NW - Haller Kreisblatt

Trotz Krisen: Versmolder Unternehme­n behauptet sich seit 150 Jahren

Ein Landwirt legte einst den Grundstein für die Unternehme­nsgruppe Dieckmann. Die hat sich seither mehrfach neu erfunden. Die Geschichte eines Straßenbau-Betriebes im Wandel der Generation­en.

- Marc Uthmann

Versmold.

Als der Peckeloher Landwirt Heinrich Dieckmann 1874 beschloss, sich mit dem Straßenbau selbststän­dig zu machen, herrschte in Deutschlan­d gerade Euphorie. Der Krieg gegen Frankreich war 1871 gewonnen und das Deutsche Reich im gleichen Jahr gegründet worden. Straßenbau Dieckmann entstand in einem Kaiserreic­h, dessen Zügel Bismarck fest in der Hand hielt.

Aus dem Nähkästche­n

Allein diese zeitliche Einordnung verdeutlic­ht, welche Tradition das Versmolder Unternehme­n aufweist – und einer seiner bisher fünf Chefs hat sie aufgeschri­eben. Karl-Wilhelm Dieckmann ist anlässlich des 150. Geburtstag­es zu seinem Schwiegers­ohn und Nachfolger Andy Evers ins Büro gekommen. Um zu erzählen, wie alles begann. Was ihm überliefer­t wurde, was er erlebte – und was er mit seinem Lebenswerk verbindet. Das tut der 88-Jährige gern, erklärt geduldig die technische­n Details des Straßenbau­s auch für Laien – und gönnt sich ein verschmitz­tes Lächeln, wenn er aus dem Nähkästche­n plaudert.

Kontonumme­r 3

Von einem „Unternehme­n“zu sprechen, ist streng genommen nicht richtig, als Heinrich Dieckmann es 1874 gründet. „Das waren damals drei, vier Mann“, sagt Karl-Wilhelm Dieckmann. „Und für die Baustellen holte sich mein Urgroßvate­r Hilfskräft­e.“Denn es ist eine knüppelhar­te Arbeit. Straßen werden damals noch ausschließ­lich gepflaster­t. Die sogenannte Packlage, also die Tragschich­t für die Straße, wird von Hand gesetzt. Sie besteht aus groben Steinen aus den Steinbrüch­en aus Halle und Borgholzha­usen, die erst kleiner geklopft werden müssen. Zum Schluss wird das Ganze von der Dampfwalze eingewalzt. Das Unternehme­n seines Urgroßvate­rs wird übrigens am gleichen Tag aus der Taufe gehoben wie die Stadtspark­asse Versmold – und bekommt dort die Kontonumme­r 3. Die 1 hat Kolbe, die 2 Menzefrick­e.

Mutlos nach Erstem Weltkrieg

Um die Jahrhunder­twende erwirbt Heinrich Dieckmann das Loxtener Grundstück, auf dem Verwaltung und Bauhof des Unternehme­ns noch heute zu Hause sind. Doch der Erste Weltkrieg sorgt für die erste große Zäsur. Philip Wilhelm Dieckmann, der 1890 in den väterliche­n Betrieb eingestieg­en war, glaubt nicht, dass der Betrieb angesichts der Reparation­szahlungen noch eine Zukunft hat. Von 1914 bis 1924 ruhen die Geschäfte.

Erste Motor-Teer-Maschine

Erst Heinrich Wilhelm Dieckmann ergreift wieder die Initiative: Und setzt künftig auf den Teerstraße­nbau, der sich seit der Jahrhunder­twende etabliert hat. „Wir hatten im Kreis Halle damals als erste Firma eine Motor-Teer-Maschine“, erklärt sein Sohn Karl-Wilhelm Dieckmann. „Die haben wir sogar an andere Betriebe ausgeliehe­n.“

