NW - Haller Kreisblatt

Laut DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist der Wechsel von Adidas zu Nike alternativ­los.

- Frankfurt Arne Richter und Klaus Bergmann Lyon.

(sid/dpa). Präsident Bernd Neuendorf zeigte sich „fassungslo­s“, Vize HansJoachi­m Watzke schoss scharf zurück – die DFB-Spitze hat sich gegen die Kritik am heiß diskutiert­en Ausrüsterw­echsel aus der Politik zur Wehr gesetzt. „Ich habe mich maßlos über viele Politiker-Kommentare geärgert, die auf einmal den Patriotism­us für sich entdecken. Es gibt Leute, die haben vor fünf Jahren noch gesagt: ,Vaterlands­liebe kotzt mich an’ und entdecken jetzt auf einmal den Patriotism­us“, sagte Watzke bei Sky.

Ab 2027 wird der Deutsche Fußball-Bund (DFB) für mindestens acht Jahre vom US-Giganten Nike ausgestatt­et und erhält dafür laut Medienberi­chten rund 100 Millionen Euro jährlich. Der langjährig­e Partner Adidas hatte angeblich knapp die Hälfte geboten. Für den Wechsel hatten zahlreiche Politiker den Verband scharf kritisiert.

Die Kommentare habe er teils „fassungslo­s“zur Kenntnis genommen, sagte Neuendorf vor dem Länderspie­l in Frankreich im ZDF. Besonders weil diese „ohne Kenntnis

von Fakten und Hintergrün­den“getätigt worden seien. Watzke lobte einzig Bundeskanz­ler Olaf Scholz. „Das einzige Vernünftig­e was ich gelesen habe, war der Satz vom Bundeskanz­ler: Dass das die Sache des Verbands ist. Damit hat er genau den Nerv getroffen.“

Dem DFB sei die „Entscheidu­ng fast abgenommen worden“, sagte Neuendorf angesichts der Summen. Es gehe darum, „dem Verband nicht zu schädigen. Das hätten wir getan, wenn wir das Angebot nicht angenommen hätten“. Laut Watzke sei die Differenz zwischen den Angeboten „so gigantisch groß, da gab’s einfach keine andere Lösung. Wenn man ausschreib­t, dann ist es halt so, dass irgendwann mal einer böse ist“.

Wirtschaft­sminister Robert Habeck, der sich beim NikeCoup „mehr Standortpa­triotismus gewünscht hätte“, reagierte am Sonntag auf Neuendorfs Gesprächse­inladung. „Reden immer gern – dann vielleicht auch über Sport, Tradition und Kapital und gern auch über die Förderung des Jugendspor­ts.“

Die lange schmerzlic­h vermisste EM-Vorfreude war bei den Fans gerade geweckt, als Julian Nagelsmann keine Mühe hatte, seine Glücksgefü­hle auszudrück­en. Auch Rudi Völler kam nach der Nacht der vielen Helden mit einem Lächeln aus Lyon zurück. „Wenn du beim EM-Favoriten 2:0 gewinnst, ist das ein Pfund“, schwärmte der Sportdirek­tor nach dem Frankreich-Coup der Fußball-Nationalma­nnschaft zum Traumstart ins Jahr des Heim-Turniers. Die Aussicht, gegen den großen Erzrivalen Niederland­e die wiederentd­eckte deutsche Fußball-Lust von Comeback-König Toni Kroos, BlitzTorsc­hütze Florian Wirtz und dessen Zauberer-Kollegen Jamal Musiala schnell noch einmal demonstrie­rt zu bekommen, hielt die Laune bei der Rückkehr nach Frankfurt auf dem höchsten Level. „Das war genau das Spiel, auf das wir gewartet haben. Jetzt müssen wir am Dienstag noch mal nachziehen“, forderte Völler.

Die allergrößt­en EM-Sorgen haben sich rechtzeiti­g vor dem Kräftemess­en mit Oranje aufgelöst, das war auch Nagelsmann nach seinem ersten großen Sieg als Bundestrai­ner anzumerken. „Losgelöst von dem Gegner, geht es erst mal um die Art und Weise. Den Mut auf dem Platz werden wir auch gegen Holland wieder sehen wollen“, sagte der 36-Jährige. Ein weiterer Power-Auftritt und Deutschlan­d ist „abgebogen auf die Straße Richtung EM“, sagte Nagelsmann. Den Blinker hat er schon mal überdeutli­ch gesetzt.

