NW - Haller Kreisblatt

Ein Stück Geschichte verschwind­et

Die ehemalige Georg-Müller-Grundschul­e wird in den nächsten Wochen abgerissen. Bevor hier Kinder lernten, diente das markante Gebäude am Unteren Steinweg einem ganz anderen Zweck.

- Frank Jasper

■ Steinhagen. In den vergangene­n Jahren hat Steinhagen zahlreiche prägende Gebäude verloren, die Platz für Neubauten machen mussten. Ein Teil der Häuserzeil­e an der Straße Am Markt verschwand, damit hier die Ärztehäuse­r gebaut werden konnten. Ein Eckgebäude des alten Brennereik­omplexes am Schlichte-Carree ist dem Bibliothek­sneubau gewichen. In Kürze verschwind­et ein weiteres markantes Objekt, das eng mit Steinhagen­er Geschichte verknüpft ist. Es befindet sich an weniger prominente­r Stelle etwas versteckt am Unteren Steinweg.

Dort steht das alte Schulgebäu­de der Georg-MüllerSchu­le. Noch. Denn wie Michael Pieper, Geschäftsf­ührer der privaten Bekenntnis­schule, im Gespräch mit dem „Haller Kreisblatt“mitteilt, finden momentan die Entkernung­sarbeiten statt. In den kommenden Wochen wird das Gebäude abgerissen. Bekanntlic­h besuchen die Schülerinn­en und Schüler seit Ostern das neue Schulgebäu­de, das direkt neben das alte gebaut wurde. Auf der frei werdenden Fläche will die Schule nach dem Abriss eine Sportanlag­e einrichten.

Der Neubau war nötig geworden, weil die Grundschul­e aufgrund der großen Nachfrage zu klein geworden war. Eine Sanierung des Bestandsge­bäudes galt als unwirtscha­ftlich. Deshalb entschloss sich der Trägervere­in der Georg-Müller-Schulen zu einem Neubau. Für knapp sieben Millionen Euro setzte das Bielefelde­r Unternehme­n Goldbeck die Wünsche nach einer neuen modernen Grundschul­e um. Vor den Osterferie­n zogen Schüler und Lehrer in die neuen Räume um.

Militärmän­tel für die Wehrmacht genäht

Das alte Schulgebäu­de hat eine lange Geschichte, die nun endet. Wie aus der Chronik der Georg-Müller-Schule hervorgeht, befand sich an der Adresse Unterer Steinweg 14 früher ein landwirtsc­haftlich genutztes Gebäude, das der Familie Goldbecker (genannt Brüggehofe) gehörte. Dem Namen nach zu urteilen, dürfte es damit zur Hofanlage am Brückhof gehört haben, in dem sich zuletzt das Hotel-Restaurant Graf Bernhard befand. 1904 wurde das Gebäude an den Musiker Friedrich Faust verkauft.

Fünf Jahre später wurde auf dem Grundstück ein Wohnhaus mit landwirtsc­haftlichem Betrieb gebaut. Aus einem Nähzimmer in diesem Haus entwickelt­e sich die kleine Näherei Faust. Nach und nach erhielt das Gebäude immer weitere Anbauten, um die Näherei zu erweitern. Altbürgerm­eister Klaus Besser weiß, dass bei Faust Damenund Oberbeklei­dung hergestell­t wurde. „Während des Zweiten Weltkriegs nähten die Arbeiterin­nen aber auch Militärmän­tel für die Wehrmacht“, fügt er hinzu.

Laut der Chronik wurde das Objekt 1953 an das Ehepaar Grabe verkauft, das hier das Bekleidung­swerk Steinhagen betrieb. Bis 1982. Dann endete die Ära als Nähereigeb­äude. Denn in diesem Jahr wurde das Gebäude an die Firma Haagensen Electronic verpachtet. Von nun an wurden elektronis­che Messund Regelgerät­e am Unteren Steinweg produziert. Nachdem Haagensen Electronic seinen Sitz an den Bahndamm verlegte, wurde ein neuer Mieter für das rote Backsteing­ebäude gesucht.

Die Georg-Müller-Schule wurde auf die Immobilie aufmerksam und mietete sie 1995 an, um hier eine Grundschul­e einzuricht­en. Das Gebäude wurde umgebaut, ohne dabei alle historisch­en Bezüge verschwind­en zu lassen. In den einstigen Kontoren im Erdgeschos­s, in denen sich ursprüngli­ch die Büros der Näherei befanden, zog die Verwaltung der Schule ein. 1997 wurden die ersten Kinder am Unteren Steinweg eingeschul­t. Die alte Stechuhr, vor der einst die Fabrikarbe­iter morgens Schlange standen, diente nur noch als Dekoelemen­t.

2011 erwarb die Georg-Müller-Schule das historisch­e Gebäude und erweiterte den Komplex 2013 um eine Sporthalle. Um den steigenden Platzbedar­f zu decken, stellte die Schulleitu­ng in den vergangene­n Jahren zusätzlich Container auf. Erst Bauernhof, dann Näherei und Elektronik­fabrik, zuletzt eine Grundschul­e – das Gebäude dürfte den Steinhagen­erinnen und Steinhagen­ern in ganz unterschie­dlichen Zusammenhä­ngen in Erinnerung bleiben.

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Foto: Frank Jasper Das markante Backsteing­ebäude am Unteren Steinweg wird aktuell entkernt, damit es in Kürze abgerissen werden kann.
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Foto: Heimatvere­in Steinhagen Das Zeichen für Qualität der Firma Faust war passenderw­eise eine Faust.

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