Nach dem Urteil zum Mord: Beobachter skeptisch
Zehn Tage wurde der gewaltsame Tod der Rentnerin Marion S. (68) verhandelt. Richter und Staatsanwaltschaft sind sicher, im Ehemann den Täter gefunden zu haben. Diese Auffassung teilen nicht alle.
Halle/Bielefeld. In fast jeder Familie gibt es Turbulenzen. Man streitet sich, geht auseinander, versöhnt sich. Doch manchmal übersieht man, was vor aller Augen im Verborgenen geschieht. So wie im Mordfall der Marion S. (68) aus Steinhagen. Nach zehn Verhandlungstagen hat die Bielefelder Schwurgerichtskammer am Landgericht am Freitag (22. März) ein hartes Urteil gesprochen: Ihr 73-jähriger Ehemann muss lebenslang hinter Gitter.
Nach Überzeugung der Richter und des Staatsanwaltes haben zahlreiche Indizien und Aussagen von Zeugen ihn als Täter überführt. Eine Schwere der Schuld konnte nicht festgestellt werden. Er soll aus Habgier und niedrigen Beweggründen seine Frau getötet und im Wald vergraben haben. Sein Strafverteidiger indes hat Zweifel und geht jetzt einen Schritt weiter. Und auch einige der vielen Prozessbeobachter sind skeptisch und haben Bedenken: „Für uns fehlen echte Beweise.“ Freunde bemerkten zunächst kaum, dass es in der Ehe von Marion S. kriselte
Die Geschichte von Marion S. und dem Verurteilten beginnt Mitte der 1970er Jahre, als sie sich kennengelernt haben. Am 11. August 1978 heiraten die beiden und bekommen drei Kinder. Anfangs, so sagt es der Beschuldigte im Gericht, sei die Ehe normal und harmonisch gewesen. Doch zehn Jahre später habe es immer wieder Probleme und Streitigkeiten gegeben.
„Marion wollte mit der Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben. Ihr war die Arbeit auf dem Hof zu viel“, berichtet sein Anwalt, der aus der schriftlichen Einlassung des Landwirtes vorliest. Man raufte sich immer wieder zusammen – und die Ehejahre dümpelten so vor sich hin. Nach außen bemerken Freunde zuerst kaum, dass es in der Ehe kriselt. Dann verlässt Marion S. zwischenzeitlich den Hof, kommt aber wieder zurück. Bis sie sich im Oktober 2020 endgültig trennt und bei ihrer Schwester einzieht.
In Wahrheit ist nichts mehr in Ordnung. Die vielleicht märchenhaften Tage der Anfangszeit dieser Beziehung sind nur noch Erinnerung. Beide lachen nicht mehr miteinander, Zärtlichkeiten und Rücksichtnahme, so wie es in einer intakten Ehe üblich ist, sind fast vollständig aus dem Alltag verflogen. Das wird im Laufe des Prozesses immer wieder deutlich. „Es gab Beschuldigungen, Beleidigungen, Bedrohungen und Handgreiflichkeiten“, sagen Zeugen. Und es sei immer wieder um Geld gegangen. Marion sei verzweifelt gewesen, und konnte die Distanz zu ihrem Partner nicht mehr überbrücken. Wieder zu einer liebevolleren und leidenschaftlicheren Beziehung zurückzufinden, sei ihr nicht mehr möglich gewesen. „Sie hatte ständig Angst vor ihm. Sogar Todesangst.“Einigermaßen Halt habe sie in einer neuen Beziehung gefunden. Hat sich der Ehemann in Träumereien verloren oder war er nur kaltblütig?
Die Ehepartner hatten 600.000 Euro Schulden, die aus einem Umbau des landwirtschaftlichen Hofes resultierten. Der Angeklagte hat sich nach seiner Pensionierung auf seine Schafzucht konzentriert. Man redete kaum noch miteinander. Teilweise soll er seine Ehefrau einfach ignoriert haben. Und heute, nach dem Urteil, rätseln die Angehörigen und Freunde, warum man von all dem nichts richtig mitbekommen hat und fragen sich, was wohl in dem 73-Jährigen vorgegangen sein mag.
Ob er sich in seinen großspurigen Träumereien verloren haben könnte und irgendwann keinen anderen Ausweg mehr gewusst hat? Oder ob er einfach nur kaltblütig möglichst viel mit möglichst wenig Aufwand für sich haben wollte? Ob sie von Anfang an hätten sehen müssen, auf welchen Menschen sich die zurückhaltende Marion eingelassen hat? Dass sie in ihrer Ehe ständig dicht am Abgrund wandelte? Zuletzt hatte sich alles zugespitzt. Vielleicht war das der Zeitraum, in dem ihr Ehemann die Sorge beschlich, dass er die Kontrolle über seine „brave Marion“verlieren könne?
Es ist Sommer. Es ist der 5. Juli 2023. Da soll ihr Ehemann „zugeschlagen“haben. Um die Mittagszeit, so vermuten es die Ermittler, soll er dann Marion S. in ihrem Elternhaus an der Erfurter Straße in Steinhagen abgefangen, getötet und später in einer Tannenschonung im Haller Ortsteil Kölkebeck vergraben haben. Wie genau, wann genau und wo genau die 68-Jährige erdrosselt oder erwürgt worden ist, konnte nicht ermittelt werden. Zehn Tage lang bleibt sie verschwunden. Suchmaßnahmen der Polizei sind ohne Erfolg, bis Spaziergänger das GrabvonMarionS.zufälligfinden.
Da steht der Ehemann längst im Fokus der Kripo. DNAMischspuren vom Opfer werden in seinem Pkw sichergestellt. Ebenso Erdbodenanhaftungen an seinem Spaten, die identisch sind mit denen von der Grabstelle, als auch die vielen Aussagen der Zeugen belasten ihn heftig. Manche sind widersprüchlich.Biszuletztbestreitet der Beschuldigte den Mord.
Sein Strafverteidiger Sascha Haring fragt öffentlich: „Reicht das alles aus, um einen Menschen lebenslang wegzusperren?“Nichts sei eindeutig bewiesen, alles nur vage Vermutungen, Indizien und Anschuldigungen. „Auch in der Urteilsbegründung des Gerichtes sind viele Fragen unbeantwortet geblieben. Die ganze Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Wir gehen in Revision“, erklärt der Jurist nach der Urteilsbegründung.
An den zehn Verhandlungstagen ist das Interesse der Öffentlichkeit ungebrochen. Die Zuschauerbänke im Gerichtssaal sind fast immer ausgebucht. Nach dem Urteilsspruch verlassen einige, die regelmäßig Gerichtsprozessen beiwohnen, das Landgericht mit gemischten Gefühlen. Sie glauben fest, dass es auch dem Gericht nicht gelungen sei, Licht in das Dunkel des Mordfalles zu bringen.
„Ich habe alle Verhandlungstage beobachtet. Für mich war es Totschlag, kein hinterhältiger Mord“, erklärt beispielsweise Susanne Temme aus Gütersloh. Und auch Sylvia Rennert aus Bielefeld ist überrascht: „Dieses Urteil habe ich nicht erwartet. Nach dem Plädoyer von Sascha Haring habe ich mit einem Freispruch gerechnet.“Günther Feigerle aus Spenge meint: „Bei den mageren Indizien ist das Urteil für mich unverständlich.“Thomas Rauer aus Bad Salzuflen sagt kurz und knapp: „Im Zweifel für den Angeklagten.“Und Elvira Buchsel aus Gütersloh ist zwiespältig: „Für mich ist das Urteil seltsam.“
Noch ist der Spruch der Kammer nichts rechtskräftig.