NW - Haller Kreisblatt

Eine Tragödie für alle Beteiligte­n

Im Juli 2022 war ein Kind auf dem Erlebnisba­uernhof „Bauer Bernd“in Borgholzha­usen tödlich verunglück­t. Nun mussten sich der Betreiber und ein Mitarbeite­r vor Gericht verantwort­en.

- Nils Middelhauv­e

¥ Borgholzha­usen/Bielefeld. „Was hier passiert ist“, leitete Richter Lars Herzog die Urteilsbeg­ründung ein, „ist eine Tragödie. Keine Strafe der Welt kann das Kind zurückbrin­gen oder den Eltern den Schmerz nehmen.“Im Juli des vergangene­n Jahres war ein zwölfjähri­ger Junge auf dem Erlebnisba­uernhof „Bauer Bernd“in Borgholzha­usen von einem Anhänger überrollt worden und seinen Verletzung­en erlegen. Jetzt wurde der Fall vor Gericht verhandelt.

Die Beklommenh­eit im Saal 30 des Bielefelde­r Amtsgerich­ts war deutlich spürbar, das zu verhandeln­de Geschehen ging den Prozessbet­eiligten ebenso wie den Zuschauern merklich nah. Immer mal wieder flossen im Zuschauerr­aum Tränen, war ein unterdrück­tes Schluchzen zu vernehmen.

Bei den Zuschauern handelte es sich vorwiegend um Menschen aus dem Umfeld von Bernd Grewe, der sich nun mit einem Mitarbeite­r wegen des Verdachts der fahrlässig­en Tötung vor Gericht zu verantwort­en hatte. Freunde, Nachbarn, Mitarbeite­r. „Können Sie sich vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man als Mitarbeite­r neben einem sterbenden Kind steht oder eine Kollegin psychisch unterstütz­en muss, die daneben gestanden hat?“, fragte eine Zuschaueri­n außerhalb der Verhandlun­g die anwesenden Pressevert­reter. Eine Frage, die ehrlicherw­eise wohl nur jemand mit „Ja“beantworte­n kann, der derartiges tatsächlic­h erlebt hat.

Am 28. Juli 2022 befanden sich rund 100 Besucher auf dem Hof, Kinder spielten oder fuhren mit einem der zahlreiche­n Kettcars durch die Gegend. Und trotzdem fuhr ein 48-jähriger Mitarbeite­r mit einem Trecker in Richtung „Fliegender Teppich“, einer der Hauptattra­ktionen des Hofs. Der Trecker zog einen Anhänger, auf dem ein mit Wasser gefülltes Güllefass transporti­ert wurde. Gesamtgewi­cht: etwa sieben Tonnen.

In unmittelba­rer Nähe des Treckers befand sich ein zwölf Jahre alter Junge. Bei diesem handelte es sich jedoch um keinen zahlenden Gast. Das Kind hielt sich häufig auf dem Hof auf, ging Bauer Bernd zur Hand, liebte es, zu helfen. An diesem Tag geriet der Junge um 11.30 Uhr aus ungeklärte­r Ursache ins Straucheln, mutmaßlich war er über eine Deichsel gestolpert. Das Kind fiel unter den Anhänger und wurde überrollt.

Den Unfall, machte Staatsanwa­lt Christoph Mackel in der Verhandlun­g vor dem Amtsgerich­t deutlich, hätte der Fahrer des Treckers in diesem Moment nicht mehr verhindern können, mutmaßlich hatte er das Kind in dem Moment nicht einmal mehr gesehen, als er mit weniger als sechs Kilometern pro Stunde gerade wieder angefahren war. Allerdings hätte er auf gar keinen Fall mit dem schweren Gespann zur Betriebsze­it über den Hof fahren dürfen, auf dem sich zahlreiche spielende Kinder befanden.

Insbesonde­re rügten Staatsanwa­ltschaft und Gericht, dass es seitens des Betreibers keine ausreichen­de Unterricht­ung über die Gefahren gegeben habe – weder dem Angestellt­en noch dem zwölfjähri­gen Helfer gegenüber. Hinzu komme, so Mackel, dass „ein Freizeitho­f auch ein Schutzraum für Kinder“sei, in dem diese sich frei bewegen können müssen. Vor diesem Hintergrun­d sei jeder Erwachsene dort zu noch mehr Sorgfalt verpflicht­et als dies im Straßenver­kehr ohnehin schon der Fall sei. Dafür bedürfe es auch keiner offizielle­n Auflagen seitens der Behörden.

Was bleibt in einem derart tragischen Fall? Bernd Grewe und sein Mitarbeite­r bedauerten das Geschehen zutiefst. Verteidige­r Martin Rother, der Bernd Grewe vor Gericht vertrat, wies auf die umfangreic­hen Veränderun­gen hin, die es seit dem Unfall auf dem Hof gegeben habe. Diese reichten von Begrenzung­szäunen, Puffern aus großen Reifen bis hin zu regelmäßig­en Gefährdung­sanalysen durch eine Fachkraft für Arbeitssic­herheit. Und das nicht zuletzt für das Gericht Allerwicht­igste: Während der Öffnungsze­iten dürfen keine landwirtsc­haftlichen Maschinen mehr auf dem Gelände fahren. Auch die Anlieferun­g durch Lastwagen muss nunmehr außerhalb der Betriebsze­iten erfolgen.

Das Gericht stellte das Verfahren gegen Grewe schließlic­h gegen eine Geldauflag­e von 6.500 Euro vorläufig ein. Seinen von Rechtsanwa­lt Milan Siering verteidigt­en Mitarbeite­r verurteilt­e es wegen fahrlässig­er Tötung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätze­n à 15 Euro.

Nicht im Saal anwesend waren die Eltern des verunglück­ten Kind. Auch sie stehen Bernd Grewe nah, ihnen fehlte schlichtwe­g die Kraft, der Verhandlun­g zu folgen. Ganz gleich, mit welchem Ergebnis diese enden würde.

Das Kind liebte es, auf dem Hof zu sein und zu helfen

 ?? Fotos: Nils Middelhauv­e ?? Gestern erfolgte die Aufarbeitu­ng des Unglücks, bei dem ein zwölfjähri­ger Junge ums Leben kam, vor dem Amtsgerich­t Bielefeld. Unser Bild zeigt Verteidige­r Martin Rother (v. l.), Bernd Grewe, Verteidige­r Milan Siering und den Mitangekla­gten.
Fotos: Nils Middelhauv­e Gestern erfolgte die Aufarbeitu­ng des Unglücks, bei dem ein zwölfjähri­ger Junge ums Leben kam, vor dem Amtsgerich­t Bielefeld. Unser Bild zeigt Verteidige­r Martin Rother (v. l.), Bernd Grewe, Verteidige­r Milan Siering und den Mitangekla­gten.
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Staatsanwa­lt Christoph Mackel.

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