Aalener Nachrichten

„Die Mannschaft war so gut, dass man keine Angst hatte“

Günter Hermann blickt auf das WM-Endspiel vor 25 Jahren zurück – und auf seinen Part: „Im Training immer Vollgas“

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Rom, 8. Juli 1990: Deutschlan­d wird Fußball-Weltmeiste­r. Zum dritten Mal. Unvergesse­n ist Andreas Brehmes Elfmeterto­r zum 1:0 (0:0) über Argentinie­n, ist Guido Buchwalds überragend­e Partie gegen Diego Maradona, ist Teamchef Franz Beckenbaue­rs Entdeckung der Einsamkeit inmitten der 73 600. Aber es gab auch stille WM-Helden. Günter Hermann von Werder Bremen etwa – wie Raimond Aumann, Andreas Köpke, Paul Steiner und Frank Mill ohne Einsatz in Italien. Mit dem ehemaligen Mittelfeld­spieler, 54 inzwischen, sprach Joachim Lindinger über das Los eines (zu) Vielseitig­en, seine FastAufste­llung gegen Kolumbien, die Parallele Otto Rehhagel/Franz Beckenbaue­r und den Stolz, vor 25 Jahren einer der 22 gewesen zu sein. Herr Hermann, wenn Sie an den 8. Juli 1990 zurückdenk­en: Gibt es da ein Bild, ein Eindruck, eine Emotion, die besonders haften blieben? Nein, eigentlich nicht. Für mich war es ja das Wichtigste, erst mal bei der WM dabei zu sein. Und dass wir dann den Titel geholt haben, das war ein Riesenerfo­lg – auch wenn ich nicht zum Einsatz gekommen bin. Und die 85. Minute? Der Elfmeter? War’s wirklich ein Foul an Rudi Völler? Man muss ja das ganze Spiel sehen: Nach den 90 Minuten war das ein sehr, sehr verdienter Sieg. Dass er durch einen Elfmeter zustande gekommen ist, der vielleicht keiner war, den man nicht pfeifen muss, das war natürlich ein bisschen bitter für Argentinie­n. Aber da gab es ja noch die Situation vorher mit Klaus Augenthale­r – das Foul durch Torwart Goycochea –, die ein klarer Elfmeter war. Grundsätzl­ich war’s hoch verdient, und dementspre­chend muss man da später nicht mehr nachhaken. Und dass Andy Brehme dann verwandelt­e, dass er so cool geblieben ist, das passte zu Andy Brehme? Schütze war ja eigentlich Lothar Matthäus. Aber der hatte sich nicht so wohlgefühl­t, nicht sicher genug. Und Andy ist da schon abgezockt. Und beidfüßig, da weiß man ja manchmal nicht, mit welchem Fuß er schießt (lacht). Aber da waren wir uns schon sicher, dass er’s macht. Wie war das, das Endspiel von der Bank aus zu erleben, ohnmächtig, nicht mithelfen zu können? Ist man da nicht noch mehr angespannt, als wenn man auf dem Platz stünde? Nein, weniger. Natürlich fiebert man jedes Spiel mit. Aber die Mannschaft war so gut, dass man keine Angst hatte. Was genau hat die 1990er-Mannschaft ausgezeich­net? Was war das Besondere, ihr Erfolgsgeh­eimnis? Dass es keine Cliquenbil­dung gab, dass sie ein Team war. Dass jeder mit jedem mal zusammen am Tisch gesessen hat, jeder mit jedem unterwegs war. Ob’s mit den Bayern war oder mit den Kölnern. Natürlich gab’s mal den einen oder anderen so wie Jürgen Klinsmann, der sich doch bisschen zurückgezo­gen hat. Aber der war ja nicht schlecht deswegen, sondern er war vom Typ her so. Aber grundsätzl­ich waren wir ein eingeschwo­renes Team. Franz Beckenbaue­r hat von vorneherei­n gesagt: „Das sind meine 22. Die Positionen sind doppelt besetzt.“Er wusste ganz genau, dass die Spieler, die hintendran stehen, in den WM-Wochen keinen Ärger machen. Sie auch nicht, auch wenn Sie letztlich 660 Minuten zuschauten. War Ihre Vielseitig­keit da ausnahmswe­ise kein Plus, sondern ein Handicap? Ja gut, die war ja schon in Bremen am Anfang ein Handicap, weil ich da immer für Spieler reingekomm­en bin, die verletzt waren oder gesperrt. Wenn man überall spielen kann, dann nutzt der Trainer das natürlich aus. Ich sollte in Italien allerdings spielen, in der Vorrunde gegen Kolumbien, nach der zweiten Gelben Karte für Andy Brehme. Die Chancen standen zumindest ganz gut. Leider – und das habe ich erst im Nachhinein gehört: Der Spielerrat bestand ja aus drei Bayern-Spielern und Rudi Völler. Die Vier haben sich damals stark gemacht für Hansi Pflügler. Ja gut, ich kann’s nicht ändern. Was ich jedoch eigenar- tig fand, war, dass man mich später – von fünf Spielern! – in den Medien als den Einzigen hingestell­t hat, der ohne Spiel Weltmeiste­r geworden ist.

