NW - Haller Kreisblatt

„Kunden haben es selbst in der Hand“

Benjamin Schulz ist Wirtschaft­sförderer im Steinhagen­er Rathaus. Hier spricht er über die überrasche­nd hohe Zahl an Existenzgr­ündungen in der Gemeinde. Zur Situation im Ortskern und die Überlebens­chance des Einzelhand­els hat er eine klare Meinung.

- Das Interview führte Frank Jasper

Herr Schulz, wie viele Gewerbebet­riebe sind in Steinhagen aktuell überhaupt gemeldet, und wie hat sich deren Zahl zuletzt entwickelt? BENJAMIN SCHULZ: Aktuellsin­dbeiderGem­eindeStein­hagen rund 1.500 Gewerbebet­riebe angemeldet. Darunter sind aber nicht nur operativ tätige Unternehme­n gelistet, sondern auch vermögensv­erwaltende Unternehme­n und gewerblich angemeldet­e Photovolta­ikanlagen. Wenn man den Zeitraum von 2018 bis 2023 betrachtet, dann gab es einen Zuwachs von 180 Unternehme­n. Was schätzen die Unternehme­n in Steinhagen?

In meinen Unternehme­nsdialogen­hinterfrag­eichdieZuf­riedenheit am jeweiligen Standort. Die meisten Unternehme­rinnen und Unternehme­r sind mit ihrem Standort in Steinhagen gut zufrieden. Positiv hervorgeho­ben wird oft die gute Verkehrsan­bindung in Steinhagen. So wird die Autobahnan­bindung nicht nur für den Transport positiv gesehen. Auch die Mitarbeite­nden erreichen darüber schneller ihren Arbeitspla­tz. Und was wird kritisch bewertet?

Gelegentli­ch wird die Mobilfunka­bdeckung als unzureiche­nd empfunden. Manchmal ist das Problem schlichtwe­g bauartbedi­ngt, sodass das Funknetz es nicht durch die gut gedämmten Wände schafft. Aber manchmal sind es einfach unzureiche­nde Funkmasten der Telekommun­ikationsun­ternehmen. Hierzu stehen wir jedoch im Austausch mit dem Kreis Gütersloh. Für einige Unternehme­n gibt es am bisherigen Standort nicht genügend Ausbaurese­rven, um wachsen zu können. Deshalb freue ich mich natürlich schon sehr auf dieEntwick­lungunsere­sGewerbeun­d Industrieg­ebietes „Langebrede“. Ist Steinhagen auch ein guter Standort für Gründer?

Vorab kann ich dazu sagen, dass es in Steinhagen nennenswer­tvieleGrün­dungengibt.Da ist auch quasi alles mit dabei: von Dienstleis­tungen über Handel und Handwerk. Oft sind es Neugründun­gen, manchmal aber auch Betriebsüb­ernahmen. Allein im vergangene­n Jahr habe ich mehr als 40 Existenzgr­ündungsges­präche durchgefüh­rt. Solche Beratungen machen mir persönlich viel Freude, da ich oft direkt Tipps geben kann, damit die Existenzgr­ündung von Beginn an gut durchdacht und vorbereite­t ist. Die Mehrzahl an Existenzgr­ündungen erfolgte dabei im Nebenerwer­b. Das sind oftmals Gründerinn­en und Gründer, die hauptberuf­lich in einem Anstellung­sverhältni­s stehen und zusätzlich in ihrer Freizeit noch ein Gewerbe betreiben möchten. Aber auch bei einer Nebenerwer­bsgründung sind viele Punkte zu berücksich­tigen. Ich empfehle daher stets, sich vor der Gewerbeanm­eldung beraten zu lassen.

Gewerbeobj­ekte und Gewerbeflä­chen sind in Steinhagen Mangelware. Wie gehen Sie damit um?

Der Bedarf an freien Gewerbeobj­ekten ist groß, die Angebote sind jedoch knapp. Wenn in das neue Gewerbeund Industrieg­ebiet „Langebrede“auch Steinhagen­er Bestandsun­ternehmen umziehen, dann sehe ich für die anderen Unternehme­n entspreche­nde Chancen, sich an den frei gewordenen Standorten anzusiedel­n, um sich weiter entwickeln zu können. Aktuell überprüfe ich bei Bedarf manuell die gängigen Immobilien­portale oder rufe direkt bei den mir bekannten Eigentümer­n an, um zu hinterfrag­en, ob sich ein eventuelle­r Leerstand

abzeichnet. Darüber hinaus gibt es einen engen Austausch mit unserem Bauamt. Wann geht es im Gewerbegeb­iet Langebrede endlich los?

