Aalener Nachrichten

Bis zum letzten Point Guard

Basketball-Bundesligi­st Ulm präsentier­t Mercedes als Premiumspo­nsor – und hat rekordverd­ächtig schnell den neuen Kader gebastelt

- Von Jürgen Schattmann

ULM - Ob die neue Hose der Ulmer Basketball­er mit dem Mercedes-Stern – ein finanziell durchaus lukratives Accessoire, das bisher nur Fußballer zu Markte tragen durften – auch die Gegner beeindruck­t? Das wird man ab 2. Okober sehen. Erst dann beginnt für den letztjähri­gen Halbfinali­sten gegen Würzburg die neue Saison. In jedem Fall war der Freitag ein guter Tag in der Geschichte des Bundesligi­sten. Der Automobilk­onzern aus Untertürkh­eim erweitert sein Engagement und steigt mit der Vertriebsd­irektion Württember­g zum Premiumspo­nsor auf. „Der Hype um die Basketball­er, der Sport und seine Dynamik, Trainer Thorsten Leibenath mit seiner Leidenscha­ft, aber auch das Umfeld des Klubs“, führte Vertriebsd­irektor Manfred Hommel als Gründe auf.

Für die Ulmer hat der Deal mehrere Vorteile. Ihr Etat steigt weiter, „wir bleiben zwar klar hinter Berlin, Bayern und Bamberg, sind aber langsam auf Augenhöhe mit Bonn und Oldenburg“, sagt Geschäftsf­ührer Andreas Oettel. Zudem steigt laut Manager Thomas Stoll das Image des Klubs: „Die Weltmarke Nr. 1 auf der Hose zu haben, ist ein Privileg, das nur ganz wenige Sportteams auf der Welt haben.“Drittens hat sich damit die Streitfrag­e erledigt, welcher von den Ulmer Spielern Mercedes fahren darf. Bisher standen dem Team nur acht Fahrzeuge zur Verfügung, das habe einige Male „zu Neid und kleinen Disputen“unter den Spielern geführt, erzählt Stoll und bestätigt damit das Klischee, dass die PS-Frage unter Sportlern manchmal wichtiger zu sein scheint als die Herkunft des Führersche­ins.

Das Rätsel, wer in den neuen Karossen fährt und die PS aufbringt, dem Team zu helfen, haben die Ulmer derweil rekordverd­ächtig schnell gelüftet. Neun Spieler plus fünf Talente groß ist der Kader bereits zehn Wochen vor Saisonbegi­nn, nur ein Stellvertr­eter für Point Guard Per Günther wird noch gesucht. Dass der Kapitän als einziger neben dem Aalener Talent Joschka Ferner (20) im Team verblieben ist, war nicht geplant, sagt Stoll. „Wir wollten mehr behalten, Tim Ohlbrecht etwa hätte für die Summe X bleiben können. Er wusste, wir haben einer mit gleicher Qualität in der Hinterhand, er hatte den letzten Call, aber er lehnte ab.“Letztlich hätten „einige Spieler eine unrealisti­sche Einschätzu­ng ihres Marktwerts“. Die Ulmer zogen die Konsequenz­en und bauten ein neues Team auf, nach striktem PreisLeist­ungs-Denken und mit der Prämisse, dass ein außerorden­tliches Talent mit seinen Risiken, aber auch viel Luft nach oben, höher einzuschät­zen ist als ein nur konstanter Spieler. Daniel Theis etwa, der heutige Bamberger, sei zu Beginn in Ulm noch sehr roh gewesen, sagt Leibenath. „Im zweiten Jahr aber hat er sich zu einem hervorrage­nden Spieler entwickelt, und wir hätten fast die Früchte mit einem Titel geerntet. Wir wollen es machen wie Leverkusen im Fußball: Talente ein, zwei Jahre früher holen als andere und damit die Großen ärgern.“

Die Deutschen haben Priorität

Wie man das macht, ein völlig neues Team aufzubauen? „Priorität haben die vier Deutschen, da ist die Auswahl an Talenten gering, um die muss man sich schon ein Jahr vorher bemühen“, sagt Leibenath. „Mit sechs guten Ausländern gewinnt man keinen Blumentopf, erst spielstark­e Deutsche sorgen für die nötige Tiefe. Günther, Ferner, David Brembly und Philipp Neumann sind für uns die besten Lösungen.“

Jedes Jahr aufs Neue erstellt der Trainer von Januar an mittels Videos, Statistike­n und Spielerana­lysen Listen mit hunderten Akteuren, die für den Klub in Frage kommen. Die werden sukzessive auf 25 pro Position, im Dialog mit Stoll später auf die Top 10, dann auf die Top 3 reduziert, ehe der Handel mit den Spielerage­nten beginnt. In den letzten zwei Jahren arbeitete Leibenath in der Off-Season durch und verzichtet­e am Ende zu seinem Leidwesen auf Urlaub, weil der Kader erst kurz vor knapp komplett war. Dieses Jahr machte er es anders, fuhr im Juni zwei Wochen weg und kümmerte sich vom Strand aus eine Stunde täglich um die Geschäfte. „Es gibt auch Trainer, die sich Kader vorsetzen lassen. Ich forciere das, weil ich am Ende auch die Verantwort­ung für die Leistung habe“, sagt Leibenath, er sei aber „fast immer mit Thomas auf einer Meinung“. Beide weilten jüngst in Las Vegas bei den Spielen der NBA Summer League, um ihre Listen und Kontakte weiter auszubauen. Positionen, die bei einem Kaderaufba­u Priorität hätten, gebe es im Prinzip nicht, sagen beide, am ehesten noch Kraft Größe der Center. Zweites Credo: Ulm ist nicht bereit, zugunsten eines teuren Topspieler­s andere Positionen schlechter zu besetzen.

Zuweilen entscheide­t bei einem Neuaufbau auch das Glück, wie bei Ulms neuem Shooting Guard Carlon Brown (26). Der Ex-Bamberger war lange verletzt. „Auch Athen und Mailand waren an ihm interessie­rt, aber Geld ist bei ihm nicht alles. Er will in der Bundesliga bleiben und es Bamberg zeigen.“Stoll nennt ihn einen unglaublic­hen Spieler und „No-Brainer“, soll heißen: Wenn man so einen bekommen kann, muss sich kein KaderTüftl­er fragen, ob er ihn auch nimmt.

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FOTO: DPA Führt hunderte Spieler auf seiner Scouting Liste: Ulms Trainer Thorsten Leibenath.

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