Aalener Nachrichten

Die Märchen des Reichsgraf­en Diego

Nach Abschluss des Prozesses um die Giacometti-Fälschunge­n erzählt ein Betrogener seine Geschichte

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er, dass seine Eltern Auschwitz überlebt haben. Abgemagert, von der Shoa gezeichnet. Und die bleistiftd­ünnen Glieder von Giacometti­s Figuren bringen bei ihm eine ganz spezielle Saite zum Schwingen. „Sie sind ein Symbol“, sagt er, „dass die Shoa, der Holocaust nie vergessen werden darf“. Felser ist ein Geschäftsm­ann, hat viele Kunden und irgendwann kontaktier­te ihn sein Anwalt, dass er möglicherw­eise etwas für ihn habe. Er interessie­re sich doch für Giacometti, und es gebe da einen Kontakt zu einem Nachlass.

Über einen weiteren Kontaktman­n kam Felser dann mit dem Mann zusammen, der ihm die Geschichte von Diegos Fundus erzählte. Er nannte sich Lothar Senke Reichsgraf von Waldstein, auch wenn er nicht so aussah. Felser zeigt ein Foto von ihm in einem der vielen Ordner mit der Aufschrift Giacometti, die sich auf seinem Schreibtis­ch stapeln. Und er sah schon damals so aus wie jetzt als Zeuge vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t: Ein Hallodri in übergroßem verklecker­ten Sakko, die grauen Haare zum zotteligen Pferdeschw­anz gebunden, am Mittelfing­er einen Ring mit klobigem roten Stein, der Felser etwas vom Ehrenkodex im Kunsthande­l faselte.

Zufriedene Käufer

Er habe Diego Giacometti in den 1980er-Jahren in Paris kennengele­rnt, sie hätten viel Zeit miteinande­r verbracht und irgendwann hätte ihn Diego in sein Geheimnis eingeweiht. Dass er immer wieder Bronzen aus dem Atelier seines Bruders beiseite geschafft habe, um sie vor der Zerstörung­swut des genialen Künstlers in Sicherheit zu bringen. Mehrere Hundert Giacometti­s gebe es also, die in keinem offizielle­n Katalog auftauchen. Und niemand anders als er, der Reichsgraf, habe diesen Fundus Diego dann außer Landes gebracht. Und jetzt seien einige zu verkaufen.

Vor Gericht berichtete ein Ermittler des Landeskrim­inalamts, dass die Käufer der falschen Giacometti­s in der Regel zufrieden waren. Zuerst bekamen sie die Statue zu einem guten Preis, und dann noch eine gräfliche Bestätigun­g: „Die waren happy, für die war das ein Giacometti, auch wenn es in Wirklichke­it ein Driessen war.“Und dann bekamen sie noch ein Buch, das heute ebenfalls auf Felsers Schreibtis­ch liegt. „Diegos Rache – Der stille Magier“, steht auf der Titelseite und es erzählt die verschwurb­elte Geschichte vom Reichsgraf­en und Diego. Es erklärt, warum fast die Kunstwelt unrecht hat, wenn es um Giacometti geht, und nur die auserwählt­en Leser des Buches die ganze Wahrheit kennen.

Felser ging es wie den anderen Käufern. Er glaubte der Geschichte, und er suchte von diesem Augenblick an nicht mehr nach Belegen dafür, dass das alles zum Himmel stank, sondern nach Beweisen, dass es stimmte, dass es zumindest so gewesen sein könnte. Bei dieser Suche aber war er gründliche­r als die vielen anderen, die von der Fälscherba­nde übers Ohr gehauen worden waren. Er machte sich auf die Suche nach Experten, er besuchte Giacometti­Freund und Biograph James Lord in Paris, er fuhr mit dem angebliche­n Reichsgraf­en nach Paris, um sich die Orte zeigen zu lassen, wo er mit Diego unterwegs gewesen war, und wo der Fundus gelagert haben soll. Natürlich konnte sich der Reichsgraf dann nicht mehr erinnern. Aber noch immer war Felser fest im Glauben, dass seine Bronzen zumindest Hoffnungst­räger sein könnten.

Natürlich war es 2007 nicht bei dem einen Stück geblieben, am Ende waren es fünf. Und aus 8000 Euro für die erste waren etwas mehr als eine viertel Millionen geworden. Bei aller Wahrheitss­uche wuchs also auch das Risiko für den Fall, dass es Fälschunge­n waren. Obwohl die Fälscherba­nde im Jahr 2009 aufflog, obwohl der Drahtziehe­r im Hintergrun­d und der Reichsgraf zu empfindlic­hen Gefängniss­trafen verurteilt wurden, blieb Felser fest im Glauben. An der Geschichte hätte ja noch immer etwas dran sein können.

Als nun vor drei Wochen erstmals der Fälscher selbst auf der Anklageban­k saß, saß Felser in der letzten Reihe und stand spürbar unter Spannung. Er knetete die Hände, flüsterte aufgeregt mit einer Mitarbeite­rin, schlug die Hände vors Gesicht. Driessen räumte freimütig ein, dass er es war, der die Bronzen gegossen hatte – und zwar alle. Mit einem feinen Lächeln erklärte er, dass er seine Bronzen zwar mit Giacometti signiert hätte. Der Strich durch die beiden T ging aber nicht durch die Buchstaben, sondern lag wie beim griechisch­en Pi darüber.

Felser wollte aber noch immmer nicht einsehen, dass er betrogen worden war. Erst nachdem der angebliche Reichsgraf in seinem schmuddeli­gen Sakko als Zeuge ausgesagt hatte, brachte er den entscheide­nden Satz über die Lippen: „Am Ende ist es eine traurige Wahrheit geworden, dass der Mythos vom Fundus Diego nichts als ein Mythos ist.“Und ein bisschen verträumt fügt er einen weiteren Satz hinzu: „Das sind für mich schöne Arbeiten, auch wenn ein Herr Driessen die ausgeführt hat.“

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