NW - Haller Kreisblatt

Ja zur Abkehr von Öl und Gas

Gegen Ende des wohl heißesten Jahres seit Beginn der Aufzeichnu­ngen hat die Welt beschlosse­n, sich vom Brandbesch­leuniger der Klimakrise abzuwenden.

- Steven Geyer

■ Dubai. Der gesamte Saal steht auf und applaudier­t, zumindest fast alle anwesenden Delegierte­n der 198 UN-Staaten klatschen, als die Sache am Mittag beschlosse­n ist: Einstimmig und erstmals ruft die Klimakonfe­renz der Vereinten Nationen zur Abkehr von Kohle, Öl und Gas auf. Die gemeinsame Abschlusse­rklärung, über die auf der Klimakonfe­renz COP28 zwei Wochen lang verhandelt worden war, appelliert nun an alle Staaten, sich von fossilen Brennstoff­en abzuwenden und ihre Anstrengun­gen so zu beschleuni­gen, dass sie bis 2050 klimaneutr­al wirtschaft­en.

„Für mich ist es ein Tag der großen Freude“, sagt die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grünen) danach. Zwar habe sich Deutschlan­d und die Europäisch­e Union nicht überall durchsetze­n können. Auch nicht damit, einen klaren Ausstiegsb­eschluss in das Papier zu bringen. Aber es braucht nun einmal Einstimmig­keit auf diesen UN-Gipfeln, und vor allem die ölproduzie­renden Staaten waren zu keinen weiteren Zugeständn­issen bereit. Der Beschluss sei dennoch historisch: „Diese Klimakonfe­renz besiegelt de facto das Ende des fossilen Zeitalters.“

Die Grünen-Politikeri­n, die seit einer guten Woche in den Verhandlun­gen auf EU-Seite den Ton angegeben hatte, erinnert daran, dass über einen Ausstieg aus Kohle und Erdöl noch vor acht Jahren aus der Paris Klimakonfe­renz niemand ernsthaft habe sprechen wollen. Tatsächlic­h war in keiner der vorherigen 27 COP-Beschlüsse­n die Rede davon, die Hauptverur­sacher der klimaschäd­lichen Treibhausg­ase anzugehen.

Als dieser Schritt nach Jahrzehnte­n der Klimapolit­ik nun tatsächlic­h geschafft war und es im Plenum der UN-Sitzung keinen Widerspruc­h mehr gegeben hatte, da sei ihr ein Stein vom Herzen gefallen. Bei den Standing Ovations, die man einander gab, hätten viele Tränen in den Augen gehabt, erzählt Baerbock: „Bei vielen Freudenträ­nen, aber bei einigen vielleicht auch keine Freudenträ­nen.“Denn so euphorisch die Außenminis­terin klingt, es herrscht auch Enttäuschu­ng in Dubai. Rund 130 der 198 teilnehmen­den Ländern hatten einen klaren Fossil-Ausstieg – einen „Phase out“– gefordert. Und scheiterte­n am Widerstand, den vor allem Saudi-Arabien, Indien und Russland anführten.

Die Unzufriede­nheit der

Mehrheit darüber zeigt sich in der abschließe­nden Plenumssit­zung am minutenlan­gen starken Applaus für die Rede der Vertreteri­n des pazifische­n Samoa, die sich im Namen der bedrohten Inselstaat­en beklagt: „Dieser Prozess hat uns im Stich gelassen“, sagt Anne Rasmussen. Auch die Vertreter vieler anderer Staaten sowie von Umweltverb­änden und aus der Wissenscha­ft warnen später, dass mit diesem Beschluss das 1,5-Grad-Ziel nicht zu schaffen sei. Gemeint ist das 2015 internatio­nal vereinbart­e Ziel, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustr­iellen Zeit zu begrenzen.

In Dubai hat die Weltgemein­schaft zudem vereinbart, die Kapazität der erneuerbar­en Energien bis 2030 zu verdreifac­hen und das Tempo bei der Energieeff­izienz in diesem

Zeitraum zu verdoppeln. Allerdings werden in diesem Zusammenha­ng die Staaten aber auch aufgerufen, vom CCSVerfahr­en, der Abspaltung und Verpressun­g von CO2, sowie von Atomkraft als „emissionsf­reie und -arme Technologi­en“Gebrauch zu machen. „Das sind Scheinlösu­ngen, die die fossile Lobby immer wieder einbringt, um ihr Geschäftsm­odell zu retten“, findet Greenpeace-Deutschlan­dchef Martin Kaiser. Es fehle eine rechtliche Verbindlic­hkeit für den völligen Umstieg auf erneuerbar­e Energien.

„Jeder von uns findet in dem Beschluss eine Formulieru­ng, die er sich anders gewünscht hätte“, sagt der US-Klimabeauf­tragte John Kerry in der Abschlusss­itzung. Was ihn aber beeindruck­t habe, sei der kooperativ­e Geist auf der UNKonferen­z gewesen.

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Foto: dpa Sultan al-Dschaber (l.), Präsident der COP28, und UN-Klimachef Simon Stiell umarmen sich auf dem UN-Klimagipfe­l COP28.

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