Stauhelfer im Einsatz
Für Günter Heidler beginnt jetzt die heiße Zeit
Ferienbeginn: Ein Unfall auf der B 2 bei Mertingen, einer Gemeinde zwischen Donau und Lech. An einem Kleinbus ist ein Reifen geplatzt. Der Fahrer wurde mit dem Wagen und einem Anhänger voller Beton ins Gebüsch geschleudert. Eine Spur ist komplett dicht. Günter Heidler steht auf dem Standstreifen und beobachtet die zwei Kilometer lange Blechkolonne. Die Autos fädeln sich im Reißverschlussprinzip an der Unfallstelle vorbei. Der Anhänger ist geborgen, die Situation unter Kontrolle. Der 55Jährige schwingt sich wieder auf sein Motorrad.
Wenn auf den Straßen nichts mehr geht, stürzt sich Heidler freiwillig ins Gewühl. Er fährt seit 18 Jahren als mobiler Sanitäter und Stauhelfer mit dem Motorrad Streife für das Bayerische Rote Kreuz. „Das ist ein guter Ausgleich für mich“, erzählt er. Unter der Woche arbeitet Heidler als Verwaltungsdirektor in einem Krankenhaus. Am Wochenende patrouilliert er mit seiner schweren Maschine auf den Autobahnen und Schnellstraßen rund um Augsburg. Über Funk und Piepser wird er alarmiert, um zu helfen.
Mit dem wendigen Motorrad ist er im Ernstfall schnell am Einsatzort. „Zu 70 Prozent sind wir noch vor dem Rettungsdienst an der Unfallstelle“, sagt der Stauhelfer, der auch Notfälle als Ersthelfer versorgt, Unfallbeteiligte betreut und Polizei sowie Rettungsdienste unterstützt.
Blechkolonnen auf der A 8
Besonders in der Urlaubszeit stellen er und seine Kollegen sich wieder auf kilometerlange Fahrzeugschlangen ein. Bundesweit schicken Organisationen wie der ADAC und die Johanniter im Sommer Stauhelfer auf die Straßen. Im vergangenen Jahr gab es laut ADAC auf deutschen Autobahnen 475 000 Staus mit einer Gesamtlänge von 960 000 Kilometern. Gemessen an Staustunden lagen Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg an der Spitze.
Vor allem die A 8, Heidlers Revier, ist bekannt für Blechkolonnen. Im Sommer ist die Autobahn eine wichtige Transitroute in den Süden. Derzeit wird sie auf sechs Spuren ausge- baut. Wenn dort nichts mehr geht, berät der BRK-Biker gefrustete Reisende, informiert auf Rastplätzen, sichert das Stauende. Er hat schon einiges erlebt. Zum Beispiel ein holländisches Ehepaar, das im Stau auf dem Seitenstreifen grillte. „Wenn es heiß ist, drehen die Leute manchmal durch“, sagt er.
Denn Stau bedeutet meist auch Stress. „Kommt drauf an, wie viele Kinder hinten drin sitzen“, weiß Heidler aus Erfahrung. Früher hatten die Motorradstreifen Spielsachen, Windeln und Teddybären an Bord ihrer Maschinen, für die kleinen Stau-Opfer. Heute ist dafür kein Platz mehr zwischen dem Notfall-Equipment: Beatmungsgeräte, Medikamente und Infusionen haben Vorrang.
Heidler steht mit seinen Kollegen auf einem Rastplatz an der A 8. Dann hält er inne. Das Funkgerät gibt knarrende Töne von sich – die Leitstelle meldet einen Unfall an der Ausfahrt Augsburg-West. Heidler und sein Kollege steigen auf, mit Sirene, Blaulicht und hohem Tempo schlängeln sie sich über die volle Autobahn. Im Notfall haben die Motorradhelfer Sonderrechte, dürfen die zugelassene Geschwindigkeit übertreten und im Stau in Gegenrichtung fahren. Sie müssen ihre Maschinen beherrschen und umsichtig fahren.
Fünf Minuten später steigt Heidler an der Unfallstelle ab. Zwei Wagen sind an einer Kreuzung ineinander gekracht. Auf der Wiese neben der Straße sitzt eine Familie, die Mutter weint, ein Mädchen trägt ei- ne Halskrause. Mit ruhiger Stimme bietet Heidler Hilfe an und beantwortet Fragen. An der Autobahnausfahrt bildet sich wieder eine Schlange aus Blech. „Wichtig ist, die Übersicht zu bewahren“, sagt Heidler. Nach zehn Minuten übernimmt die Polizei. Heidler steigt wieder auf. Auch privat fährt er gern Motorrad. Dann meidet er aber die Autobahnen.