NW - Haller Kreisblatt

Trauerstaa­tsakt für Schäuble

Politik und Gesellscha­ft nehmen Abschied von dem Ausnahme-Politiker. Er wird als großer Demokrat, Europäer und Freund Frankreich­s gewürdigt.

- Markus Decker und Stefan Geyer

¥ Berlin. Wie lang das politische Leben von Wolfgang Schäuble war, konnte man auch an den Lebenden erkennen, die dem Toten am Montag die letzte Ehre erwiesen. Der ehemalige Bundesinne­nminister Rudolf Seiters war ebenso in den Berliner Dom gekommen wie Nordrhein-Westfalens einstiger Ministerpr­äsident Jürgen Rüttgers (beide CDU) oder der frühere SPDVorsitz­ende und Vizekanzle­r Franz Münteferin­g. Dazu wie angekündig­t Altkanzler­in Angela Merkel und, eher unerwartet, Altfußball­star Günter Netzer.

Nachdem Schäuble am zweiten Weihnachts­tag in seiner Heimatstad­t Offenburg gestorben war, wo auch die Beerdigung stattfand, folgte am Beginn dieser Woche der staatliche Teil des Gedenkens an den 81-Jährigen, der 51 Jahre Mitglied des Bundestage­s gewesen war – zunächst im Berliner Dom und anschließe­nd im Hohen Haus.

In den Dom hielt die Witwe Ingeborg Schäuble mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbende­r Einzug, gefolgt von Kanzler Olaf Scholz. Kurz zuvor hatten Schäubles Kinder mit ihren Partnern die Kirche betreten, begleitet vom CDUVorsitz­enden Friedrich Merz. Vor dem Weihnachts­baum stand ein großes SchwarzWei­ß-Foto des Toten.

Die Vorsitzend­e des Rates der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Bischöfin Kirsten Fehrs, würdigte die Kraft des CDU-Politikers, der 1990 von einem psychisch kranken Mann angeschoss­en wurde und seither querschnit­tsgelähmt war. „Es gibt Schweres, ja, Rollstühle, Barrieren, Grenzen aller Art, aber nichts, woraus man nicht das Beste machen könnte“, sagte sie. Schäuble jedenfalls hielt sich an diese Devise. Er gab sechs Wochen nach dem für ihn so folgenschw­eren Attentat die erste Pressekonf­erenz – entschloss­en, sich nicht unterkrieg­en zu lassen.

Fehrs nannte den Verstorben­en außerdem einen „imponieren­den Antipopuli­sten“und Menschen, „der sich ganz und gar, mit all seiner Kraft, Leidenscha­ft und Hingabe in den Dienst unseres Gemeinwese­ns und unserer Demokratie gestellt hat. Und dem mit seiner Willenskra­ft so vieles gelang.“Dabei verwies sie wie andere auf die deutsche Vereinigun­g, den letztlich durch Schäubles Bundestags­rede bewirkten Umzug von Regierung

und Parlament von Bonn nach Berlin sowie die Einberufun­g der Deutschen Islamkonfe­renz im Jahr 2006 – Werke eines Mannes, der mit seinem Scharfsinn „auch Schärfe“gekonnt habe.

Später sprach der ehemalige EKD-Ratsvorsit­zende Wolfgang Huber – in Schäubles Alter und wie dieser aus dem Badischen stammend. Er sagte, Schäuble sei „bei aller Bodenständ­igkeit ein Intellektu­eller von weitem Horizont gewesen“, der nicht zuletzt auf Grundlage des Glaubens immer wieder zur „Einsicht in die Grenzen der Macht“geraten habe, gewisserma­ßen als „Vorkehrung gegen Übermaß“. Die Niederlage­n Schäubles, der vielfach Minister sowie am Schluss Bundestags­präsident war, blieben unerwähnt, darunter der ihm versagte Einzug ins Kanzleramt und die CDUSpenden­affäre, die ihn den Parteivors­itz kostete.

Dem Gottesdien­st folgte der Staatsakt im Bundestag, bei dem niemand Geringerer als der französisc­he Präsident Emmanuel Macon redete, dies zu

Beginn sogar auf Deutsch. „Deutschlan­d hat einen Staatsmann verloren. Europa hat eine Säule verloren. Frankreich hat einen Freund verloren“, sagte er. Ein halbes Jahrhunder­t lang habe man die Stimme „dieses Deutschen“hier hören können. Dass der sich gewünscht habe, dass bei seiner Trauerfeie­r ein Franzose auftrete, sage viel aus über das Vertrauen zwischen beiden Ländern, über ihre Geschichte und Zukunft, betonte das aus Paris angereiste Staatsober­haupt, das die Bedeutung der deutsch-französisc­hen Freundscha­ft hervorhob und dafür stehenden Applaus erhielt.

Friedrich Merz schließlic­h unterstric­h, seine Erfahrung habe Schäuble zum Kämpfer für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaa­tlichkeit gemacht. „Wir wären ohne Wolfgang Schäuble heute nicht in dieser Stadt und nicht an diesem Ort“, sagte er, eingedenk seiner großen Rede in der Bonn-BerlinDeba­tte.

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Foto: afp Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier begleitet Ingeborg Schäuble im Bundestag zusammen mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas.

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