Liebe Leserinnen und Leser,
seit Jahren tauchen zunehmend KI-Funktionen in Bildbearbeitungs- und Kamerasoftware auf. Mit ChatGPT hat das Thema künstliche Intelligenz enorm an Dynamik gewonnen. Doch was bedeutet KI für die Fotografie? Wahrscheinlich begegnen wir KI derzeit auf drei Ebenen:
1. In Kameras erkennen Algorithmen das Motiv und passen die AF-Steuerung, die Belichtung und den Weißabgleich dem Motiv an.Vor allem Bewegungen von erkannten Objekten lassen sich besser voraussagen, wenn Informationen darüber vorliegen, wie sich solch ein Objekt normalerweise bewegt. Aktuelle Kameras enthalten darum immer häufiger AF-Systeme, die laut Hersteller mit einer KI trainiert wurden. Eine weitere Anpassung an das Verhalten der einzelnen Fotografen scheint nicht stattzufinden. Die Nutzer werden also nicht beobachtet, aber es findet in der Kamera auch kein weiterer Lernprozess statt – soweit der aktuelle Stand nach unseren Informationen.
2. Eine Fotosoftware kann mit Bildern trainiert werden, um die Bildbearbeitung zu optimieren. In den News dieser ColorFoto-Ausgabe finden Sie einen ersten Test des neuen Adobe Lightroom mit einem KI-Entrauscher. Im Test der Canon EOS R50 haben wir die neue KI-Lösung von Adobe mit einem sehr überzeugenden Ergebnis ausprobiert. In der nächsten Ausgabe wird ein Test folgen, der die neue KI-Lösung von Adobe mit dem DxO-Entrauscher vergleicht. Wie sehr oft bei fotografischen KI-Funktionen steht die Frage im Raum, welche Bilder Adobe dazu verwendet, seine Software zu trainieren.
Excire setzt bei der Fotoverwaltung auf KI – das wird auch Thema in einem der kommenden ColorFoto-Ausgaben und im nächsten Wettbewerb sein. Denn im kommenden Wettbewerb Architektur übernimmt Excire eine Jury-Rolle, und so wird es dann zwei Siegerstrecken geben: Für die erste Auswahl ist unsere traditionelle Expertenjury zuständig, die zweite Auswahl wird das mit KI trainierte Excire treffen.
3. Die KI erzeugt die Bilder gleich selbst. Fotografie sollte man das Ergebnis dann wohl nicht mehr nennen – beindruckende Kunst kann es natürlich dennoch sein. Gleichwohl sieht das Ergebnis wie ein Foto aus und basiert wohl auch mehr oder weniger auf Fotos – oder müsste man von einer „Fotoerfahrung der KI“sprechen? Mit der Bing-App war es kein Problem, den Petersplatz in Rom oder den Markusplatz in Venedig mit Autos anzureichern. Die Suche nach einer weniger populären Kirche in Burgund ergab kein sinnvolles Resultat, und eine Abbildung des Papsts auf dem Petersplatz lehnte die Bing-App ab.
Am Sony World Photography Award wollte Sony in der Kategorie „Kreativ“des offenen Wettbewerbs ein durch KI „miterschaffenes“Bild teilnehmen lassen, anschließend lehnte jedoch der Fotograf den Preis publikumswirksam mit Kritik an der Reaktion von Sony ab. Sind KI-Bilder zwar keine Fotografie, aber ein neues Werk? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wer hat am Ende die Rechte: die KI oder der Künstler am PC, der die KI einsetzt, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen? Was passiert, wenn ein Fotograf in einem fremden KI-Werk einen Teil eines seiner Fotos wiedererkennt? Getty verklagt Stability AI wegen Urheberrechtsverstößen. Wer hat also die Rechte an diesen Bildern, und was gilt wo – in Zürich, Berlin und New York? Was denken Sie, welche dieser KI-Themen gehören in eine Fotozeitschrift?