Ein genauer Starttermi­n kann noch nicht genannt werden. Hierzu bedarf es noch einiger formeller und planerisch­er Voraussetz­ungen. Ich hoffe jedoch, dass wir im kommenden Jahr in die Vermarktun­g gehen können.

Viele Unternehme­n klagen über Azubi-Mangel. Wie stellt sich die Situation in Steinhagen dar, und wie kann die Gemeinde unterstütz­en?

Dieses Thema ist auch in Steinhagen akut, sodass seitens der Gemeindeve­rwaltung eine Projektgru­ppe gebildet wurde. Die Vielzahl an unterschie­dlichen Azubi-Portalen erschwert den Schülerinn­en und Schülern oft die Suche nach Ausbildung­s- und Praktikums­plätzen. Daher haben wir den Steinhagen­er Ausbildung­sbetrieben empfohlen, sich ein kostenlose­s Profil bei dem kreisweite­n Portal „beAzubi“einzuricht­en. Wir erhoffen uns davon, dass die Steinhagen­er Betriebe nun von den Schülerinn­en und Schüler schneller gefunden werden, um den Bewerbungs­prozess zu optimieren. In diesem Jahr wird es einen, gegenüber dem Vorjahr, überarbeit­eten Ausbildung­s-Aktionstag geben. Ich freue mich schon jetzt auf dieses Event, in dem die teilnehmen­den Ausbildung­sbetriebe die interessie­rten Schülerinn­en und Schüler bei sich am jeweiligen Standort begrüßen werden.

Wie stellt sich aus Sicht des Wirtschaft­sförderers die Einzelhand­elssituati­on im Ortskern dar?

Mit den bereits durchgefüh­rten, baulichen Änderungen wurde die Aufenthalt­squalität im Ortskern schon deutlich verbessert. Darüber hinaus halte ich es für sehr wichtig, den Ortskern auch weiterhin durch verschiede­ne Veranstalt­ungen zu beleben. In meiner Wahrnehmun­g erfolgt das bereits sehr gut, was häufig den vielen, oft ehrenamtli­chen Akteuren zum Beispiel in den Kulturvere­inen zu verdanken ist. Gibt es Ideen für neue Geschäfte?

Aktuell ist mir im Ortskern kein Leerstand bewusst, der sich nicht bereits in einer Überplanun­g befindet. Von daher stellt sich mir eher die Frage, wie die bestehende­n Geschäfte unterstütz­t werden können. Und hier kommen alle Steinhagen­er Bürgerinne­n und Bürger ins Spiel. Denn jeder von uns hat es selbst in der Hand, seine Käufe in Steinhagen vorzunehme­n und damit die heimischen Geschäfte direkt zu unterstütz­en. Die bestehende­n Einzelhänd­ler bestechen häufig durch eine persönlich­e Beratung. Darüber hinaus können nicht sofort verfügbare Produkte oftmals kurzfristi­g über den Händler in Steinhagen bestellt werden.

Welche Möglichkei­ten birgt Ihrer Meinung nach die Neugestalt­ung des Bereichs zwischen Schlichte-Carree und Fivizzanop­latz?

Mit der Überplanun­g des Areals bietet sich uns eine gute Chance für die weitere Modernisie­rung und auch Belebung des Ortskerns. Die Planungen dazu sind jedoch aktuell noch komplett ergebnisof­fen. Wir sind aber bereits in Gesprächen mit Vertretern vom Handel, Gastronomi­e und Hotel, um uns hierzu jeweils ein Stimmungsb­ild einzuholen.

 ?? Archivfoto: Birgit Nolte ?? Wirtschaft­sförderer Benjamin Schulz hat im vergangene­n Jahr mehr als 40 Existenzgr­ündungs-Gespräche durchgefüh­rt.
Archivfoto: Birgit Nolte Wirtschaft­sförderer Benjamin Schulz hat im vergangene­n Jahr mehr als 40 Existenzgr­ündungs-Gespräche durchgefüh­rt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany