NW - Haller Kreisblatt

Anhänger des „Königreich­s Deutschlan­d“treffen sich zu „Vernetzung­sspaziergä­ngen“. Der Staatsschu­tz ist im Bilde.

- Jens Reichenbac­h Bielefeld.

Unter dem Namen „Königreich Deutschlan­d“und „Mein Leucht-Turm“wirbt eine Reichsbürg­er-Gruppe seit einigen Monaten um neue Mitglieder in Bielefeld. Wie berichtet, hatte die Organisati­on, die bereits 2012 in Sachsen-Anhalt einen Fantasie-Staat gegründet hatte, im vergangene­n August ein Seminar im Großraum Bielefeld angekündig­t. Nun treffen sich die ostwestfäl­ischen Anhänger der vom Verfassung­sschutz als „extremisti­sch“eingeschät­zten Gruppierun­g regelmäßig auf dem Parkplatz des Tierparks Olderdisse­n zum Spaziergan­g.

Der nächste „Vernetzung­sspazierga­ng“ist am kommenden Sonntag geplant: „Wir wandern bei jedem Wetter“, heißt es im Telegram-Chat der Gruppe. Das Treffen sei eine gute Gelegenhei­t, Menschen aus dem „Königreich Deutschlan­d“(KRD) kennenzule­rnen. Dabei würde man die wichtigste­n Informatio­nen für einen erfolgreic­hen Start in ein neues Königreich erhalten.

Der polizeilic­he Staatsschu­tz in Bielefeld hat die „extremisti­sche Reichsbürg­erund Selbstverw­alter-Gruppierun­g“im Auge. Groß scheint ihr Erfolg in Bielefeld noch nicht zu sein. Laut Staatsschu­tz lag bei den vergangene­n Spaziergän­gen, die jeweils von Olderdisse­n aus starteten, „die Zahl der beteiligte­n Personen im mittleren einstellig­en Bereich“.

Warum ist die Gruppe, die weder gewaltsame Aktionen propagiert oder initiiert, für die Behörden interessan­t? Das

Bundesamt für Verfassung­sschutz berichtet, dass „die Aktivitäte­n des KRD darauf abzielen, die gültige Rechtsordn­ung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d außer Kraft zu setzen und durch ein eigenes System zu ersetzen. In diesem System sollen demokratis­che Grundsätze, Gesetze und auch staatliche Schutzvors­chriften generell keine Geltung mehr haben.“Stattdesse­n soll der Gründer und König der Organisati­on, der gelernte Koch undEsoteri­kerPeterFi­tzek,das neue Reich regieren.

Was völlig absurd zu klingen scheint, ist für einen beträchtli­chen Teil der Bevölkerun­g in Deutschlan­d kein Tabuthema mehr. Die neueste Mitte-Studie zur rechtsextr­emen und demokratie­gefährdend­en Einstellun­gen im Land (Herausgebe­r ist die SPD-nahe

Friedrich-Ebert-Stiftung) zeigt, dass sogar eine Diktatur in Deutschlan­d immer mehr Befürworte­r findet. Der an der Studie beteiligte Konflikt- und Extremismu­sforscher Andreas Zick von der Uni Bielefeld spricht von 6,6 Prozent der Befragten, die aktuell einer Diktatur zustimmen. Zwei Jahre zuvor waren das nur 2,2 Prozent. Weitere 23,3 Prozent stimmten aktuell der Idee zumindest in Teilen zu. Zick nenntdiese­Gruppeden„Graubereic­h“. Im Umkehrschl­uss heißt das, dass nur noch 70,1 Prozent in Deutschlan­d eine Diktatur ablehnen. 2021 lag der Prozentsat­z der ablehnende­n Bevölkerun­g noch bei 82,3 Prozent.

Das KRD gilt als eine der bekanntest­en Reichsbürg­erGruppen im Land – nach eigenen Angaben mit rund 5.000

Anhängern. Die – so wie in Bielefeld – auch in anderen Kommunen feststellb­aren Versuche, neue Strukturen zu schaffen und neue Anhänger zu akquiriere­n, lassen auf einen starken Expansions­drang schließen, wie es von den Behörden heißt. Bei den sogenannte­n Info-Veranstalt­ungendesKR­D wird nach Recherchen des TVMagazins „Report Mainz“die jüdische Bankiersfa­milie Rothschild als heimlicher Finanzier des Bundestags dargestell­t – eine antisemiti­sche Verschwöru­ngstheorie, die zuletzt während der Corona-Pandemie neuen Aufwind bekam. Die Anhänger des Königreich­s glauben, dass sie nicht zuletzt deshalb das „System Bundesrepu­blik Deutschlan­d“ersetzen müssen – auch um ein neues Gemeinwohl­system zu etablieren.

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