Die Suche nach Heimat
Von Indra Maria Janos Folge 152
„Ich dachte, meine Ohnmachtsanfälle wären damals von der Schwangerschaft gekommen.“
„Du musst das untersuchen lassen. Evjatar kann ja nun nichts mehr damit zu tun haben, oder?“Chemjo sah sie so hilflos an, dass Mascha lächeln musste. Sie hatte ihm nichts von ihren ständigen Ohnmachten erzählt, damit er sich keine Sorgen machte.
Sie blickte lächelnd zum Kinderwagen, in dem der kleine Junge friedlich schlief. „Nein, es ist wohl einfach alles zu viel für mich.“
Das Ende vom Lied
Ich säh’ dich gern noch einmal, wie vor Jahren
Zum erstenmal. – Jetzt kann ich es nicht mehr.
Ich säh’ dich gern noch einmal wie vorher, Als wir uns herrlich fremd und sonst nichts waren.
Ich hört’ dich gern noch einmal wieder fragen,
Wie jung ich sei . . . was ich des Abends tu –
Und später dann im kaumgebornen „Du“Mir jene tausend Worte Liebe sagen.
Ich würde mich so gerne wieder sehnen . . . Dich lange ansehn stumm und so verliebt –
Und wieder weinen, wenn du mich betrübt,
Die vielzuoft geweinten dummen Tränen.
– Das alles ist vorbei . . . Es ist zum Lachen! Bist du ein andrer oder liegt’s an mir? Vielleicht kann keiner von uns zwein dafür . . .
– Man glaubt oft nicht, was ein paar Jahre machen. Ich möchte wieder deine Briefe lesen, Die Worte, die man liebend nur versteht. Jedoch mir scheint, heut ist es schon zu spät. – Es ist ein unbarmherzig Wort: „Gewesen!“. . .
Drohendes Unheil und Veränderungen
Berlin, Sommer 1937 bis Sommer 1938
In den nächsten Wochen hatte Mascha immer wieder Magenschmerzen und wurde noch zweimal ohnmächtig. Irgendwann gab sie Chemjos Drängen nach und ging zu ihrem Hausarzt, der Maschas Verdacht jedoch nur bestätigte. Körperlich konnte er nichts feststellen, was die Ohnmachten und Übelkeiten auslöste. Er erklärte, es müsse psychische Ursachen geben. Mascha glaubte ihm, denn ihr Magenleiden hatte tatsächlich erst mit ihrer Beziehung zu Chemjo und den damit verbundenen Heimlichtuereien begonnen. Wenn ihre Eheprobleme gelöst wären, würde sie bestimmt wieder gesund werden.
Aber das Verhältnis zwischen Mascha und Saul war weit davon entfernt, sich zu klären. In den ersten Wochen sprach Saul kein Wort mit ihr, und sie ging ihm aus dem Weg. Sie erlebte ihren Mann so kalt und verbissen, wie sie ihn in all den Jahren zuvor nicht gekannt hatte. Doch eines Abends, als Mascha in die Bleibtreustraße zurückkam, fand sie einen großen Blumenstrauß auf dem Küchentisch vor. Saul erwartete sie im Wohnzimmer und reichte ihr einen langen Brief, in dem er ihr seine ewige Liebe und Treue schwor. Mascha starrte ungläubig auf das Papier, unfähig, etwas zu erwidern.
In den kommenden Tagen überhäufte Saul sie mit kleinen Geschenken. Jeden Tag fand Mascha Briefe oder Zettelchen vor, auf denen er ihr seine Liebe beteuerte.
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