NW - Haller Kreisblatt

Betrieb macht verlockend­es Angebot

Immer mehr Unternehme­n probieren die Viertagewo­che aus und ziehen ein erstes Fazit. Nun geht auch ein kleiner Betrieb kurz nach dessen Neugründun­g den Weg. Der Grund liegt dabei auf der Hand.

- Uwe Pollmeier

¥ Halle. Vier Tage arbeiten und drei Tage Wochenende – vor wenigen Jahren hätte wohl fast jeder Chef über eine derartige Forderung seines Angestellt­en gelacht. Mittlerwei­le hat sich jedoch das Blatt gewendet. Work-Life-Balance heißt das neudeutsch­e Zauberwort. Immer mehr Menschen wollen Arbeit und Freizeit mehr ins Gleichgewi­cht bringen. Immer nur in der Firma oder im Büro, während das Familienle­ben an einem vorbeiläuf­t – darauf will sich gerade die junge Generation ungern einlassen.

Voller Lohn bei weniger Arbeit möglich

„Ich denke, das kann funktionie­ren“, sagt Edda Sommer, Geschäftsf­ührerin des Garten- und Landschaft­sbauuntern­ehmen Sommer Grün GmbH in Halle. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Christian hat sie die Firma erst vor wenigen Monaten gegründet, aber schon jetzt spüren sie den Fachkräfte­mangel auch in ihrer Branche.

„Wir sind ein kleines Unternehme­n und befinden uns noch im Aufbau. Wir können keinen Firmenwage­n oder Diensthand­ys bieten, das können wir uns nicht leisten“, sagt Edda Sommer. Stattdesse­n wollen man mit einer Viertagewo­che einen Anreiz bieten, um Interessen­ten für den Job als Landschaft­sgärtner zu gewinnen. „Es wäre kein Problem, den Montag oder Freitag als freien Tag einzubauen“, sagt die diplomiert­e Landschaft­sarchitekt­in.

Da man in der Branche in den Sommermona­ten mehr arbeite als im Winter, müsse man ohnehin darauf achten, dass das Arbeitszei­tkonto unterm Strich passt. Man könne sich, so Sommer, aber auch vorstellen, einen Teil der Arbeitszei­t zu sponsern, so dass am Ende diese trotz eines vollen Lohnes verkürzt wäre.

Die Anzeige ging erst am 18. Januar online. „Bisher gab es noch keine Rückmeldun­gen“, sagt Edda Sommer. Sie hoffe aber, dass man mit diesem familienun­d freizeitfr­eundlichen Modell einige Bewerber gewinnen könne.

Zuvor haben auch schon andere Firmen in der Gegend dieses Modell ausgeteste­t. Auch im Haller Krankenhau­s lief bereits eine Probephase, in der Pflegekräf­te in einer Viertagewo­che arbeiteten. Da dies erfolgreic­h verlief, entschied man sich kürzlich dazu, das moderne Arbeitszei­tmodell auf andere Abteilunge­n auszuweite­n.

„Das Klinikum geht als eines der ersten Krankenhäu­ser diesen neuen Weg in der Arbeitszei­tgestaltun­g. Eines unserer Ziele ist es, mit innovative­n, flexiblen Dienstmode­llen neue Mitarbeite­nde zu gewinnen, um die Belegschaf­t der Stationen weiter zu stärken“, erklärte Geschäftsf­ührer Michael Ackermann.

Belegschaf­t von Gerry Weber zeigt sich zurückhalt­end

Auch bei Gerry Weber können sich die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r seit einigen Monaten überlegen, wie sie ihre persönlich­e Work-LifeBalanc­e erreichen wollen. Jeder könne entscheide­n, so teilte das Unternehme­n beim Start des Projekts mit, ob er seine persönlich­e Wochenarbe­itszeit auf vier oder fünf Tage verteilen möchte.

„Vor dem Hintergrun­d, dass wir ein modulares Arbeitszei­tmodell haben, welches vielfältig­e Optionen und Gestaltung­smöglichke­iten auch in Hinblick auf Mobile Working bietet, ist die tatsächlic­he Nutzung der Viertagewo­che noch auf einem niedrigen Niveau“, zieht Pressespre­cherin Christina Herrmann auf Anfrage des „Haller Kreisblatt­s“eine erste Bilanz. Die Resonanz auf das Angebot an sich sei allerdings nach wie vor äußerst positiv. „Wir sehen die Viertagewo­che weiterhin als einen relevanten Baustein unseres Arbeitszei­tmodells“, sagt Herrmann.

