Wertheranerin will nach Spanien und landet in Afrika
Um ihr Spanisch zu verbessern, bewarb sich Jana Höcker für einen Austausch. Doch als die Zusage kam, fand sie unter dem Namen nur einen Ort auf dem afrikanischen Kontinent – und der ist aus den Nachrichten bekannt.
Spanien ist schon immer Jana Höckers liebstes Reiseziel. Schon damals, als sie auf dem Evangelischen Gymnasium in Werther ist, wählt die heute 37-Jährige deshalb Spanisch als Leistungskurs. Als sie dann an der Universität Grundschullehramt studiert, belegt sie nebenbei freiwillig Seminare in Spanisch. „Damit ich es nicht verlerne“, sagt sie.
Daher war sie höchst interessiert, als sie von einem Programm des Pädagogischen Austauschdienstes der Kultusministerkonferenz erfährt. Für die Grundschullehrerin aus Werther, die an der BrüderGrimm-Schule in Rheda-Wiedenbrück unterrichtet, die Möglichkeit, ihr Lieblingsland auch im beruflichen Kontext kennenzulernen und weiter an ihren Sprachkenntnissen zu arbeiten.
Bereits im Herbst 2022 schickt sie ihre Bewerbung ab. „Man konnte Wünsche angeben, wo man hinwollte. Aber da ich in Spanien niemanden kenne, war es mir eigentlich egal“, sagt sie. Insgeheim hofft sie natürlich, dass ihre Austauschschule irgendwo in der Nähe des Meeres liegen würde.
Sie muss den Ort erst googeln
Zunächst gilt es aber noch, bürokratische Hürden zu überwinden. „Es ist natürlich sehr aufwendig, denn viele offizielle Stellen in beiden Ländern müssen zustimmen, und an meiner Schule muss der Unterricht für die Zeit meiner dreiwöchigen Abwesenheit organisiert werden“, erklärt sie. Doch als all diese Hürden genommen sind, kommt im August 2023 die ersehnte Zusage.
Aber als sie den Namen der Stadt liest, in der ihre Schule sein soll, sagt der ihr gar nichts: Ceuta. „Ich habe ihn dann bei Google-Maps eingegeben und bin in Afrika gelandet“, erzählt sie. Sie habe dann zuerst gedacht, das sei ein Versehen und es gebe vielleicht noch eine weitere Stadt mit diesem Namen. Doch dann liest sie, dass Ceuta eine spanische Enklave an der nordafrikanischen Küste ist, umgeben von Marokko und direkt gegenüber von Gibraltar.
Und für noch etwas ist Ceuta,genausowiedieEnklaveMelilla, bekannt: einen 24 Kilometer langen und sechs Meter hohen doppelten Grenzzaun, der an dieser Stelle Afrika und die EU voneinander trennt und immer wieder das Ziel von Flüchtenden ist. Unschöne Bilder,
auf denen Hunderte Menschen versuchen, diesen Grenzzaun zu überwinden oder schwimmend den Strand Ceutas zu erreichen, sind regelmäßig in Zeitungen und im Fernsehen zu sehen. Vor vier Jahren waren innerhalb von 36 Stunden 8.000 Migranten in Ceuta angekommen. Die Bilder gingen um die Welt.
Als Urlaubsziel nicht vorgesehen
„Fährst du da mit dem Schlauchboot hin?“, waren dann auch typische Frotzeleien aus dem Freundeskreis, wenndieTheenhausenerinvon ihrem Austauschziel erzählte. „Ichhabemicheinfachersteinmal gefreut, dass es überhaupt geklappt hat“, sagt Jana Höcker und kann ihrem ungewöhnlichen Ziel bereits im Vorfeld positive Seiten abgewinnen. Denn als Urlaubsort hätte sie Ceuta nie gewählt und somit auch nie kennengelernt. Eine gute Möglichkeit also für spannende Einblicke.
Wie ungewöhnlich das Ziel ist, erfährt sie auch im Reisebüro, wo sie die Buchungen für die Anreise tätigen will. Ceuta sei kein Urlaubsort oder touristisches Ziel, daher müsse sie ihre Anreise auf eigene Faust organisieren, heißt es. Das macht Jana Höcker, fliegt zunächst nach Malaga, fährt dann mit dem Bus nach Algeciras und steigt dort auf die Fähre, die direkt über die Straße von Gibraltar ins gegenüberliegende Ceuta führt.
Dort kommt sie am vergangenen Sonntag in ihrer Airbnb-Wohnung an und hat am Montag ihren ersten Schultag an der Grundschule. Wobei die Grundschule in Spanien nicht vergleichbar ist mit einer deutschen. „Hier geht die Grundschule bis zur sechsten Klasse und auch die Vorschule ist hier angegliedert, in der die Kinder ab dem dritten Lebensjahr sind“, erklärt sie.
Auch Dreijährige lernen schon das Alphabet
Nach der ersten Woche ist sie beeindruckt davon, was man in Spanien auch den Kleinsten schon zutraut. Auch die Dreiund
Vierjährigen haben bis 14 UhrUnterrichtundkönnensich ganz offensichtlich auch schon so lange konzentrieren. „Sie lernen zählen und das Alphabet, natürlich sehr spielerisch, alles wird gesungen oder getanzt“, sagt Jana Höcker. Aber trotz allem gibt es einen strukturierten Ablauf und kein Freispiel wie in deutschen Kindergärten.
Überhaupt sei viel Abwechslung im Vorschul- und Schulalltag, so sei jede Klasse regelmäßig dran, sich um den Schulgarten zu kümmern, oder es finden Spiele im Freien statt. Die Kinder seien natürlich sehr interessiert an der deutschen Lehrerin und möchten deutsche Wörter von ihr lernen. „Die erste Frage ist dann aber immer, welchen deutschen Fußballverein ich mag, und als Zweites werde ich gefragt, ob ich für Barcelona oder Madrid bin. Ich habe Barcelona gesagt und das war offenbar die falsche Antwort“, sagt Jana Höcker lachend.
Rund 83.000 Menschen leben in Ceuta auf 18 Quadratkilometern, einer Fläche halb so groß wie Werther. „Es sieht natürlich schon sehr spanisch hier aus, aber es hat auch viel von Marokko“, sagt sie. „Die Kollegen erzählen, Ceuta sei zweigeteilt. Im Zentrum leben die Spanier, an der Westgrenze die Marokkaner.“
In ihrer Schule werden die spanischen und marokkanischen Kinder gemeinsam unterrichtet. Manche der marokkanischen Kinder erkennt sie an ihren langen Gewändern, mit denen sie in die Schule kommen. Und in jeder 6.
Schulstunde, die dort übrigens 55 Minuten dauert, bekommen die Kinder, die kein Spanisch sprechen, Sprachunterricht.
Von der Flüchtlingsthematik hat sie in ihrem Viertel bisher noch nicht viel mitbekommen, nur dass viel Polizei unterwegs sei, sei ihr aufgefallen, sagt sie. Den berühmten Zaun hat sie bislang auch nicht angesteuert. Zurzeit genießt sie einfach den Alltag in derneuenUmgebung.Unddas Meer, das natürlich nicht weit ist. „In dieser Stadt hier gibt es eigentlich keinen Ort, der nicht nah am Meer ist“sagt sie. Und so geht ihr Schulweg jeden Morgen zwei Kilometer am Strand entlang mit dem Rauschen des Mittelmeers in den Ohren.