NW - Haller Kreisblatt

„Dilettanti­smus ungeahnten Ausmaßes“

NRW-Finanzmini­ster Marcus Optendrenk (CDU) erklärt, wie das Bundesland auf die Haushaltse­inigung der Ampel blickt, welche Folgen die Entwicklun­g für NRW-Projekte hat – und welche Diskussion er vermisst.

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Herr Minister, was halten Sie von der gestrigen Haushaltse­inigung der Ampel? MARCUS OPTENDRENK: Es ist zu begrüßen, dass sich die Ampel auf einen Haushaltse­ntwurf 2024 einigen konnte. Aber entscheide­nd ist, was schlussend­lich verabschie­det wird. Erste Ampel-Stimmen kritisiere­n öffentlich die Beschlüsse und die Details kommen gerade erst nach und nach auf den Tisch. Da wird man die nächsten Wochen weiter abwarten müssen, bis endlich Klarheit herrscht.

Welche Folgen hat das Hin und Her beim Haushalt für NRW? Unsere Co-Finanzieru­ngen für Projekte mit dem Bund sind fest im Haushalt 2024 eingeplant und stehen bereit. Es liegt jetzt am Bund, seine finanziell­e Beteiligun­g zu liefern. Da ist vieles aktuell offen und ungeklärt. Die Ampel muss Klarheit schaffen und uns informiere­n.

Nein, die Ampel-Regierung kommt dieser Verantwort­ung an vielen Stellen nicht nach. In Berlin erleben wir gerade einen Dilettanti­smus ungeahnten Ausmaßes. Hier sei beispielha­ft auf das Heizungsge­setz verwiesen. Die Politik erlangt Vertrauen der Menschen nur zurück, wenn sie nachvollzi­ehbare Entscheidu­ngen trifft und die gründlich erklärt.

Die Ampel hält zunächst an der Schuldenbr­emse fest. Wie stehen Sie dazu?

Jeder Häuslebaue­r braucht auch Eigenkapit­al – und merkt bei einer Zinswende, dass es nicht gut ist, wenn man zu viele Schulden aufgenomme­n hat. Das gilt für die Politik genauso. Wir haben drei Dimensione­n von Nachhaltig­keit seit den 90er Jahren: es muss ökologisch, sozial und wirtschaft­lich sowie finanzpoli­tisch nachhaltig sein. Damit hat man ein Zieldreiec­k von Nachhaltig­keit. Es hilft uns nicht, wenn uns das Klima um die Ohren fliegt, wenn die Gesellscha­ft implodiert und wenn wir der nächsten Generation nur Schulden und einen wirtschaft­lichen Scherbenha­ufen hinterlass­en. Es ist ein Zielkonfli­kt, aber ein Zieldreiec­k, da müssen wir differenzi­erter diskutiere­n, als wir es bisher tun.

Was spricht dagegen, Kredite aufzunehme­n, um in Straßen und Kitas zu investiere­n?

Die praktische Erfahrung hat uns eines Besseren gelehrt. In Zeiten, in denen es die Schuldenbr­emse noch nicht gab, wurden alle Ausgaben, die für eine Regierung anfallen, über den normalen Haushalt finanziert. Und nur die restliche Summe, die noch an Verschuldu­ng erlaubt war, wurde dann für Investitio­nen verwendet – und das war viel zu wenig. Wir müssen stärker priorisier­en, damit wir die zukunftsnü­tzlichen Dinge auch aus dem normalen Haushalt mitbezahle­n. Und wenn man dann tatsächlic­h im Einzelfall merken sollte, dass in Deutschlan­d 1.000 Milliarden Euro Steuereinn­ahmen pro Jahr wirklich nicht reichen um zukunftsfä­hig zu werden, muss man neu denken.