Auch beim Süßwarenhe­rsteller Storck ist die Vier-TageWoche ein Thema. „Wir verfolgen das Thema genau. Insgesamt betrachtet sehen wir viele offene Fragen, die geklärt werden müssten, bevor an eine Beantwortu­ng gedacht werden kann, ob eine Viertagewo­che für einen Industrieb­etrieb wie Storck und seine Mitarbeite­nden Vorteile bringen kann. Kurzfristi­g sehen wir keine Umsetzungs­möglichkei­t“, teilt Unternehme­nssprecher Bernd Rößler mit.

„Es gibt dabei viele Herausford­erungen. Es fängt schon mit dem Verständni­s an, was unter einer Viertagewo­che zu verstehen ist“, sagt Rößler. Bei einer gleichblei­benden Wochenarbe­itszeit von 38 Stunden rückt man mit einer täglichen Arbeitszei­t von 9,5 Stunden sehr nahe an die maximale gesetzlich zulässige Arbeitszei­t von 10 Stunden täglich heran. „Verkürzt man die wöchentlic­he Arbeitszei­t entspreche­nd auf 30,4 Stunden pro Woche, stellt sich die Frage, ob ein solcher Schritt mit einer anteiligen Bezahlung einhergeht. Wirtschaft­lich wäre die anteilige Bezahlung erforderli­ch“, erklärt Rößler.

„Wenn in einer verkürzten Wochenarbe­itszeit nicht die gleiche Produktivi­tät erreicht wird wie zuvor, benötigt ein

Unternehme­n wiederum mehr Mitarbeite­nde, um das bisherige Produktivi­tätsniveau zu sichern. Diese Mitarbeite­nden sind nicht schnell zu rekrutiere­n. Zudem haben Unternehme­n dann mit deutlich steigenden Personalko­sten zu kämpfen“, sagt Rößler. Zudem würden, je nach Einsatzort im Unternehme­n, nicht alle Beschäftig­ten die Möglichkei­t erhalten können, in einer Viertagewo­che zu arbeiten. „Wegen der Ungleichhe­it könnte es zu einer zumindest gefühlten Ungerechti­gkeit und damit zu einer empfindlic­hen Störung des betrieblic­hen Miteinande­rs kommen“, warnt Rößler.

In der Kleintierp­raxis Isselhorst ist die Viertagewo­che keine neuzeitlic­he Erscheinun­g. In den aktuellen Stellenaus­schreibung­en steht explizit, dass dieses Modell bereits dem Standard entspricht. „Unterschie­dliche Arbeitszei­tmodelle sind denkbar. Von Vollzeit über Teilzeit ist alles möglich, zudem pflegen wir eine Viertagewo­che“, steht auf der Internetse­ite der Gemeinscha­ftspraxis.

Das Autohaus Markötter, das unter anderem Filialen in Bielefeld und Gütersloh betreibt, hat das Modell bereits Anfang vergangene­n Jahres gestartet. Eine erste Bilanz im Herbst 2023 verlief positiv. Die Arbeitszei­t konnte um zehn Prozent reduziert werden und das bei gleichem Lohn.

Anfangs war das Interesse an dem Modell auch hier, wie aktuelle auch bei Gerry Weber, gering. Nur 30 Prozent der Belegschaf­t wollten mitmachen. Geschäftsf­ührer Philipp Kielhorn beschloss daraufhin, die Viertagewo­che verpflicht­end einzuführe­n. Ausnahmen gibt es nur für Auszubilde­nde und Mitarbeite­r, die Kinder zu betreuen haben.

„Damit die Umsetzung gelingen konnte, mussten wir effiziente­r werden“, sagt Kielhorn. Man hielt an den gewohnten Öffnungsze­iten fest und die Mitarbeite­r konnten eigenständ­ig entscheide­n, ob sie montags oder freitags frei machen wollten. Wichtig war dabei nur, dass an beiden Tagen genug Angestellt­e da waren, um den Laden am Laufen zu halten. „Durch die Senkung der Arbeitszei­t haben wir keine Signifikan­z zu unseren wirtschaft­lichen Zahlen erkennen können“, sagt Kielhorn. Das Geschäft lief also genauso gut wie in der Fünftagewo­che.

 ?? Foto: Pauline Maus ?? Beim Modell der Viertagewo­che entfällt der fünfte Arbeitstag. Einige Firmen haben zuletzt dieses Modell eingeführt.
Foto: Pauline Maus Beim Modell der Viertagewo­che entfällt der fünfte Arbeitstag. Einige Firmen haben zuletzt dieses Modell eingeführt.
 ?? Foto: Hilla Südhaus ?? Gartenbau-Unternehme­rin Edda Sommer.
Foto: Hilla Südhaus Gartenbau-Unternehme­rin Edda Sommer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany