Die längsten acht Minuten seines Lebens
Andreas Brehme erinnert sich an sein Elfmetertor im WM-Finale 1990
Dieser eine Schuss, er hat das Leben geprägt von Andreas Brehme, Elfmeterschütze des goldenen Tores im WM-Finale 1990 gegen Argentinien. „Ob beim Einkaufen, am Flughafen oder irgendwo im Stadion“, es vergehe kein Tag, an dem er nicht auf das Finale angesprochen werde. „Die Leute reden heute noch von dem Spiel“, erklärte der 54-Jährige im Gespräch mit Patrick Strasser für die „Abendzeitung“. 86 Länderspiele hat Brehme bestritten. Acht Treffer sind dem Linksverteidiger im Nationaltrikot gelungen – was das wichtigste Tor seiner Karriere bedeuten sollte, ist dem gebürtigen Hamburger erst später bewusst geworden: „ Du bist einfach mit dem beschäftigt, was auf dem Platz passiert. Erst ein paar Tage später kam das langsam, als ich im Urlaub auf Sardinien war.“
Auf dem Platz war nach dem Pfiff in der 85. Minute eine ganze Menge los. „Dann war Chaos“, sagte Brehme. „Es war unfassbar, wie die Argentinier auf den Schiedsrichter losgegangen sind. Die hätten ja da schon mehrere Rote Karten bekommen müssen, so haben sie ihn bedrängt und attackiert, sogar weggeschubst.“Schiedsrichter Edgardo Codesal Méndez aus Mexiko hatte alle Mühe, Akzeptanz für seine Entscheidung zu finden. „Ich stand etwa 40 Meter von Rudi Völler und José Serrizuela entfernt, als der Schiedsrichter ein Foul pfiff. Man konnte den Elfmeter geben, weil der Abwehrspieler blöd hingeht“, meint Brehme. „Wenn man im Sechzehner so hingeht, muss man damit rechnen, dass man bestraft wird. Als wir die Aktion mit Rudi hinterher in der Kabine noch mal gesehen hatten, war das Gelächter groß, dann haben wir ihn hochgenommen: ,Ey Rudi, bist du da zusammengebrochen?‘“
Der Pfiff verlangte den deutschen Spielern eine wichtige Entscheidung ab. „Wir hatten drei Schützen vereinbart“, berichtet Brehme. „Lothar Matthäus, Rudi Völler und mich. Rudi ist gefoult worden, und der Gefoulte schießt nicht. Lothar hat mir signalisiert, ich solle zum Punkt gehen. Er hat ein paar Schritte zurück gemacht, da war mir schnell klar, was das bedeutete.“Später erklärte Matthäus, er habe sich nicht sicher gefühlt, weil aus seinem Schuh Stollen herausgebrochen waren. „Sein Verzicht hat nichts mit Angst zu tun, sondern allein mit der Frage, ob man sich sicher fühlt oder nicht“, nimmt Brehme seinen damaligen Teamkollegen in Schutz. „Ich finde es ungerecht, wenn manche Leute ihm vorwerfen, er habe sich in die Hosen gemacht, hätte Angst gehabt. Nein, Lothar hat eine Weltklasse-WM gespielt und in diesem Moment die richtige Entscheidung getroffen. Denn hier ging es nicht um persönliche Eitelkeiten, sondern um uns, die Mannschaft – und um eine ganze Nation.“Auch den Segen von Teamchef Franz Beckenbauer hatte Brehme – mit einem Blick zum Spielfeldrand überzeugte er sich davon: „Franz hat mir gezeigt, ich solle den Elfmeter schießen und hingehen. Ich fühlte mich auch relativ sicher. Ich hatte ein gutes Spiel gemacht, eine gute WM gespielt, wir alle. Daher hatte ich ein gesundes Selbstvertrauen.“
Die Angst vor einem Fehlschuss plagte Brehme also nicht. „Ich hatte ein ganz anderes Problem“, verriet der Ex-Profi von Inter Mailand. „Ich musste unendlich lange warten, bis ich den Elfmeter ausführen konnte. Sieben, acht Minuten, glaube ich. Du legst den Ball hin, dann kommt einer der Argentinier und schießt ihn weg. Der Schiedsrichter hat nichts gemacht, keine Gelbe Karte gezückt.“
Gute Nerven brauchte Brehme auch im Dialog mit einem Mitspieler: „Mein Freund Rudi Völler sagte zu mir: ,Andy, wenn du den reinmachst, sind wir Weltmeister.‘ Da hab ich geantwortet: ,Danke, mein Freund, danke für den Hinweis, das weiß ich auch!‘“Meine Güte, das war wohl der Spruch des Jahrhunderts.“
Erst spät, als er sich den Ball zurechtlegte, hat sich Brehme für die linke Ecke entschieden. Er habe den Ball mit dem rechten Fuß „gut getroffen. Ich hatte das Ding richtig gut auf der Pfanne – und dann waren wir alle froh, dass er drinne war.“(az/ara)
Deutschland: Illgner - Augenthaler - Buchwald, Kohler, Brehme - Berthold (73. Reuter), Häßler, Matthäus, Littbarski - Völler, Klinsmann. – Außerdem im Kader: Aumann, Köpke, Pflügler, Steiner, Bein, Hermann, Möller, Thon, Mill, Riedle.