Harte Lehrjahre

Anfang der 1920er Jahre beginnt Teer seinen Siegeszug auf den Straßen – und die werden in der Weltwirtsc­haftskrise zunehmend gebaut, weil hier viele Arbeitslos­e ein Auskommen finden können. Doch der Zweite Weltkrieg durchkreuz­t wieder alle Pläne. Erneut muss Heinrich Wilhelm Dieckmann einen Neuanfang schaffen – und wartet sehnsüchti­g auf den Einstieg seines Sohnes Karl-Wilhelm. „Ich habe in Bielefeld Straßenbau­er gelernt“, erinnert der sich, „und dabei noch sehr viel gepflaster­t.“Später habe man das Kopfsteinp­flaster oft mühsam wieder ausbuddeln und in den Steinbrüch­en entsorgen müssen.

Jeder muss die Karre schieben

Von 1955 bis 1957 studiert KarlWilhel­m Dieckmann Straßenund Tiefbau in Lage, steigt dann in den väterliche­n Betrieb ein und absolviert 1961 die Meisterprü­fung. Endlich. Denn das „Wirtschaft­swunder“ist in vollem Gange, als er einsteigt, hat Dieckmann bereits bis zu 80 Mitarbeite­r. „Da waren zehn Leute auf den Baustellen, weil es so viel Handarbeit war. Wir hatten eine Karre, auf der stand: „Soll dich Walter Knetter lieben, musst du diese Karre schieben“. Knetter war unser Polier“, erzählt Karl-Wilhelm Dieckmann und lacht.

Siedlungsb­au boomt

Von 1930 bis 1980 ist das Unternehme­n in Versmold angesiedel­t, zwischen der Ravensberg­er Straße und der heutigen Fröbelstra­ße. Und hier muss der junge Chef mit seinem Vater manchen Disput austragen. „Gerade wenn es darum ging, neue Maschinen zu kaufen“, erinnert sich KarlWilhel­m Dieckmann. Doch der Straßen- und Siedlungsb­au boomt. 1964 übernimmt Dieckmann den Steinbruch in Halle-Hesseln, um selbst über die Rohstoffe für den Schotter zu verfügen.

Der gefährlich­e Wechsel

Um Asphalt herzustell­en, der mittlerwei­le Stand der Technik ist, benötigt man allerdings noch älteres Gestein aus dem Sauerland. Die AsphaltMis­chanlage, die ein Duisburger Unternehme­n in Halle aufgebaut hatte, kauft Dieckmann 1967. „Das war mutig und knifflig“, erinnert sich Karl-Wilhelm Dieckmann. „Wir haben einen Wechsel unterschri­eben, aber den wollten weder die Sparkasse Versmold noch die West-LB kaufen. Letztere dachte wohl, das sei eine Nummer zu groß für uns. Also haben wir das Geschäft mit einer Hamburger

Privatbank gemacht.“Dieckmann wächst – und baut 1980 neu am Türns Damm, wo der Betrieb einst flügge wurde.

120 Mitarbeite­nde zur Wende

„Wachse oder weiche“lautet damals das Motto. Spätestens mit der Wiedervere­inigung 1990 soll es nur noch um Wachstum gehen. Dieckmann gründet mit drei anderen Betrieben das Haller Asphaltund Mischwerk, hat in der Spitze bis zu 120 Mitarbeite­nde und produziert zu Höchstzeit­en 150.000 Tonnen Asphalt jährlich.

Die große Krise

Doch anders als erwartet beginnt mit der Wende eine miese Zeit. Das Geld fließt in den Osten ab, wo nur die ganz großen Straßenbau­er verdienen. Und die kommen nach zehn Jahren in den Westen zurück und drücken dort die Preise. 2000 ist Andy Evers ins Unternehme­n eingestieg­en. Und steht sofort im Wind. „Erst haben wir rote Zahlen hingenomme­n, aber als dann auch noch ein Großkunde in wirtschaft­liche Schieflage geriet, mussten wir 2005 selbst Insolvenz anmelden.“Für KarlWilhel­m Dieckmann sind es die schwersten Jahre seines Berufslebe­ns:

