Man vergisst nicht, wie man schwimmt
29. Fortsetzung
Das Holzschlagen, das ich vernahm, war rhythmisch, in schneller Abfolge. Eins, zwei, drei. Kurze Pause. Dann von vorne. Eins, zwei, drei. Pause. Zack, zack, zack. Pause. Was war das? Wo kam das her? Von irgendwo hinter den Tieren? Das Schlagen setzte sich fort. Ich blickte in den nächsten Käfig und fuhr erschrocken zurück. Da saß, direkt an den Gitterstäben, ein Panther. Sein schwarzes Fell schimmerte, seine grünen Augen waren geschliffene Smaragde. Panisch blickte ich auf die Käfigtür, doch diese schien Gott sei Dank verschlossen. Zack, zack, zack im Hintergrund. Einen Panther hatte ich bisher nur in Naturdokus gesehen. Die Pupillen zu Schlitzen verengt, fixierte mich das Tier, starrte direkt auf meine Kehle und fauchte mich dann an, dass all meine Instinkte „Flucht“brüllten. Ein einziger Biss würde mich töten, das wusste ich. Zack, zack, zack. Unvermindert schlug es weiter in das Holz. Die gespitzten Ohren der Raubkatze wanderten in die Richtung, aus der das Geräusch kommen musste, und wiesen mir den Weg hin-ter den großen Lastwagenanhänger. Zack, zack, zack. Zögerlich wandte ich mich dem Schlagen zu und passierte den Panther, wobei ich dessen stechende Augen weiter in meinem Nacken spürte.
Das Holzschlagen wurde lauter. Ich ging in die Hocke, um unter dem Anhänger durchzuspähen, und erblickte in einiger Entfernung... zwei schlanke Beine in Jeansshorts. Ein schwarzes Longsleeve. Rote Strähnen wippten in und aus meinem Sichtfeld. Das war sie! Da war das Mädchen mit den roten Haaren!
Wie hypnotisiert kroch ich unter den Hänger. Dass mir die auf dem dreckigen Boden verstreuten Schottersteine spitz in Knie und Ellbogen stachen, spürte ich kaum. Doch was das Schlagen war, erkannte ich jetzt. Es war kein Beil, das in einen Baumstamm gehackt wurde. Es waren Messer. Wurfmesser.
In schneller Abfolge schleuderte das rothaarige Mädchen die Klingen in eine Holzplatte, auf der die Silhouette eines Körpers aufgezeichnet war, wie man es von Tatorten aus Filmen kannte.
Zack, zack, zack. Mit fließenden Bewegungen trieb sie die Messer in das Holz. Exakt an die Markierung. Dann zog sie die Klingen heraus, bevor sie die Waffen wieder in das Brett schnellen ließ.
„Krüger?“Viktors gedämpfte Stimme drang zu mir in mein Versteck. Mein Kumpel suchte mich.
„Hier unten“, signalisierte ich und sah Viktor, der mir triumphierend entgegenglotzte.
„Was ist?“, fragte ich leise. „Ich hab ihn“, platzte es aus ihm heraus. „Komm vor da. Ich hab deinen Rucksack. War in einem der . . . Fuck!“
Viktor war zu mir unter den Anhänger gehechtet. Erst hatte ich gedacht, er hätte sich wie ich vor dem Panther erschreckt. Doch dann wurde mir klar, wovor Vik in Deckung gegangen war. Am Eingang der Zirkussiedlung standen die beiden Polizisten, die zu dem Vorfall im Müller gerufen worden waren, und daneben, wie ein aufgeblasener Hilfssheriff, stakste der Nazi-Filialleiter.
Viktor, der mir meinen Rucksack zugeschoben hatte, wies in Richtung der rothaarigen Messerwerferin. „Ist sie das?“, flüsterte er. Ich nickte. „Der Nazi und die Bullen wollen die einkassieren.“
„Ganz stark kombiniert, Sherlock“, flüsterte ich zurück, und Viktor boxte mir im Liegen in die Niere, dass ich mich kurz krümmte.
(Fortsetzung folgt)