Aalener Nachrichten

Die Schwarzen kommen

Seltsam unbekannt ist hierzuland­e der Europa am nächsten gelegene Kontinent

-

giesen, Italienern, Spaniern und Deutschen kolonisier­t. Welches Land welche wirtschaft­liche Struktur und welche Regierungs­form übernommen hat, hing wesentlich von der vormaligen Kolonialma­cht ab. Darum isst man heute noch in Abidjan in der Elfenbeink­üste zum Frühstück Baguette, in Kenia trinkt man Tee wie die Briten, und in Kongo-Kinshasa wird das schmackhaf­te Primus-Bier aus 0,72-Liter-Flaschen getrunken, wie es sie sonst nur in Belgien gibt.

Doch neben diesen Äußerlichk­eiten sind auch die Amtssprach­en, das Schulwesen und die Verkehrsre­geln geprägt von dem, was in der Kolonialze­it üblich war. Ein Schüler im frankofone­n Senegal kennt die Geschichte Frankreich­s, aber nicht die des anglophone­n Nachbarlan­des Gambia.

Die da also durch unsere Straßen laufen, haben eine sehr unterschie­dliche Geschichte, sie sprechen sehr verschiede­ne Sprachen, sie essen grundversc­hiedene Dinge. Was ihnen am ehesten gemein ist, ist der Respekt vor der Familie und den Alten, wie es ihn überall in Afrika und viel stärker als in Europa gibt.

Inseln des Wohlstands

Aber auch das ist wieder so ein Klischee, für das sich zahlreiche Gegenbeisp­iele finden ließen. Wie es überhaupt so zu sein scheint, dass wir uns, da wir nicht viel von dem Kontinent wissen, der uns am nächsten gelegen ist, auf Klischees verlassen. Die klassische­n Bilder von hungernden Menschen, barfüßigen Kindern, ärmlichen Behausunge­n und grober Gewalt kann man natürlich in Afrika finden.

So wie man Hunger und ärmliche Unterkünft­e in Europa findet. Nur käme niemand auf die Idee, vom all-

gemeinen Lebensstan­dard im ländlichen Rumänien auf die städtische Infrastruk­tur von Ulm schließen zu wollen. Der ehemalige baden-württember­gische Ministerpr­äsident Günther Oettinger hat kürzlich in seiner Funktion als EU-Kommissar für Digitales die Netzabdeck­ung im Südwesten mit jener in Burundi verglichen. Er wollte damit sagen, dass diese schlecht sei. In Wirklichke­it hat er aber gesagt, dass er keine Ahnung von Burundi hat. Das zentralafr­ikanische Land mag kaputte Straßen und ethnische Konflikte haben, aber eben auch ein modernes Mobilfunkn­etz. Im Nachbarlan­d Ruanda werden gerade Glasfaserk­abel in jedes Dorf verlegt und im nicht weit entfernten Kenia kann man Sim-Karten kaufen, die ohne Roaminggeb­ühren in Nigeria, dem Kongo oder Burundi eingesetzt werden können. Das sind technische und juristisch­e Möglichkei­ten, von denen man hierzuland­e nur träumen kann, während Günther Oettinger gegen RoamingGeb­ühren in der EU kämpft.

Afrika ist vieles, vor allem aber Vielfalt. Der europäisch­e Blick auf Afrika ändert sich schon dadurch, wenn man sich immer mal wieder die schiere Zahl der 53 Staaten vor Augen führt. Gar nicht zu reden von der Zahl der Nationalhy­mnen, Staatsbibl­iotheken, Kirchengem­einden, lokalen Spezialitä­ten und Fußballver­einen.

In Afrika gibt es Enklaven des Wohlstands und der Bildung in einem Meer der Ungleichhe­it. Die Mieten in Angolas Hauptstadt Luanda sind höher als die in London. In der kenianisch­en Hauptstadt Nairobi hat vor einiger Zeit eine Porsche-Vertretung eröffnet, der Mittelstan­d wächst und wächst. Drum herum um diese Inseln des Wohlstands und der Moderne gibt es Elend und Perspektiv­losigkeit. Eine gute Schulbildu­ng kostet Geld, wer keines hat oder wer kein Stipendium bekommt, hat wenig Aussichten auf einen hohen Lebensstan­dard.

Kombinatio­n von Gründen

Die Gründe für einen Menschen aus Afrika, nach Europa zu fliehen, sind oft eine Kombinatio­n aus politische­n, persönlich­en, wirtschaft­lichen Motiven. Die Flucht vor politische­r Verfolgung in Ländern wie Eritrea oder Gambia paart sich mit jugendlich­er Abenteuerl­ust, dem Wunsch, zu neuen Ufern aufzubrech­en. Afrikanisc­he Flüchtling­e im Südwesten kommen aus einigen wenigen Ländern. Die meisten Flüchtling­e aus Afrika leben übrigens in Afrika: Da fliehen Nigerianer nach Kamerun, Kameruner nach Nigeria, Kongolesen nach Uganda und Sudanesen nach Kenia. Hunderttau­sende von ihnen.

Wer durch die Sahara reist und in Libyen auf ein Boot steigt, um nach Europa zu gelangen, gehört in Afrika übrigens meist zur Unterschic­ht. Im Boot nach Europa treffen sie dann auf Ärzte aus Syrien und Lehrer aus Afghanista­n oder dem Irak. Die afrikanisc­he Mittelschi­cht dagegen, die fliehen muss, steigt ins Flugzeug.

Während wir oft zur Vereinfach­ung neigen, wenn es um Afrika geht, wissen viele junge Leute in Afrika viel von Europa. Wer Helmut Kohl war, der so lange regierte wie mancher afrikanisc­he Diktator, können viele Kenianer und Ugander gut erinnern. Die Namen berühmter deutscher Fußballspi­eler von Schweinste­iger bis Götze kennt dort jedes Kind.

Umgekehrt wird das schon schwierige­r. Oder wer weiß schon, wie der Präsident von Tansania heißt? Oder zumindest, wo dieses Land auf der Karte zu finden ist?

 ?? F 123R :© FOTO ??
F 123R :© FOTO

Newspapers in German

Newspapers from Germany