Erleichter­ung? Genugtuung sogar, nach viel Kritik und noch mehr Zweifeln? Nein. Der Bundestrai­ner spürte nach der auf wundersame Weise bis ins kleinste Detail aufgegange­nen neuen Rollenvert­eilung für seine EM-Kandidaten vor allem eines: „Freude über die Leistung der Mannschaft.“Große Eile, den Ort des Sieges zu verlassen, hatte der 36-Jährige dannauchni­cht.Nochvordem Rückflug bat er am Sonntag in Lyon zu Lockerungs­übungen und einer ersten Analyse. Die wichtigste­n Erkenntnis­se: Das Kroos-Comeback war ein königliche­r Schachzug. Joshua Kimmich ist hinten rechts bestens aufgehoben, sogar gegen einen Turbo-Stürmer wie Kylian Mbappé. Und das Vertrauen in den Stuttgart-Block um den mutigen Debütanten Maximilian Mittelstäd­t hat sich gelohnt. Auf Marc-André ter Stegen ist im Tor sowieso Verlass, wenn Manuel Neuer wieder ausfällt.

Plötzlich gibt es keine erkennbare Baustelle mehr in der DFB-Elf, die noch im November

beim 0:2 in Österreich nur Schlagloch-Fußball zeigte. „Wir haben eine klare Rollenvert­eilung, eine klare Hierarchie in der Mannschaft“, erklärte Niclas Füllkrug seine EM-Rolle als Back-up von Torschütze Kai Havertz. Der Dortmunder Füllkrug ist ein gutes Beispiel für den von Nagelsmann radikal forcierten und schnell geglückten Mentalität­swechsel. Sein BVB-Kollege

Mats Hummels oder Bayern-Profi Leon Goretzka müssen sich nach ihrer März-Ausmusteru­ng hingegen in der Heimat als Verlierer fühlen. Für die EM werden sie Stand jetzt nicht gebraucht.

Aufeinerim­aginärenSt­richliste wäre nach dem Abpfiff ein Wort der Tagessiege­r aller Gefühlsaus­drücke gewesen: „Spaß“. „Sie sollen machen, was Spaß macht“, sagte Nagelsmann über seine simple Anforderun­g an die Spieler. „Als Mannschaft haben wir richtig Spaß gehabt“, sagte Musiala. „Nach ein paar Sekunden hat es schon unglaublic­henSpaßgem­acht“,sagteVölle­r und sprach dabei vom AchtSekund­en-Rekordtor von Wirtz. Schneller hat noch niemand ein deutsches Länderspie­l-Tor erzielt als der junge Leverkusen­er. Schneller hätten auch die Risiko-Maßnahmen von Nagelsmann keine drei Monate vor der Heim-EM nicht fruchten können. „Es wurde ja einiges geändert. Das war ein bisschen die Frage, ob die Veränderun­g so schnell

Früchte tragen kann“, gestand Kroos. Der Superstar von Real Madrid erfüllte mit seiner souveränen Art alle Erwartunge­n. „Toni macht das Spiel für dich ganz einfach. Er kann gut zocken“, fasste Musiala die Lobpreisun­gen in zwei kurzen Sätzen zusammen.

Das könnte auch so ein Nagelsmann-Slogan sein. Für Frankreich und den nun folgenden Holland-Test hat der Bundestrai­ner bekanntlic­h das Motto „Wir kicken“gewählt. Dass dies mit der Betonung auf dem Wir gegen den verblüffte­n WM-Zweiten aus dem Stand hervorrage­nd funktionie­rte, war die besondere Note eines denkwürdig­en Fußball-Abends. „Wir waren nicht in der Lage, uns an das Level unseres Gegners anzupassen“, sagte Frankreich­s Trainer Didier Deschamps. „Sie waren sehr aggressiv, sehr fokussiert, sie haben ein sehr gutes Spiel gemacht.“Frankreich­s Medien schrieben einhellig von einer „Ohrfeige“, die Deutschlan­d der Équipe Tricolore verpasst habe.

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Foto: imago images

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