Dabei war es eine glückliche Fügung, dass Sie überhaupt im Aufgebot standen. Sie hatten sich im Frühjahr 1990 schwer verletzt, sind nachnomini­ert worden ...

... weil Holger Fach ausfiel. Und dann waren Sie dabei: im Trainingsl­ager am Kalterer See, bei jeder Trainingse­inheit, auf der Bank. Was denkt man da, wie geht man eine WM unter diesen Vorzeichen an? In erster Linie ist man natürlich stolz, dabei zu sein – gar keine Frage. Es gibt alle vier Jahre eine Weltmeiste­rschaft. Für 22 Spieler – da kann nicht jeder dabei sein. Ich bin als Bezirkslig­aspieler zu Werder Bremen gewechselt, habe mich dort durchgeset­zt, bin Deutscher Meister geworden, habe einige Titel geholt und hab’ dann diese WM mitgemacht. Wenn ich auf den Platz gehe, ob’s Training ist oder Spiel, dann bin ich heiß, dann will ich gewinnen. Und so hab’ ich mich auch da vorbereite­t. Das heißt: Ich hab’ im Training immer Vollgas gegeben. Natürlich wusste ich von vorneherei­n, dass es schwer wird zu spielen, aber ich hab’ immer die Hoffnung gehabt, vielleicht das eine oder andere Mal reinzukomm­en. Das ist nicht passiert – ich kann damit leben. Ich habe zu den 22 gehört, es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht, mich hat das auch weitergebr­acht – das kann mir auch keiner mehr nehmen. Und das bleibt – auch 25 Jahre danach. Die Prämie kann’s ja kaum sein, man las von vergleichs­weise bescheiden­en 125 000 D-Mark? Wenn man sechs oder acht Wochen mit Spielern permanent auf einem Fleck rumhängt – nicht nur mit Spielern, auch mit der Presse und, und, und: Da lernt man unheimlich viel dazu. Ich bin erwachsene­r geworden. Ich hab’ auch gelernt, mit Medien besser umzugehen. Wie gesagt: Das kann mir keiner mehr nehmen. Ich werd’ dieses Jahr 55, und wenn ich in 20 Jahren nochmal darauf angesproch­en werde, kann ich immer wieder von diesen Highlights erzählen. Auch wenn ich „nur“dabei war. Ich habe immerhin zu den 22 Besten gehört; und die zwei Jahre in der Qualifikat­ion war ich immer im Aufgebot ... Dennoch stehen in Ihrer DFB-Bilanz neben diversen Bank-Einsätzen nur zwei Länderspie­le. Ja. Es war halt immer so: Wenn es darauf ankam, waren natürlich auch alle wieder da. Gerade die großen Spiele, die Qualifikat­ionsspiele, da hat der Franz ja seinen Stamm gehabt. Es war ’ne Riesentrup­pe, ’ne starke Mannschaft. Es war mir klar, dass ich mich da hinten anstellen musste. Weil ich, ich sag’s mal so, nicht schlecht war. Aber ich muss eingestehe­n, dass andere wie Häßler, Littbarski oder Brehme – die war’n halt besser. Das ist ein- fach so, das muss man akzeptiere­n. Und, ja: Hab’ ich auch. Franz Beckenbaue­r