man genauso an der Computermesse Cebit, die nach über 30 Jahren im letzten Jahr einfach eingeklappt wurde. Und selbst CES und IFA haben ihre besten Tage hinter sich.
„Messen sind immer Abbilder des Marktes, und Märkte verändern sich. Auch … über viele Jahre sehr erfolgreiche Messeformate stehen vor der Herausforderung, sich zu wandeln, um den neuen Bedürfnissen ihrer Zielgruppen gerecht zu werden“, sagt Oliver Frese, Geschäftsführer der Koelnmesse GmbH.
Die Photokina im September 2018 war die vorerst letzte ihrer Art. Schon davor hatte man sich aufseiten von Koelnmesse und Photoindustrie-Verband zu einem radikalen Schnitt entschieden: Man verkürzt die Laufzeit auf vier Tage, wechselt in einen jährlichen Modus und wandert vom Herbst in den Wonnemonat Mai. Und man will sich neuen Themen zuwenden. In Stichworten ausgedrückt: kürzer, früher, jährlich und vielseitiger.
Das neue Konzept
Manch alter Photokina-Hase sieht darin eine Rückbesinnung auf alte ‚Tugenden: Der Eventcharakter kommt zurück. Nicht nur Produkte, sondern viele Infos und vor allem auch viel Spaß rund ums Bild. Aber schon der Start war holprig: Die für Mai 2019 geplante Messe wurde abgesagt, weil sie für viele Hersteller zu nah an der letzten Photokina im September 2018 war. Und wie es 2020 sein wird, steht noch ein wenig in den Sternen. Fujifilm, Nikon, Leica, Olympus und Zeiss haben bereits abgesagt – fünf Hersteller, die seit der ersten Photokina 1950 praktisch immer dabei waren. Und es könnte noch schlimmer kommen … Denn aus dem Ausstellerverzeichnis, eigentlich das Prunkstück jeder Messe, macht man eine Art Staatsgeheimnis. Aktuell sind uns deswegen nur Canon, Sony, Panasonic, Sigma, Tamron und Cewe als Aussteller bekannt. Diesen Beitrag schreibe ich Anfang März, und auf der Photokina-Website findet man heute – zweieinhalb Monate vor Messebeginn – einen Rückblick auf die Teilnehmer 2018 und den Hinweis „Die Ausstellersuche zur Photokina 2020 steht Ihnen in Kürze zur Verfügung.“Nicht überzeugend. Koelnmesse und Photoindustrie-Verband geben sich dagegen optimistisch: „…zeigt der Ausblick auf die diesjährige Veranstaltung, dass Emotionen, Eindrücke und Erlebnisse rund um das Medium
Bild in Köln auch 2020 wieder eine würdige Heimat finden.“
Fakt ist: Fotografieren in seinen unterschiedlichen Facetten ist ein fester Bestandteil unseres täglichen Lebens. Zum Festhalten von Momenten für unsere Erinnerung und zum Teilen über soziale Netzwerke kommen die professionellen Anwendungsbereiche im Gesundheitswesen, Sicherheitsund Überwachungssektor, in der Automobilindustrie, Raumfahrt, Architektur/Immobilien und in der Forschung.
Ein wahrer Bilder-Tsumami
Die Zahl der weltweit pro Jahr aufgenommenen Fotos hat zwischen 2013 und 2018 mehr als verdoppelt: von 660 Milliarden auf 1,4 Billionen. „Auch wenn die Marktzahlen es uns manchmal vergessen lassen: Wir erleben gerade eine absolute Blütezeit der Fotografie“, sagt Kai Hillebrandt, Vorsitzender des Photoindustrie-Verbands. „Noch nie wurden mehr Fotos gemacht, noch nie waren mehr Menschen Fotografen, und noch nie haben sich mehr Menschen Gedanken darüber gemacht, wie sie Fotos besser inszenieren können, als heute.“
In allen Pressemeldungen und Ankündigungen wird fleißig Optimismus verbreitet: „Die Koelnmesse als Veranstalter und der Photoindustrie-Verband als ideeller Träger glauben weiter an das Potential der Photokina.“Ok, wenn die nicht, wer dann? Diese Frage könnte man zumindest stellen… Aber den Floskeln folgen auch Argumente: „Die Photokina ist seit jeher ein faszinierender Ort, denn dort treffen Hersteller mit ihren Innovationen auf eine absolut begeisterungsfähige
Klientel. Das Publikum auf der Messe ist einzigartig: Wo finden Sie so treue, so ehrlich interessierte Endkunden in einer nur ansatzweise vergleichbaren Dichte?“Diese Einschätzung können wir aus unserer eigenen Erfahrung voll und ganz bestätigen.
Deshalb wollen die Veranstalter die Photokina 2020 als Ausgangspunkt nehmen, um mit Verbänden, Ausstellern, Fach- und Privatbesuchern auszuloten, wie die Messe neu gestaltet werden kann. Erstmals nach vielen
Jahren wird es wieder eine offizielle Eröffnung geben, „verbunden mit einer inspirierenden Keynote von einem international renommierten Gast zum Thema Transformation“, wie auf der Website zu lesen ist. Wer das sein wird? Man darf gespannt sein …
Angebote für Jung und Alt
Neben den klassischen Zielgruppen „Professionals“und „engagierte Amateure“will man junge Menschen erreichen, die Spaß an der Fotografie haben. Denn man ist überzeugt, dass es auch dieser Zielgruppe nicht nur um schnelle Snaps mit dem Smartphone geht, sondern dass gerade die Generation Instagram für viele Technologien offen ist – wenn man sie denn heranführt. Der Besucheranteil U30 liegt mittlerweile bei 30 Prozent, und der Instagram-Kanal der Photokina greift das Konzept auf und stellt junge internationale Fotografen in den Mittelpunkt. Man setzt auch weiterhin darauf, die Verknüpfung zwischen digitalem Angebot und dem Erlebnis vor Ort zu stärken, etwa mit der neuen Creators Lounge. Hier erklären junge Menschen („Creator“) live auf der Messe und auf ihren Kanälen, wie sie ihr Equipment und die Neuheiten der Aussteller für ihre Produktionen nutzen. Besucher können diese Neuheiten am „Rental Point“dann direkt ausleihen und mit dem neu erworbenen Wissen ausprobieren. Und an erstmals eingerichteten Fotospots auf dem Messegelände kann man sich mit einer Kamera austoben. Ein Konzept, das auch andernorts viele junge Besucher anlockt.
