„Sprache ist meine Leidenschaft“
Die gebürtige Detmolderin Iris Berben spricht im Interview über ihren neuen Film „791 km“, über Feminismus, Cancel Culture und die Risiken und Chancen von künstlicher Intelligenz.
Frau Berben, Was hat Sie denn am meisten gereizt bei diesem Film mitzumachen?
IRIS BERBEN: Diese fünf so unterschiedlichen Menschen, die in einem Taxi auf der langen Fahrt von München nach Hamburg im engen Raum aufeinandertreffen. Und sich mit sich selbst und den anderen auseinandersetzen müssen. Das alles, ohne die üblichen Klischees zu bedienen. Da ist viel Platz, damit sich jede Figur langsam herausschält und das Innerste aus den anderen herausgekitzelt wird. Es war eine eine große Freude, dabei zu sein.
Sie spielen Marianne, eine Mischung aus Hippie und Alt-68erin. Hat man Ihnen die Rolle auf den Leib geschrieben? Der Regisseur Tobi Baumann hatte mich schon vor längerer Zeit auf das Projekt angesprochen. Es hat dann aber eine gute Weile gedauert, bis der Film gedreht werden konnte. Nicht zuletzt wegen der Covid-Pandemie. Als ich die Drehbuchfassung las, kamen mir manche Dinge durchaus bekannt vor! (lacht) Und ich glaube schon, dass dabei auch ein bisschen auf meine Biografie geblinzelt wurde.
„Die Frauenbewegung hat viel erreicht, aber leider auch einen Kollateralschaden hinterlassen“, sagt Marianne im Film. Sie treten in der Öffentlichkeit als selbstbewusste, politisch engagierte Aktivistin auf. Wie stehen Sie zu diesem Satz?
Der Begriff Feminismus hat im Laufe der Zeit ja einige Veränderungen erfahren. Wenn man an die Feministinnen in den 50er und 60er Jahren zurückdenkt, hat man immer ein bestimmtes Bild vor Augen – auch was die Radikalität betrifft. Ich würde mich schon als Feministin bezeichnen, seit ich wahrgenommen habe, wie groß die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind. Gegen diese Benachteiligungen bin ich schon in den 60er Jahren auf die Straße gegangen. Leider haben Frauen noch immer nicht die gleichen Rechte. Immer noch bekommen Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn.
Das führt zu einer Schwächung der sozialen Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft. Daran hat sich bis heute eben nichts geändert. Aber es ist noch mehr dazugekommen: die #MeToo-Debatten. Da wurden ganz andere Dinge in Frage gestellt. Dinge, die wir Frauen zwar damals mit einer gewissen Rotzigkeit nicht zugelassen haben, die heute aber natürlich einen ganz anderen Stellenwert haben. Weil neue Generationen von Frauen dieses Selbstbewusstsein und Selbstverständnis auch heute immer noch einfordern müssen. Wir sind noch lange nicht fertig. Aber diese Veränderungen können wir nur gemeinsam mit den Männern erreichen. Und nicht gegeneinander.
Im Film werden viele ZeitgeistThemen angesprochen, auch die sogenannte Cancel Culture. Wie stehen Sie denn dazu?
Ich stehe auf dem Standpunkt: Wir sind erwachsene Menschen! Gebt uns die Möglichkeit, über Veränderungen, die auch in der Sprache und im Umgang mit Menschen im Gange sind, selbst entscheiden zu können. Und auch darüber, wie wir das angehen. Ich halte es für kontraproduktiv, Kinder in eine Welt zu entlassen, in der man ihnen die Korrekturen schon mitgegeben hat. Ohne zu sagen: „Schau mal, so haben wir früher etwas benannt. Jetzt erkläre ich dir, warum man das heute nicht mehr tut.“Ich finde diese Auseinandersetzung wichtig. Und natürlich ist es auch sehr wichtig, dass wir eine Gesellschaft haben wollen, die niemanden und nichts ausgrenzt. Aber einen Schalter umzulegen oder Dinge einfach nicht mehr sichtbar zu machen, halte ich für falsch. Denn damit sind so wichtige Themen wie Ausgrenzung, Antisemitismus, Selbstbestimmung, Fremdenfeindlichkeit, usw. plötzlich scheinbar erledigt. Doch diese Diskussionen müssen auf jeden Fall stattfinden – und nicht das Canceln!
Sie haben vor einiger Zeit sehr eloquent durch die TV-DokuSerie „Schickeria – als München noch sexy war“geführt. Damals haben viele den Sex & Drugs & Rock’n’Roll-Lebensstil noch praktiziert. Das sollte man heute weder verklären, noch sollte man sich dafür entschuldigen. Das kann man doch auf moderne Art weiterleben.
Ich versuche es nach wie vor! (lacht) Und wir könnten doch heute sagen: „Alkohol ist auch eine Droge.“Wir sind erwachsen genug und sollten uns auch zu unseren Fehlern bekennen. Und uns mit der Unwissenheit, die wir hatten – und immer noch haben – auseinandersetzen und darüber reden, warum das heute anders ist als damals.
In Hollywood haben Künstler lange für eine bessere Entlohnung gestreikt und auch gegen den Einsatz der sogenannten Künstlichen Intelligenz. Befürchten Sie, dass die KI gerade in die Arbeit von Schauspielern massiv eingreifen könnte? Oder in Zukunft Schauspieler sogar überflüssig machen könnte? Zunächst ist die Künstliche Intelligenz eine ungeheuere Entwicklung und Erleichterung, denken wir nur mal an den Bereich Medizin. In Bezug auf den Schauspielerberuf ist die KI ein sehr komplexes Thema. Schon jetzt merken wir ja, dass Synchronarbeit fast gar nicht mehr nötig ist, weil Stimmen von der KI gesampelt werden können. Dadurch fällt nach und nach eine ganze Berufsgruppe weg. Aber die KI hat auch Auswirkungen auf andere kreative Branchen. Und in Zukunft, fürchte ich, werden wir da keine Möglichkeiten mehr haben, wirklich einzugreifen.
Es ist also allerhöchste Zeit, dass wir eine verbindliche Rechtslage schaffen, die kreative Menschen und ihre Arbeit schützt. Es muss absolut sichergestellt werden, dass du das Recht an dir selbst behältst. Da gibt es eine Menge zu tun.
Sie sind künstlerisch auf vielen Gebieten unterwegs. Was ist denn Ihr größtes Anliegen? Wenn ich eine Leidenschaft habe, dann ist es die Sprache. Sprache ist etwas ganz Besonderes. Etwas ganz Bereicherndes. Mich mit Sprache zu beschäftigen ist das, was ich am häufigsten mache.
Wie würden Sie sich denn selbst mit vier Worten beschreiben?
Ungeduldig, neugierig, großzügig, witzig.
Das Gespräch führte Ulrich Lössl