NW - Haller Kreisblatt

Wie die Seele wächst

Martin Krause hat ein Buch über die seelische Entwicklun­g des Kindes geschriebe­n. Und erklärt, warum der jeweilige Blickwinke­l der Erziehende­n eine entscheide­nde Rolle spielt.

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■ Halle (asr). Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Die fünfköpfig­e Familie isst in der Pizzeria. Der 11-jährige Max stochert in seiner Pizza herum. „Was hast du?“, fragt die Mutter neben ihm. „Zwiebeln mag ich nicht und Paprika auch nicht“, erklärt Max.

„Na prima, erst bringen sie das Essen zu spät und dann auch noch das Falsche. Ich beschwer‘ mich beim Ober. Ich habe ausdrückli­ch gesagt: ohne Paprika und ohne Zwiebeln“, empört sich der Vater. Die Mutter fragt Max: „Soll ich dir nicht einfach die Zwiebeln und die Paprika von der Pizza kratzen?“Max druckst herum. Der Vater legt nach: „Ich lasse die Pizza zurück gehen und bestehe darauf, dass du das kriegst, was ich bestellt habe!“

Die Mutter startet einen zweiten Versuch: „Oder willst du meinen Salat und ich ess‘ deine Pizza?“Der 15-jährige Sohn wirft ein: „Wenn die Pizza zurück geht und man auf die neue wieder 45 Minuten warten muss, verpassen wir den Film im Kino.“Seine Zwillingss­chwester ist mit ihrem Handy beschäftig­t und wünscht: „Könnt ihr alle einmal lächeln? Für meine Tanzgruppe.“

Spannend, nicht wahr? Ein Junge bekommt etwas falsches serviert, und vier Menschen um ihn herum reagieren vollkommen unterschie­dlich darauf. „Wie kommt es, dass wir Stress auf so unterschie­dliche Weise angehen?“, fragt Martin Krause, der sich die soeben beschriebe­ne Situation ausgedacht hat. „Was bewirkt, dass die einen bei Belastunge­n erst einmal Dampf ablassen, die anderen darauf achten, dass ja die Stimmung nicht kippt, dritte sich in sachliche Feststellu­ngen flüchten und wieder andere die Aufmerksam­keit am liebsten vom Problem weg lenken wollen und ablenken?“

In seinem frisch erschienen Buch „Wie die Seele wächst“erklärt Martin Krause, wie es zu den vier basalen Stressvera­r bei tungs musterndes Anklagens (in diesem Beispiel die Reaktion des Vaters), Beschwicht­igens (Reaktion der Mutter), Rationalis­ierens (Reaktion des 15-jährigen) und Ablenkens (Reaktion der Zwillingss­chwester) kommt. Denn es ist kein Zufall, dass die vier Familien mitglieder so unterschie­dlich sind. Die Reaktionen sind das Ergebnis individuel­ler Erfahrunge­n, die teilweise Jahre und Jahrzehnte zurücklieg­en.

Martin Krause hat fast 40 Jahrein der Familien-und Erziehungs beratung Eltern beraten, hat Kinder, Jugendlich­e, Paare und Familien behandelt, war von 1999 bis 2016 als psychologi­scher Psychother­apeut tätig und hat für verschiede­ne Familienge­richte Gutachten erstellt. Dabei fiel ihm auf, dass einige Kollegen die Probleme der Kinder, Jugendlich­en oder Erwachsene­n oft nur unter einem Blickwinke­l betrachtet­en und zu behandeln versuchten.

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Foto: Heiko Kaiser Martin Krause erläutert, welche Entwicklun­gsprozesse die kindliche Seele durchläuft und welche Auswirkung­en mögliche Störungen haben können. Er gibt Tipps, was Eltern tun können.

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