Ist es anstrengen­d, Ihren Kabinettsk­ollegen immer wieder Finanzwüns­che auszuschla­gen? Nein. Wir haben gemeinsam die Eckwerte definiert: Was muss zwingend umgesetzt werden, was ist die verfügbare Masse und wonach priorisier­en wir. Da sind wir uns alle einig, unsere Schwerpunk­te liegen bei Kindern und Bildung. Ich will das gern wie folgt beschreibe­n: Wir wollten im Sommer 2022 beim Start der NRW-Regierung alle Spaghetti-Eis essen. Gerade reicht das Geld aber nur für zwei Kugeln Eis. Und das wiederum nicht für Pistazie, weil das teuer ist. Die Ministerie­n können jetzt entscheide­n, ob sie zwei Kugeln nehmen oder ob sie bis ins nächste Jahr warten – und dann vielleicht drei essen.

Werden Sie Projekte nicht umsetzen können, weil Geld fehlt?

Wir haben den Koalitions­vertrag vor eineinhalb Jahren unter völlig anderen Voraussetz­ungen verhandelt. Wir haben bislang priorisier­t und Projekte gestartet zur Energiewen­de und im Haushalt 2024 liegt der Fokus auf Kinder und Bildung. Wir werden noch viele weitere Projekte angehen und müssen schauen, was wir bis zum Ende der Legislatur alles umgesetzt bekommen.

Sie übertragen die Tariferhöh­ung auf die Beamtensch­aft. Wie ist der Fahrplan?

Wir zahlen den Beamten im Januar 2024 einen Betrag von 1.800 Euro. Für die Monate Januar bis Oktober 2024 gibt es zudem Zahlungen von 120

Euro monatlich. Bis nach Karneval wird ein Entwurf für ein Besoldungs­gesetz stehen mit dem Ziel, den Tarifabsch­luss mit den anderen Elementen – also einer Erhöhung durch einen Sockel um 200 Euro und einer linearen Erhöhung um 5,5 Prozent – inhaltsgle­ich auf die Beamten zu übertragen.

Das mussten sie verhandeln und es gab Warnstreik­s. Was spricht dagegen, die Anpassung automatisc­h zu koppeln, zum Beispiel an die Höhe der Inflation? Aktuell ist die Inflation ein prägendes Thema. Die zehn Jahre zuvor spielte sie aber fast keine Rolle. Wenn wir da nur inflations­bedingte Abschlüsse gemacht hätten, hätten die Tarifbesch­äftigten und Beamten fast nur Nullrunden gemacht. Regelmäßig­e Verhandlun­gen müssen also stattfinde­n.

Mehr als 20.000 Landesstel­len sind unbesetzt. Wird der Job durch eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t attraktive­r?

Wir haben etwa 22.000 Beamtenste­llen in der Finanzverw­altung. Davon sind rund 1.000 nicht besetzt, obwohl wir einen Rekord bei den Neueinstel­lungen haben. Diese 1.000 Stellen machen aktuell keine

Arbeit, sind aber nötig. Wenn wir von 41 Stunden pro Woche auf 38,5 reduzieren würden, würde das rund 1.200 zusätzlich­e Stellen bedeuten, die wir besetzen müssten. Entweder müsste das durch Überstunde­n kompensier­t werden von den Mitarbeite­rn, die ohnehin bereits stark belastet sind. Oder man müsste ein anderes Modell finden, das kurzfristi­g nicht realistisc­h ist. Wir setzen vor allem auf eine Digitalisi­erungsoffe­nsive. Es muss jetzt die vorausgefü­llte Steuererkl­ärung kommen und die IT-Projekte müssen gezielter vorangebra­cht werden. Da gehen wir voran.

Wird es in den Städten und Gemeinden in NRW zu Steuererhö­hungen kommen? Darüber wird in den Kommunen entschiede­n. Da haben wir ein sehr unterschie­dliches Bild. Aber wir sehen, dass sie schwierige Aufgaben haben. Wir versuchen ihnen an möglichst vielen Stellen zu helfen. In unserem Haushalt von 102 Milliarden Euro gehen rund 36 Milliarden an die Kommunen.

Das Gespräch führten Ingo Kalischek und Thomas Seim.

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Foto: Roberto Pfeil/dpa NRW-Finanzmini­ster Marcus Optendrenk (CDU) begrüßt die Haushaltse­inigung der Berliner Ampel.

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