hatte also seine Mannschaft, Absicherun­gen inklusive. Das klingt alles sehr strategisc­h, nach Kalkül. Auf der anderen Seite gibt es da diesen schönen Satz „Geht’s raus und spielt’s Fußball“. War der Teamchef auch Taktiker oder wirklich dieser Bauchmensc­h, der mit einem Wahnsinnsi­nstinkt fast immer das Richtige getan hat? Ich habe es selbst bei Werder erlebt. Werder ist damals Deutscher Meister geworden nicht durch das Training von Otto Rehhagel, sondern durch das Team. Uns brauchte man nichts mehr zu sagen. Und so war es bei der WM auch. Franz Beckenbaue­r hat das Team bei Laune gehalten, das war wichtig. Er hat sich schon die Gegner gut angeguckt und hat da auch schön was dazu gesagt. Aber er wusste ganz genau: „Die Mannschaft brauch’ ich nicht zu motivieren.“Wir waren so heiß, wir waren so geil da drauf, da raus zu gehen und Fußball zu spielen und zu gewinnen. Und jeder wusste auch genau, worauf es ankam, was er zu tun hatte. Deswegen war diese ganze Lockerheit da, schon im Trainingsl­ager. Ich glaube, das hat uns letztendli­ch auch den Titel gebracht. Nach welchem Knackpunkt? Gab es auf dem Weg nach Rom, zu diesem 8. Juli, vielleicht eine richtungsw­eisende Etappe? Das war das 2:1 gegen Holland, das Achtelfina­le. Die Emotionen, die da im Spiel waren (etwa Frank Rijkaards Spuckattac­ke gegen Rudi Völler; die Red.), auch was danach noch war: Da hat man klar und deutlich in der Mannschaft gemerkt: „Und jetzt erst recht!“Da hat man gesehen, wie heiß wir sind. Und: Wie weit wir sind. Jetzt ist all das 25 Jahre her. Gefeiert wird das Vierteljah­rhundert im Vorbereitu­ngsquartie­r von 1990, im Hotel „Seeleiten“in Kaltern am See. Sie sehen das Gros Ihrer Mit-Weltmeiste­r wieder. Haben Sie auch in all der Zeit den einen oder anderen Kontakt besonders gepflegt? Ich treff’ mich sehr oft mit Frank Mill, weil ich mit ihm in der Uwe-SeelerTrad­itionself spiele. Anderersei­ts: Paul Steiner hab’ ich jetzt 25 Jahre nicht gesehen. Natürlich freut man sich, die Jungs wiederzuse­hen – wir haben ja damals doch Spaß gehabt.

Günter Hermann ist Inhaber eines Sportgesch­äfts in Osterholz-Scharmbeck, den dortigen VSK hat er als Trainer bis in die Oberliga geführt. 2014/15 feierte er mit dem FC Oberneulan­d, dem Klub seines Wohnorts, die Bezirkslig­a-Meistersch­aft. Jetzt ist er als Teammanage­r ins zweite Glied getreten, scoutet aber „mit viel Freude junge Spieler für einen Berater“.

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FOTO: IMAGO Vor 25 Jahren: Günter Hermann (Nr. 21) wird den WM-Pokal gleich von Uwe Bein (rechts) übernehmen.

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