Tage der Entscheidung in Israel
Eine Militäroperation in Rafah im Gazastreifen oder einen Deal zur Befreiung der Geiseln? Die Bevölkerung hat dazu eine klare Meinung.
Tel Aviv.
Es sind Tage der Entscheidung in Israel. Anfang der Woche begann das Land nach eigenen Aussagen „eine begrenzteMilitäroperationinRafah im Süden des Gazastreifens“, während die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas um ein Abkommen in Kairo weiterlaufen.
Die Aktion der israelischen Armee in Rafah umfasste zunächst die Einnahme des Grenzübergangs Rafah sowie den östlichen Teil des sogenannten „Philadelphi-Korridors“an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten. Es scheint, als hätte sich Israel vorerst für den eingeschränkten Einmarsch entschieden, um keine diplomatische Konfrontation mit den USA und Ägypten zu riskieren. Denn die vermitteln derzeit noch immer zusammen mit Katar, um eine Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas zu erreichen, dass die Waffen ruhen und die Geiseln in der Gewalt der Terroristen freikommen lässt.
Währenddessen machte die Bevölkerung deutlich, was sie will: Eine aktuelle repräsentative Umfrage des Israel Democracy Institutes untersuchte, was im Hinblick auf das nationale Interesse höchste Priorität haben sollte: eine Aktion der Armee in Rafah oder ein Deal, damit die Geiseln nach Hause kommen. Das vollständige Ergebnis unter den jüdischen Israelis ist eindeutig: 56 Prozent wollen die Geiseln zurück, 37 Prozent finden, die Armee solle einmarschieren. Unter dem arabischen Teil der Öffentlichkeit ist die Meinung sogar noch klarer: Fast 90 Prozent wollen Geiseln statt Truppen.
Unter jüdischen Israelis gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich der politischen Orientierung. Eine große Mehrheit der Linken (92,5 Prozent)
und des Zentrums (78 Prozent) betrachtet ein Abkommen zur Befreiung der gekidnappten Israelis als wichtigstes Ziel, während rechtsgerichtete Wähler einen Einsatz in Rafah mit knapper Mehrheit (55 Prozent) für vorrangig halten.
Israel Ziv, ehemaliger Kommandeur der Gaza-Division und Einsatzdirektion der israelischen Armee, geht davon aus, dass es der Zweck der Operation sei, einen besseren Deal zu bekommen und die Forderungen der Hamas zu drücken. „Doch Israel will auch klarmachen, dass ein Einmarsch in Rafah nicht nur eine Option ist, sondern dass man es ernst meint“.
Der Grenzübergang zu Ägypten spiele dabei eine Hauptrolle. „Die palästinensische Seite wurde von der Hamas kontrolliert. Israel wollte das ändern, vor allem, um zu zeigen, wer den Schlüssel für die Zukunft des Gazastreifens in den Händen hält.“Momentan gebe es keine Intention, tiefer in Rafah einzudringen, meint er. Sollten die Verhandlungen scheitern, sehe das allerdings anders aus.
Ziv erläutert: „Eine Operation in Rafah, um die letzten Hamas-Bataillone zu zerschlagen, würde einige Wochen dauern, nicht länger. Doch was dann? Im Endeffekt geht es um die eine große Frage, was danach kommt. Die aber will die Regierung in Jerusalem nicht beantworten.“Oppositionsmitglieder des Kriegskabinetts, Benny Gantz und Gadi Eizenkot, hätten vorgeschlagen, die zivile Verwaltung der Fatah, also de facto der Palästinensischen Autonomiebehörde, zu übergeben, die vorher reformiert und gestärkt werden müsse.
Da Israel seiner Meinung nach keine Absicht habe, Gaza zu besetzen, sei dies die einzige Lösung, „und das ist auch jedem bewusst“. Netanjahu aber sei nicht bereit, eine Fatah-Verwaltung zu akzeptieren, weil es dabei um sein politisches Überleben gehe. „Die extrem rechten Mitglieder seiner Regierung würden dem nie zustimmen und die Koalition zerbrechen.“
„Es ist eine Sache, einen Krieg zu führen, der uns am 7. Oktober durch die Massaker der Hamas aufgezwungen wurde. Doch man hätte erwarten sollen, dass die Regierung strategische Pläne erarbeitet, was in Zukunft mit Gaza geschehen soll“, so der Militärexperte. Diese bedeutende Entscheidung jedoch sei wegen „kritischer politischer Differenzen zwischen der extremen Rechten und den Gemäßigten in der Koalition immer wieder verschoben worden. „Dabei weiß jeder, dass dieser Krieg so schnell wie möglich enden muss. Aus vielerlei Hinsicht ist er auch nicht gut für uns, militärisch, wirtschaftlich und für die internationalen Beziehungen. Israel ist nicht für einen langanhaltenden Krieg ausgerichtet.“