Tiefe Einblicke
Younghi Pagh-Paan erhält in Schwäbisch Gmünd den Preis der Europäischen Kirchenmusik
SCHWÄBISCH GMÜND - Seit einem Vierteljahrhundert gibt es das Festival Europäische Kirchenmusik in der Stauferstadt Schwäbisch Gmünd. Zum 17. Mal ist dort jetzt der 1999 gestiftete Preis der Europäischen Kirchenmusik verliehen worden. Er ging an die aus Korea stammende Komponistin Younghi PaghPaan. Sie ist nach Sofia Gubaidulina erst die zweite Frau in der Reihe der illustren Preisträger. Zu ihnen gehören die Komponisten Krzystof Penderecki, Arvo Pärt und John Taverner, die Dirigenten Helmuth Rilling und Frieder Bernius, aber auch der Thomanerchor Leipzig.
Younghi Pagh-Paan, die in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag feiert, lebt seit gut vierzig Jahren hauptsächlich in Deutschland. Vor dem Preisverleihungskonzert mit dem renommierten Vokalensemble Singer Pur in der Augustinuskirche von Schwäbisch Gmünd gab es ein zweistündiges Musikforum im Kulturzentrum Prediger. Dort wurden ausgewählte Werke von Pagh-Paan und ihr eigens für Singer Pur komponiertes A-cappella-Auftragswerk „In deinem Licht sehen wir: das Licht“anhand von Klang- und Notenbeispielen vorgestellt und erläutert.
Beim anschließenden Podiumsgespräch mit dem künstlerischen Leiter Ewald Liska erzählte PaghPaan aus ihrem Leben. Sie wurde 1945 in der kleinen Stadt Cheogju südlich von Seoul geboren. In ihrer Familie gab es keine professionellen Musiker. Als Kind sang sie ihrem kranken Vater vor. Nach seinem Tod hatte sie keinen Zuhörer mehr. Ihre Schwester riet ihr deshalb, qua- si als Ersatz für das Singen mit dem Klavierspiel zu beginnen. Da es zu Hause kein Instrument gab, musste sie in der Schule üben. Später studierte sie Musik in Seoul. Ein DAAD-Stipendium ermöglichte ihr 1974 die Fortsetzung ihrer Ausbildung in der Freiburger Kompositionsklasse von Klaus Huber, mit dem sie mittlerweile verheiratet ist.
Der Geist weht, wo er will
Von 1994 bis zu ihrer Emeritierung 2011 war Pagh-Paan Professorin für Komposition in Bremen. In ihren Werken versucht sie „das Wesen koreanischer Musikkultur“mithilfe differenzierter „westlicher“Kompositionstechniken zu erneuern. Früh wurden gesellschaftliche und politische Fragestellungen für ihre Arbeit wichtig. Daneben trat später die Auseinandersetzung mit antikem Mythos (etwa in ihrem 2006 in Stuttgart uraufgeführten Musiktheaterstück „Mondschatten“), mit fernöstlichen Weisheitslehren, in jüngerer Zeit zunehmend auch mit christlichen Texten. Wie weit sie sich mit ihnen identifiziert, lässt die aus katholischer Familie stammende Komponistin gleichwohl offen.
Das Programm des Preisverleihungskonzerts trug den Titel „Der Geist weht, wo er will“. Die sechs Mitglieder von Singer Pur wollten im Blick auf die Würdigung von Pagh-Paan bewusst „Musik aus verschiedenen Weltreligionen“präsentieren. Den Rahmen bildeten Renaissance-Vertonungen des diesjährigen Festivalmottos „Mitten im Leben“. Nicolas Gomberts magisch dahinfließende Motette „Media vita in morte sumus“stand am Anfang, Orlando di Lassos geniale Komposition desselben Texts am Schluss: beglückende polyphone Klangfülle mit flüchtig sich ergebenden Harmoniewundern.
Dazwischen erklangen hebräische Psalmvertonungen des Monteverdi-Zeitgenossen Salamone Rossi, betörend eigenwillige Tonpoeme des indisch-deutschen Komponisten Sandeep Bhagwati (Jahrgang 1963) mit Urdu-Texten von Ahmad Faiz, „Lamentationen“von Palestrina und Ivan Moody (Jahrgang 1964) sowie einige Werke der Preisträgerin. Der dänische Organist Poul Skjöstrup steuerte Pagh-Paans farbig registirertes „Unterm Sternenlicht“(2009) bei. Zusammen mit der Cellistin Christina Meißner zelebrierte er „Augenblicke – Gebet“in wirkungsvollem Dialog zwischen Orgelempore hinter und Chorraum vor dem Publikum.
Zum Kernstück des Konzerts geriet die Uraufführung von PaghPaans Auftragswerk, dem als Texte Ausschnitte aus zwei Psalmen und aus Laotses „Tao Te King“zugrundeliegen. Besonders packend gestalteten die Mitglieder von Singer Pur den „Halleluja“-Schlusskanon, bei dem sich die zuvor komplexdüstere Klangwelt des Stücks strahlend aufhellt. Die Laudatio des Musikwissenschaftlers Max Nyffeler gab tiefe Einblicke in Pagh-Paans Schaffensprozesse. Die zahlreichen Veranstaltungen des Festivals dauern noch bis zum 9. August.