Fotokultur in Köln
Seit 1950 mit der Photokina verbunden sind Fotoausstellungen auf dem Messegelände und in der Stadt. Wer zur Photokina anreist, hat daher die Möglichkeit, nebenbei auch noch rund 100 Fotoausstellungen oder einen von vielen Workshops zu besuchen. Einige Highlights: Der deutsche Dokumentarund Porträtfotograf Manolo Ty stellt Fotografien aus seinem Bildband „Pakistan Now“aus, die auch schon in der Nationalgalerie Pakistans in Islamabad gezeigt worden sind. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendfotopreis und dem Deutschen Pavillon auf der EXPO 2020 wurde der Nachwuchswettbewerb „Zukunft jetzt – Mein Bild für die Expo 2020“zum Thema Nachhaltigkeit ins Leben gerufen. Die 16 Gewinnerfotos (ein Bild pro Bundesland) werden auf der Photokina und im Deutschen Pavillon in Dubai gezeigt. Ebenfalls Nachwuchsfotografen gewidmet sind der ProfiFoto
New Talent Award powered by Canon sowie der Deutsche Jugend Fotopreis.
Wagen wir eine Prognose
Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die vier Tage im Mai über die Zukunft der Photokina entscheiden werden – wenn es nicht doch noch eine Absage wegen des Corona-Virus gibt. Was werden wir an neuen Geräten zu sehen bekommen? Nutzen die Firmen die Messe tatsächlich, um ihre neuesten Produkte vorzustellen? Oder werden diese Influenzern vorab zur Verfügung gestellt, die sie dann auf der Messe via YouTube und anderen Social Media Kanälen präsentieren? Natürlich sind die Absagen von Zeiss, Fujifilm, Leica, Nikon und Olympus in diesem Jahr schmerzhaft und rütteln am Selbstverständnis. Aber noch wollen zahlreiche andere Hersteller kommen. Aus Überzeugung oder als letzter Versuch? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen aus vielen Gesprächen, dass COLORFOTO-Leser immer noch gern neue Produkte in die Hand nehmen und Gleichgesinnte treffen.
Aus Kreisen von Fotografen und Industrievertretern hört man hinter vorgehaltener Hand, dass vielleicht die Mischung aus Alt und Neu die beste
„Messen sind immer Abbilder des Marktes, und Märkte verändern sich.“Oliver Frese, Geschäftsführer der Koelnmesse GmbH
Lösung sein könnte: zurück zum zweijährigen Rhythmus im September, aber gleichzeitig den Eventcharakter weiter verstärken. Ganz gleich, wie die Entscheidung ausfallen wird: COLORFOTO wird in Köln im Mai Meinungen und Stimmungen für Sie einfangen und berichten. Sollte die photokina aber ganz ausfallen, dürfte dies das letzte Kapitel einer großartigen Geschichte gewesen sein. Wir würden das sehr bedauern.
Corona
Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns doch noch die Absage. Die Köln Messe begründet sie wie folgt: „Nach intensiver Beratung hat sich die Koelnmesse GmbH entschlossen, die ursprünglich vom 27. bis 30. Mai 2020 geplante photokina 2020 abzusagen. Die internationale Leitmesse für Foto, Video und Imaging findet das nächste Mal vom 18. bis 21. Mai 2022 statt. Auch die Imaging Innovation Conference feiert nicht wie geplant 2020 Premiere, ein neuer Termin ist in Abstimmung. Generell hat die Geschäftsführung der Koelnmesse entschieden, bis Ende Juni 2020 keine Eigenveranstaltungen in Köln durchzuführen. (…) Dies geschieht auch vor dem Hintergrund der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Länderregierungen vom 16.3.2020 zu gemeinsamen Leitlinien im Umgang mit der Corona-Epidemie. Sie beinhaltet explizit auch die generelle Schließung
von Messen und Ausstellungen. (…) Die Entscheidung, die nächste photokina erst im Mai 2022 zu veranstalten, wurde mit Blick auf verschiedene Faktoren getroffen: Der Imagingmarkt war auch schon vor dem Auftreten des Coronavirus stark in Bewegung. Diese Entwicklung wird nun weiter an Dynamik gewinnen und muss in die Planungen für die kommende photokina einbezogen werden. Dazu kommt, dass durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung sowie zahlreiche Neuterminierungen im globalen Messekalender die Ressourcen unserer Kunden 2021 bereits stark strapaziert werden. Die Ausrichtung 2022 gibt allen Beteiligten genügend Zeit, die nächste photokina nach den Bedürfnissen des Marktes sowie Ausstellern und Besuchern zu gestalten.“Natürlich spielt die aktuelle CoronaPandemie dabei eine Rolle, aber mit der gleichzeitigen Absage für 2021 ist klar: Das Problem ist wesentlich größer. Das neue Konzept der jährlichen Messe im Mai ist gescheitert, bevor es überhaupt live ging. Doch die Hoffnung bleibt, vielleicht gelingt ja 2022 eine Wiederbelebung mit einem völlig neuen Konzept. Reinhard Merz