Trauerstaatsakt für Schäuble
Politik und Gesellschaft nehmen Abschied von dem Ausnahme-Politiker. Er wird als großer Demokrat, Europäer und Freund Frankreichs gewürdigt.
¥ Berlin. Wie lang das politische Leben von Wolfgang Schäuble war, konnte man auch an den Lebenden erkennen, die dem Toten am Montag die letzte Ehre erwiesen. Der ehemalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters war ebenso in den Berliner Dom gekommen wie Nordrhein-Westfalens einstiger Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (beide CDU) oder der frühere SPDVorsitzende und Vizekanzler Franz Müntefering. Dazu wie angekündigt Altkanzlerin Angela Merkel und, eher unerwartet, Altfußballstar Günter Netzer.
Nachdem Schäuble am zweiten Weihnachtstag in seiner Heimatstadt Offenburg gestorben war, wo auch die Beerdigung stattfand, folgte am Beginn dieser Woche der staatliche Teil des Gedenkens an den 81-Jährigen, der 51 Jahre Mitglied des Bundestages gewesen war – zunächst im Berliner Dom und anschließend im Hohen Haus.
In den Dom hielt die Witwe Ingeborg Schäuble mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender Einzug, gefolgt von Kanzler Olaf Scholz. Kurz zuvor hatten Schäubles Kinder mit ihren Partnern die Kirche betreten, begleitet vom CDUVorsitzenden Friedrich Merz. Vor dem Weihnachtsbaum stand ein großes SchwarzWeiß-Foto des Toten.
Die Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Kirsten Fehrs, würdigte die Kraft des CDU-Politikers, der 1990 von einem psychisch kranken Mann angeschossen wurde und seither querschnittsgelähmt war. „Es gibt Schweres, ja, Rollstühle, Barrieren, Grenzen aller Art, aber nichts, woraus man nicht das Beste machen könnte“, sagte sie. Schäuble jedenfalls hielt sich an diese Devise. Er gab sechs Wochen nach dem für ihn so folgenschweren Attentat die erste Pressekonferenz – entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Fehrs nannte den Verstorbenen außerdem einen „imponierenden Antipopulisten“und Menschen, „der sich ganz und gar, mit all seiner Kraft, Leidenschaft und Hingabe in den Dienst unseres Gemeinwesens und unserer Demokratie gestellt hat. Und dem mit seiner Willenskraft so vieles gelang.“Dabei verwies sie wie andere auf die deutsche Vereinigung, den letztlich durch Schäubles Bundestagsrede bewirkten Umzug von Regierung
und Parlament von Bonn nach Berlin sowie die Einberufung der Deutschen Islamkonferenz im Jahr 2006 – Werke eines Mannes, der mit seinem Scharfsinn „auch Schärfe“gekonnt habe.
Später sprach der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber – in Schäubles Alter und wie dieser aus dem Badischen stammend. Er sagte, Schäuble sei „bei aller Bodenständigkeit ein Intellektueller von weitem Horizont gewesen“, der nicht zuletzt auf Grundlage des Glaubens immer wieder zur „Einsicht in die Grenzen der Macht“geraten habe, gewissermaßen als „Vorkehrung gegen Übermaß“. Die Niederlagen Schäubles, der vielfach Minister sowie am Schluss Bundestagspräsident war, blieben unerwähnt, darunter der ihm versagte Einzug ins Kanzleramt und die CDUSpendenaffäre, die ihn den Parteivorsitz kostete.
Dem Gottesdienst folgte der Staatsakt im Bundestag, bei dem niemand Geringerer als der französische Präsident Emmanuel Macon redete, dies zu
Beginn sogar auf Deutsch. „Deutschland hat einen Staatsmann verloren. Europa hat eine Säule verloren. Frankreich hat einen Freund verloren“, sagte er. Ein halbes Jahrhundert lang habe man die Stimme „dieses Deutschen“hier hören können. Dass der sich gewünscht habe, dass bei seiner Trauerfeier ein Franzose auftrete, sage viel aus über das Vertrauen zwischen beiden Ländern, über ihre Geschichte und Zukunft, betonte das aus Paris angereiste Staatsoberhaupt, das die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft hervorhob und dafür stehenden Applaus erhielt.
Friedrich Merz schließlich unterstrich, seine Erfahrung habe Schäuble zum Kämpfer für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gemacht. „Wir wären ohne Wolfgang Schäuble heute nicht in dieser Stadt und nicht an diesem Ort“, sagte er, eingedenk seiner großen Rede in der Bonn-BerlinDebatte.