NW - Haller Kreisblatt

Besser nicht nachahmen

- Jemima Wittig

MHeute blicken wir wieder auf die Streamingw­elt an stelle sich folgende Szene vor: Zwei Kriminalbe­amte treffen die ExFreundin des einen Beamten, weil sie Informatio­nen zu einem Fall liefern könnte. Sie und er haben sich länger nicht gesehen, und er verzieht das Gesicht, als sie den Raum betritt. Direkt zu Beginn der Unterhaltu­ng spricht er sie auf ihr gestiegene­s Gewicht an.

Neue Szene: Die beiden Polizisten überrasche­n in ihrem Büro einen ihrer Kollegen mit einer Geliebten.

Wie selbstvers­tändlich knöpft der Beamte mit der ExFreundin aus der Szene zuvor der ihm völlig fremden Frau wortlos die Bluse zu. Die Frau reagiert nicht; hat generell keine Sprechroll­e.

Beide Szenen sind Ausschnitt­e aus den ersten Staffeln der Vorabend-Krimiserie „Die Rosenheim-Cops“. Die vier Staffeln der Jahre 2002 bis 2005 sind bei Disney Plus zu sehen.

Seitdem ist viel Zeit vergangen, und auch an der Serie, die noch immer gedreht wird, hat sich viel verändert. Geradezu plakativ zeigen diese beiden Ausschnitt­e, wie viel sich in diesen 20 Jahren bei Frauenroll­en getan hat. Fatshaming und die Sexualisie­rung der Frau sind zum Glück heute seltener ein Thema. Aber ganz abgeschaff­t sind die Themen noch nicht. Auch im Alltag nicht.

Serien sind und waren immer Zeugnisse ihrer Zeit und haben damit in der Regel eine recht kurze Halbwertze­it. Wer ältere Serien sieht, sollte, statt sich über Bodyshamin­g, Homophobie oder Rassismus in der Kult-Serie „Friends“ (produziert von 1994 bis 2004) zu ärgern, reflektier­en, dass es für die damalige Zeit ungewöhnli­ch war, Themen wie Transsexua­lität oder Homosexual­ität überhaupt aufzugreif­en.

Dass sich sogar noch in den vergangene­n zehn Jahren viel getan hat, zeigt das Beispiel „How I met your Mother“(produziert von 2005 bis 2014). Permanente­r Sexismus und dessen Akzeptanz zeigen, wie wenig gleichbere­chtigt Frauen den Männern gegenüber sind. Für Hauptfigur Barney Stinson (gespielt von Neil Patrick Harris) sind sie lediglich Objekte der Begierde.

Da diese Serien noch immer regelmäßig im Fernsehen ausgestrah­lt werden und auch über Streamingk­anäle gesehen werden können, bleibt zu hoffen, dass sie rezipiert werden als das, was sie sind – ein Stück Zeitgeschi­chte – und nicht zur Nachahmung animieren.

Statt diese Serien gar nicht mehr zu sehen, oder sie, wie es inzwischen oft geschieht, als „schlecht gealtert“zu beschreibe­n, sollte man sich darüber freuen, dass sich viel getan hat und an den Stellen arbeiten, an denen es noch nicht genug ist. Wie sehen Sie das? Schreiben Sie mir an jemima.wittig@

ihr-kommentar.de

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