„Ich spreche nicht gern über diese Zeit, denn es bedrückt mich auch heute sehr, dass ich das Erbe meines Vaters nicht besser verwaltet habe.“

Zweifel beim Jungchef

Immerhin hat Betriebswi­rt Andy Evers zuvor mit der Trennung der Unternehme­nsbereiche dafür gesorgt, dass nicht alle Geschäftsf­elder betroffen sind. Trotzdem verlieren gut 20 Straßenbau­er ihren Arbeitspla­tz, Dieckmann hält sich mit Garten- und Landschaft­sbau, dem Steinbruch und dem Asphalt-Mischwerk über Wasser. „Da kamen mir damals schon Zweifel – zumal ich nicht vom Fach war. Aber daraus habe ich gegenüber den Mitarbeite­nden nie einen Hehl gemacht – und versproche­n, mich um die Zahlen zu kümmern“, so der 56-Jährige.

Neue Geschäftsf­elder

Heute ist die DieckmannU­nternehmen­sgruppe mit ihren knapp 70 Mitarbeite­nden in drei Bereichen organisier­t: Asphalt- und Straßenbau, Steinbruch­betrieb – heute allerdings in Hilter-Hankenberg­e – sowie Bodenverwe­rtung. Das Mischwerk wurde 2015 verkauft, dafür in diesem Jahr ein Unternehme­n für Bodenmanag­ement und Umweltcons­ulting gegründet. „Wir haben eine Verwaltung neu gebaut, in den Fuhrpark investiert, und wir wollen neue Ideen umsetzen – hier geht es weiter“, sagt Andy Evers.

Sechste Generation

Wahrschein­lich auch in der sechsten Generation. „Mein Sohn Mathis hat mich beim Abendessen mal damit überrascht, dass er Bauingenie­urwesen in Detmold studieren wird“, erzählt Andy Evers. Wenn das Studium beendet ist, wird der potenziell­e Nachfolger (21) erst anderswo Erfahrunge­n sammeln – und dann mit an den Ideen für die Dieckmann-Zukunft schmieden. Karl-Wilhelm Dieckmann hört es gern. Er vertraut seinem Schwiegers­ohn, kommt weiter gern hin und wieder ins Büro und lächelt, als die sechste Generation zur Sprache kommt.

Feier im Juni

Der 150. wird übrigens am 7. Juni mit geladenen Gästen gefeiert – in jedem Fall braucht es dann einen Rückblick von Karl-Wilhelm Dieckmann, dem Mann der Steine.

 ?? Foto: Marc Uthmann ?? Geschäftsf­ührer Andy Evers (l.) und Vorgänger Karl-Wilhelm Dieckmann blicken auf 150 Jahre Straßenbau Dieckmann zurück.
Foto: Marc Uthmann Geschäftsf­ührer Andy Evers (l.) und Vorgänger Karl-Wilhelm Dieckmann blicken auf 150 Jahre Straßenbau Dieckmann zurück.
 ?? Foto: Copyright: Straßenbau Dieckmann ?? Der Unternehme­nssitz von Dieckmann am Türns Damm. Jetzt feiert der Betrieb 150-jähriges Bestehen und blickt auf eine besondere Geschichte zurück.
Foto: Copyright: Straßenbau Dieckmann Der Unternehme­nssitz von Dieckmann am Türns Damm. Jetzt feiert der Betrieb 150-jähriges Bestehen und blickt auf eine besondere Geschichte zurück.
 ?? Foto: Copyright: Straßenbau Dieckmann ?? Straßenbau war über viele Jahrzehnte – hier eine Aufnahme von Dieckmann aus den 1960er-Jahren – eine knüppelhar­te Arbeit für die Mitarbeite­r.
Foto: Copyright: Straßenbau Dieckmann Straßenbau war über viele Jahrzehnte – hier eine Aufnahme von Dieckmann aus den 1960er-Jahren – eine knüppelhar­te Arbeit für die Mitarbeite­r.
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Foto: Detlef Heese Straßen- und Asphaltbau ist nach wie vor das wichtigste Geschäftsf­eld.

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